Intersexualität: Patientinnen mit Adrenogenitalem Syndrom leiden vermehrt an Sexualstörungen unabhängig von der Schwere der Erkrankung
Wien (OTS) – Intersexuelle Menschen können nicht eindeutig einem
Geschlecht zugeordnet werden, da ihre Chromosomen, Hormone,
Keimdrüsen oder ihre äußere Geschlechtsmerkmale männliche und
weibliche Elemente aufweisen können. Eine Variante dieser medizinisch
“Disorders of sex development” genannten Krankheitsbilder ist das
Adrenogenitalsyndrom (AGS), eine angeborene Störung der
Steroidhormonbildung in der Nebennierenrinde.
An der MedUni Wien untersuchen die Internistin und
Sexualmedizinerin Michaela Bayerle-Eder und die Biochemikerin Sabina
Baumgartner-Parzer von der Universitätsklink für Innere Medizin III
in einer Gruppe von Frauen mit schweren und leichten Formen des AGS,
wie deren Sexualfunktion und sexuelle Orientierung aussieht. Eine
erste wichtige Erkenntnis ist, dass Sexualstörungen und Probleme mit
der geschlechtlichen Identifikation im Vergleich zu gesunden Frauen
deutlich stärker ausgeprägt sind. Dieses Thema wird auch beim 5.
Wissenschaftlichen Symposium der Österreichischen Gesellschaft zur
Förderung der Sexualmedizin und der sexuellen Gesundheit am 23. und
24. November 2018 im AHK Wien erörtert werden.
Als Adrenogenitales Syndrom (ASG) bezeichnet man eine Gruppe von
genetischen Erkrankungen mit autosomal rezessivem Erbgang, bei denen
die Bildung von bestimmten körpereigenen Steroidhormonen in der
Nebennierenrinde gestört ist. Beim AGS kommt es durch angeborene,
genetische Veränderungen zu einer verminderten Bildung von Cortisol
und Aldosteron, und gleichzeitig zu einer vermehrten Produktion
männlicher Hormone. Der Begriff AGS beinhaltet mehrere Erkrankungen,
die nach dem jeweiligen genetisch veränderten Enzym benannt werden,
wobei die weitem häufigste Form der 21-Hydroxylasemangel darstellt.
An AGS können sowohl Buben als auch Mädchen leiden; allerdings ist
dabei eine unterschiedliche geschlechtsspezifisch Symptomatik zu
beachten.
Wenn ein AGS vorliegt, ist die Umwandlung von Cholesterin in die
Hormone Cortisol und Aldosteron gehemmt. Diese Hormone werden also
nicht mehr in ausreichender Menge produziert. Da der Körper versucht,
diesen Mangel auszugleichen und mehr Hormone zu produzieren, wird die
Nebennierenrinde überstimuliert. Da dies aber durch den Enzymdefekt
(z.B. der 21-Hydroxylase) nicht möglich ist, entsteht ein Überschuss
an Vorstufen dieser Hormone, die dann in anderen
Stoffwechselprozessen in Androgene, also in männliche Hormone
umgewandelt werden. Ein AGS ist daher sowohl durch einen Mangel an
Cortisol und Aldosteron als auch einem Überschuss an männlichen
Hormonen gekennzeichnet.
Die klinisch schwere Form wird „klassisches AGS“ bezeichnet. Hier
kann die Erkrankung bereits bei der Geburt lebensbedrohliche Symptome
wie eine Salzverlustkrise bei beiden Geschlechtern oder die
Vermännlichung der äußeren Geschlechtsmerkmale bei Mädchen
hervorrufen. Letztere reicht von einer Vergrößerung der Klitoris bis
hin zur Bildung eines Pseudopenis trotz innerer weiblicher
Genitalien. Im Kindesalter kommt es bei beiden Geschlechtern durch
schnelles Wachstum zu einer Scheinpubertät mit Vorzeitiger
Schambehaarung und Stimmbruch. Ein schnell wachsender Penis bei Buben
und das Ausbleiben der Regelblutung bei Mädchen sind in der Folge
weitere Kennzeichen für das „klassische AGS“, ebenso wie eine
verstärkte Körperbehaarung oder Akne. Ein auch in Österreich
durchgeführtes Neugeborenen-Screening umfasst die Untersuchung auf
AGS hin, um lebensbedrohliche Salzverlustkrisen zu vermeiden und
möglichst bald eine Substitutionstherapie einzuleiten.
