TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Freitag, 30. November 2018, von Peter Nindler: „Verfassungsgericht in Tirol: Undenkbar?
Innsbruck (OTS) – Die Regierung zementiert den Zentralismus ein,
obwohl andere Länder längst die Dezentralisierung von Behörden als
Chance für strukturschwache Regionen erkannt haben. Das politisch
konservative Bayern ist deshalb meilenweit fortschrittlicher.
Finanzamt Österreich und Österreichische Gesundheitskasse: Mit zwei
Reformen zementiert die türkis-blaue Bundesregierung den öffentlichen
Zentralismus in Österreich ein. Für die Volkspartei wird lediglich
das bundespolitisch vollzogen, was innerparteilich mit Obmann und
Bundeskanzler Sebastian Kurz schon längst gilt: Wien entscheidet, der
(geographische) Rest hat Sendepause. Selbst die schwarzen
Landeshauptleute haben sich diesem Grundsatzprogramm unterzuordnen.
Die Freiheitlichen sind hier williger Erfüllungsgehilfe, weil es
ihnen in ihrer neuen Rolle als Juniorpartner in der Bundesregierung
vor allem um Posten, aber nicht um Dezentralisierung und schon gar
nicht um Föderalismus geht.
Was in Deutschland mit Karlsruhe Realität ist, wäre in Österreich
undenkbar: der Verfassungsgerichtshof außerhalb von Wien. Rund um das
politische Machtzentrum siedeln sich die Institutionen an, die
Behörden sammeln sich in der Bundeshauptstadt. Nur kurz wurde bei der
Zusammenlegung der Sozialversicherungen überlegt, die Zentrale der
Gesundheitskasse in ein Bundesland zu verlegen. Doch selbst das
Wien-affine Oberösterreich ging schlussendlich leer aus. Dass
Ex-Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP) 3500 Bundesstellen
„verländern“ wollte, war ambitioniert, doch offenbar nicht mehr als
ein Wahlkampf-Gag. Geblieben ist der „Masterplan ländlicher Raum“,
der jedoch nur so vor Beliebigkeiten strotzt. Also eine optimale
politische Zielvorgabe der Bundesregierung, um den Ländern
dezentralen Sand in die Augen zu streuen.
Bayern hat es vorgezeigt, dass „Laptop und Lederhose“ mit einer
klaren Heimatstrategie kein Widerspruch ist. Die 2015 eingeleitete
Regionalisierung von „Verwaltung und Behörden“ sieht 64
Verlagerungsprojekte mit 3155 Personen vor; davon 2225 Arbeits- und
930 Studienplätze. 37 Dienststellen wurden bereits in
strukturschwache Regionen verlegt. In Österreich regiert hingegen das
zentralismushörige politische Kleinkrämertum.
Gute Arbeitsplätze anzusiedeln, wertet die Regionen auf und
schafft Perspektiven für junge Menschen. Wer die Landflucht stoppt,
hält die tägliche Infrastruktur ebenfalls am Leben – vom Postamt über
die Grundversorgung bis hin zum Landarzt. Dass die Dezentralisierung
in Österreich nicht funktioniert, ist freilich nicht nur der
Bundesregierung anzulasten. Sondern auch Ländern wie
Niederösterreich, Burgenland oder Oberösterreich. Weil sie sich
selbst vom Rockzipfel Wiens noch Vorteile erwarten.
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