Endstation Frühpension: Die Hälfte aller MS-Patienten arbeitet nicht

Symptome schließen Arbeitsfähigkeit oft nicht aus – mehr Unterstützung für Betroffene gefordert

Wien (OTS) – Laut der jüngsten Studie zur Cost of Illness (COI) bei
Multipler Sklerose (MS) arbeiten 54 Prozent aller Betroffenen im
erwerbsfähigen Alter nicht. Und das schon ab einem relativ geringen
Behinderungsgrad. Das führt nicht nur zu finanzieller Benachteiligung
und sozialer Isolation für die Patienten, sondern auch zu erheblichen
Kosten für die Volkswirtschaft. Experten und Patientenvertreter sind
alarmiert. Sie fordern mehr Aufklärung, eine konsequentere Umsetzung
vorhandener Unterstützungsmöglichkeiten und mehr Rechte für die
betroffenen Personen. Und das nicht nur für MS-Patienten, sondern
generell für Personen mit chronischen Erkrankungen oder
Behinderungen.

Zwtl.: Schweregrade der Erkrankung und Arbeitsfähigkeit hängen nur
bedingt zusammen

Multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche
Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, die meist bei jungen
Erwachsenen auftritt. In Österreich gibt es etwa 13.500
Betroffene[1]. Meist beginnt die Krankheit mit einem akuten „Schub“
und verläuft auch schubförmig weiter. Zwischen den Schüben
verschlechtert sich die Krankheit nicht. Nach etwa 10 bis 15 Jahren
ändert sich die MS aber bei etwa der Hälfte der Erkrankten zu einem
progredienten Verlauf, das heißt, die Krankheit verschlimmert sich
kontinuierlich. Die häufigsten Symptome sind Gefühlsstörungen in den
Extremitäten, Sehprobleme, Gleichgewichtsstörungen, Lähmungen sowie
rasche körperliche und geistige Ermüdbarkeit sowie kognitive
Einbußen.

Der Schweregrad der Erkrankung wird über die sogenannte EDSS
(Expanded Disability Status Scale) auf einer Skala von 0 bis 10
definiert. „Diese sagt jedoch nur bedingt etwas über die
Arbeitsfähigkeit aus“, erläutert Priv.-Doz. Dr. Jörg Kraus, Neurologe
in Zell am See und Präsident der Österreichischen Multiple Sklerose
Gesellschaft (ÖMSG). „Bei rein körperlichen Tätigkeiten ist eine
Arbeitsunfähigkeit natürlich deutlich schneller erreicht als bei
einem Bürojob. Gerade bei geistigen Tätigkeiten können MS-Patienten
aber auch dann oft noch tätig sein, wenn sie körperlich bereits
deutlicher eingeschränkt sind.“

Zwtl.: Erkrankte fallen schnell aus Arbeitsprozess heraus

In der Praxis arbeiten Personen mit MS aber oft nicht. Das zeigen
die aktuellen Daten aus der europaweit durchgeführten Cost oft
Illness (COI)-Studie mit insgesamt knapp 17.000 Patienten, die auch
in Österreich durchgeführt wurde. Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, MSc
von der Medizinischen Universität Wien hat die österreichischen
Daten[2] analysiert und berichtet: „54 Prozent aller
Studienteilnehmer im erwerbsfähigen Alter arbeiten nicht, 43 Prozent
davon gaben MS als Grund dafür an. Erschreckend ist auch, dass
bereits 50 Prozent der Patienten mit einem leichten Behinderungsgrad
(EDSS 0 bis 3) nicht mehr berufstätig sind.“ Weitere Ergebnisse der
Studie: 73 Prozent der arbeitenden MS-Patienten berichteten, dass die
Krankheit ihre Produktivität bei der Arbeit beeinträchtigt. Besonders
unangenehm sind Fatigue (krankheitsbedingte vorzeitige Erschöpfung)
(60 %), gefolgt von eingeschränkter Mobilität (30 %), kognitiven
Problemen (25 %), Schmerzen (19 %) und getrübter Stimmung (18 %).

