Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 20. November 2018; Leitartikel von Wolfgang Sablatnig: “Richtiges Anliegen, falscher Weg”
Innsbruck (OTS) – Niemand kann ernsthaft wollen, dass Mädchen im
Volksschulalter gezwungen werden, ihr Haar zu bedecken. Es kann aber
auch niemand ernsthaft wollen, dass die Koalition sensible Themen
ohne breite Debatte durchdrückt.
Der Vorstoß erfolgte nach Drehbuch: Vizekanzler Heinz-Christian
Strache verkündete am Wochenende am Wiener Medienboulevard, dass die
Koalition nach dem bereits paktierten Kopftuchverbot für Kindergärten
jetzt auch ein Kopftuchverbot für Mädchen in Volksschulen plane. An
die Opposition richtete der Vizekanzler die „Einladung“, dieses
Verbot gemeinsam zu beschließen. Gleichzeitig lassen ÖVP und FPÖ aber
keinen Zweifel daran, das Verbot jedenfalls zu beschließen, egal ob
die Einladung angenommen wird oder nicht. Übrig bleiben wieder einmal
nur Schwarz oder Weiß, ein Ja zum Verbot oder ein Nein.
Tatsächlich kann niemand ernsthaft wollen, dass Mädchen im
Volksschulalter gezwungen werden, ihr Haar zu bedecken. Dies lässt
sich auf vielerlei Art argumentieren. Ganz praktisch wird jedes Kind
und damit auch jedes Mädchen ein Kopftuch als Einschränkung erleben
müssen, beim Herumtollen, Herumspringen und Herumspielen.
Hintergründiger ist die Argumentation, dass das Kopftuch die
Geschlechtsreife anzeige und damit einer frühen „Sexualisierung“
Vorschub leiste. Auch ein Widerspruch zur Gleichberechtigung der
Geschlechter liegt auf der Hand.
Gerade weil das Anliegen so gut und richtig ist, stellt sich aber die
Frage nach der Vorgangsweise. Niemand kann ernsthaft wollen, dass ÖVP
und FPÖ das Verbot einfach durchdrücken. Die Islamische
Glaubensgemeinschaft etwa kann angesichts des dann doch
überraschenden Vorstoßes nur reflexhaft antworten. Die
Glaubensgemeinschaft ernst zu nehmen, würde bedeuten, rechtzeitig den
Dialog zu suchen und um Verständnis zu werben.
Und was ist mit den Schulen? Dort gibt es viel Erfahrung, wie in
schwierigen Fällen am besten zu reagieren ist. Gleichzeitig sind es
die Lehrerinnen und Lehrer, die als Erste mit einem Verbot und seiner
Kontrolle konfrontiert werden.
Schließlich ganz grundsätzlich: Wollen wir, dass
Integrationspolitik – und Politik ganz allgemein – auf Verboten und
Vorschriften aufbaut? Oder besinnen wir uns auf das Wesen des
liberalen Rechtsstaats sowie der Grund- und Freiheitsrechte, die dem
Staat Grenzen setzen wollen?
Ja schon, aber wir wollen ja die Kinder schützen, heißt es dann.
Auch diesem Ziel wird niemand ernsthaft widersprechen. Gerade wenn
Grund- und Freiheitsrechte betroffen sind, darf sich die Regierung
einer breiten Debatte aber nicht verschließen. Noch wäre es dafür
nicht zu spät.
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