Eine leichtere Form ist das „nicht-klassische AGS“, wobei die
Symptome erst zu einem späteren Zeitpunkt auftreten und oft erst nach
der Pubertät diagnostiziert wird. Diese Patienten haben einen
„milderen Gendefekt“ im entsprechenden Enzym, wodurch die
Nebennierenrinde noch in einem gewissen Ausmaß Cortisol und
Aldosteron bildet.
Vor der Pubertät sind Betroffene oft größer als ihre
Altersgenossen, doch ohne Behandlung bleiben sie im Erwachsenenalter
kleinwüchsig. Das „nicht-klassische AGS“ kann auch so gering
ausgeprägt sein, dass zwar die Störung im Hormonhaushalt biochemisch
vorhanden ist, aber keine markanten klinischen Symptome auftreten,
sodass das AGS oftmals erst bei unerfülltem Kinderwunsch
diagnostiziert wird.
Die Sexualmedizinerin und Internistin Michaela Bayerle-Eder und
die Biochemikerin Sabina Baumgartner-Parzer von der Universitätsklink
für Innere Medizin III, Klin. Abteilung für Endokrinologie &
Stoffwechsel beschäftigen sich damit, inwieweit eine pränatale
Androgenisierung bei Vorliegen von AGS einen möglichen Einfluss auf
die Geschlechtsidentität von weiblichen Patientinnen hat. Ziel dieses
europaweiten Forschungsprojektes ist es zu klären, in welchem Ausmaß
AGS-Patientinnen mit der schweren bzw. milden Form auch an einer
sexuellen Dysfunktion leiden und welche Unterschiede in der
Geschlechterrolle und der sexuellen Präferenz vorliegen.
Anhand der Sexualanamnese und verschiedener spezieller Parameter
lässt sich feststellen, dass AGS-Patientinnen mehr an sexueller
Dysfunktion und sexuellem Stress leiden als Frauen in der
Allgemeinbevölkerung. Es zeigten sich keine signifikanten
Unterschiede zwischen der Gruppe mit klassischem versus der mit
nicht-klassischem AGS. Insgesamt zeigt sich tendenziell eine
stärkere Einschränkung der Sexualfunktion sowie ein größerer
Leidensdruck bei Patientinnen mit nicht-klassischem AGS Und
Patientinnen mit klassischem AGS zeigen sich als orgasmusfähiger. Ein
größerer Anteil aller Probandinnen gibt bei der Zuordnung der
Geschlechterrolle „maskulin“ an. In Bezug auf die sexuelle
Orientierung zeigt sich bei den Frauen mit klassischem AGS eine
höhere homosexuelle Präferenz. Somit scheint die pränatale
Hyperandrogenämie Geschlechterrolle und sexuelle Präferenz zu
beeinflussen“.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass gerade Patientinnen mit
nicht-klassischem AGS mit geringer ausgepägter Symptomatik und milden
Gendefekten aufgrund der spät erfolgenden Diagnose mehr leiden, da
sie über lange Zeit keine Erklärung für ihr „Anderssein“ haben und
auch keine Therapien erhalten.
Bayerle-Eder, auch Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft
für Sexualmedizin und sexuelle Gesundheit: „Daher ist es wichtig, bei
Frauen mit Zeichen der Vermännlichung (wie Akne und vermehrter
Körperbehaarung), Zyklusstörungen, unerfüllten Kinderwunsch und
Sexualfuntionsstörungen im Rahmen der Diagnostik auch an das
nicht-klassisches AGS zu denken und gegebenenfalls eine genetische
Untersuchung zu veranlassen.
Zwtl.: Service:
5. Wissenschaftliches Symposium der Österreichischen Gesellschaft
zur Förderung der Sexualmedizin und der sexuellen Gesundheit. 23. –
24. November im AKH Wien, MedUni Wien. Den Festvortrag hält der
Philosoph Konrad Paul Liessmann. Info: [www.sexualmedizin.or.at]
(http://)
Medizinische Universität Wien
Mag. Johannes Angerer
Leiter Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
+431 40160 – 11 501
Mobil: +43 664 800 16 11 501
johannes.angerer@meduniwien.ac.at
http://www.meduniwien.ac.at
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