Zwtl.: Mit Unterstützung länger arbeitsfähig

„Oft muss man mit diesen Symptomen aber nur richtig umgehen, um
trotzdem arbeiten zu können“, so Kraus. „Entscheidend für die
Arbeitsfähigkeit ist, wie sehr Unternehmen ihren Mitarbeitern
unterstützend entgegenkommen. Kann jemand, der häufig von Fatigue
geplagt wird, häufiger Pause machen oder Teilzeit arbeiten, wird er
auch länger im Erwerbsleben bleiben können.“

Damit Arbeitgeber ihren Mitarbeitern zukünftig besser helfen
können, braucht es Aufklärung, ist Karin Krainz-Kabas,
Geschäftsführerin der MS Gesellschaft Wien überzeugt. „Mehr
Information führt zu mehr Verständnis. Die Verantwortlichen in den
Firmen würden dann zum Beispiel wissen, dass MS meist in Phasen
verläuft und dass nach schwierigen auch wieder gute Phasen kommen, in
denen die Mitarbeiter produktiver sind.“ Marlene Schmid von der
Multiple Sklerose Gesellschaft Tirol regt auch ganz praktische Hilfe
wie die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten oder den
vorübergehenden Einsatz von Arbeitsassistenten an.
„Arbeitsassistenten unterstützen die Patienten am Arbeitsplatz und
damit in weiterer Folge auch die Unternehmen. Sie geben ganz
praktische Hilfestellungen, indem sie zum Beispiel empfehlen, einen
Drucker in der Nähe des MS-Betroffenen zu installieren, um diesem den
Weg zum Gemeinschaftsdrucker zu ersparen. Oder sie setzen sich für
Ruhepausen ein, wenn jemand an Fatigue leidet.“ Die Kosten dieser
Arbeitsassistenten werden von der öffentlichen Hand getragen.

Zwtl.: Experten der Arbeiterkammer sprechen sich für den Ausbau
bestehender Programme aus

Auch Programme zur Unterstützung chronisch kranker oder
behinderter Menschen – nicht nur für Personen mit MS – nach längeren
Krankenständen gäbe es ja schon, ergänzt Hon. Prof. (FH) Dr. Bernhard
Rupp, MBA. Sie müssten nur noch weiter ausgebaut und verfeinert
werden. „Unternehmen, die sich dafür entscheiden, Personen mit
Einschränkungen einzustellen oder weiterzubeschäftigen, können auf
Antrag – genau wie die Betroffenen selbst – vielfältige finanzielle
Förderungen von der öffentlichen Hand erhalten“, erläutert Rupp.
„Verschiedene relativ junge Instrumente wie etwa fit2work oder die
befristete Arbeitszeitreduktion nach den Regeln des
Wiedereingliederungsteilzeitgesetzes sind sehr gute Ansätze, das in
anderen Ländern bereits erprobte „disability management“ für
Österreich zu adaptieren.“ Beide Programme hätten aber einen
entscheidenden Makel, so der Experte: „Es gibt keinen Rechtsanspruch
dafür. Das heißt, dass die Unternehmen freiwillig mitmachen müssen.
Für die Betroffenen ist das ein großer Nachteil.“ Ganz wichtig sei es
auch, sich um die jungen Menschen nach der Diagnose zu kümmern. Rupp:
„Ausbildungs- und Berufsentscheidungen, die ohne fachliche Beratung,
unter dem Eindruck von schwerwiegenden Diagnosen getroffen werden
widersprechen häufig dem intellektuellen Potenzial und den
Krankheitsverlaufsprognosen für die Betroffenen.“ Ein wichtiger
Ansatzpunkt sei hier eine gute fachliche Beratung.

Generell sei ein Umdenken in der Gesellschaft notwendig, so Rupp.
Denn: „Von den 4,3 Millionen erwerbstätigen/arbeitssuchenden
Österreichern sind mehr als zwei Millionen chronisch krank oder haben
Einschränkungen. An entsprechenden Anpassungen der Arbeitsumstände
wird also in naher Zukunft kein Weg vorbei führen.“

Mit freundlicher Unterstützung von Biogen Austria Ges.m.b.H.

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QUELLEN:

[1] Ulf Baumhackl (Hg.); Multiple Sklerose; Prävalenz & Therapie
im 12-Jahres-Vergleich in Österreich; 2014

[2] Berger, T., Kobelt, G., Berg, J., Capsa, D., & Gannedahl, M.
(2017). New insights into the burden and costs of multiple sclerosis
in Europe: Results for Austria. Multiple Sclerosis Journal,
23(2_suppl), 17–28. https://doi.org/10.1177/1352458517708099

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