Buchpräsentation: „Versteckte Jahre“
Die Journalistin Anna Goldenberg veröffentlichte die Geschichte ihres jüdischen Großvaters ab 1942 in einem Versteck in Wien
Wien (PK) – Als „große Reportage“ schrieb Anna Goldenberg, die
Enkelin eines Holocaust-Überlebenden Wieners, die Geschichte ihres
Großvaters Hansi ab dem Jahr 1942 nieder. Ihr Buch „Versteckte Jahre“
wurde gestern Abend im Plenarsaal des Parlaments, dem Großen
Redoutensaal der Hofburg, der Öffentlichkeit präsentiert.
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka bezeichnete das Buch als
„wichtigen Beitrag zur Gedenk- und Erinnerungskultur in Österreich“.
„Geschichten einzelner Menschen machen die Geschichte erst erfassbar
und begreifbar“, sagte Sobotka. „Ihre Geschichten transportieren viel
mehr als Zahlen, denn diese Zahlen geben nicht das wieder, was in
Schicksalen erlebbar gemacht wird, was einzelne Menschen empfunden
haben und das, was für uns in vielen Begegnungen so berührend ist.“
Hansi, der Großvater der Autorin Anna Goldenberg, wuchs in Wien auf.
Hansi war bis 28. September 1942 mit 16 anderen Menschen jüdischen
Glaubens in einer Drei-Zimmer-Wohnung im 2. Wiener Bezirk
untergebracht. Als er, seine Eltern und sein dreijähriger Bruder nach
Theresienstadt deportiert werden sollten, wusste man nicht, wie es
dort sein würde. „Schlechter als in Wien“ könne es nicht werden,
glaubte Hansis Mutter. Josef Feldner, ein Kinderarzt aus Wien-Neubau,
bot der befreundeten Familie an, Hansi bei sich aufzunehmen und ihn
vor den Nazis zu verstecken. Am 28. September 1942, kurz vor 10 Uhr,
verabschiedete sich der 17-Jährige von seiner Familie, ging auf die
Straße, stieg in eine Straßenbahn und fuhr in Richtung Neubau. Seine
Eltern und sein Bruder stiegen in den Transport nach Theresienstadt
und kamen nie wieder zurück. Sie wurden dort ermordet.
Hansi überlebte den Krieg in seinem Versteck in der Wiener
Neubaugasse und wanderte kurz nach dem Krieg nach Amerika aus. Er und
seine Frau Helga, die das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt
hatte, studierten Medizin, sie arbeiteten als Ärztin und Arzt in
einem kleinen New Yorker Krankenhaus – erst umsonst und dann um wenig
Geld – und kamen wenige Jahre später, in der zweiten Hälfte der
1950er-Jahre, wieder zurück nach Wien.
Unverständliche Rückkehr
Diese Rückkehr ihrer Großeltern war es, die die Enkelin Anna
Goldenberg 2012 als 23-Jährige in New York mit Fragen konfrontierte,
die sie nicht beantworten konnte. „Wie konnten sie sich mit
Österreich versöhnen?“ Sie studierte unter anderem Journalismus an
der Columbia University in New York und arbeitete als Redakteurin für
die Wochenzeitung „Jewish Daily Forward“. Sie forschte nach, was ihre
Großeltern bewogen hatte, nach Österreich zurückzukehren – in ein
Land, wo sie gedemütigt und verfolgt worden waren, wo ihre Familien
ermordet worden waren.
Später rückte immer mehr das Leben ihres Großvaters in der Wohnung
des Kinderarztes Josef Feldner 1942 bis 1945 in den Mittelpunkt ihres
Interesses. Es war das Leben eines von etwa 1.000 jüdischen
Bürgerinnen und Bürgern, die versteckt in Österreich die Nazis
überlebten. Goldenbergs Großvater hielt sich anfangs goßteils allein
in der Wohnung seines Unterkunftgebers auf; er freundete sich nach
und nach mit der Lebensmittelhändlerin im Erdgeschoß des Hauses an
und später wagte er sich mit dem Kinderarzt sogar ins Lazarett,
getarnt als sein „junger Assistenzarzt“, und er ging in
Psychologievorlesungen eines Freundes von Josef Feldner. Nach dem
Krieg blieben Josef Feldner und Hansi Freunde. Feldner war auch mit
ein Grund, warum Hans und Helga nach wenigen Jahren aus den USA
wieder zurück nach Wien kamen.
Schilderungen auf 100 Computer-Dateien
Als Goldenbergs Großvater 1996 starb, war Anna Goldenberg sieben
Jahre alt. 2012 begann sie, die Schilderungen ihres Großvaters zu
lesen, die lange unentdeckt in etwa 100 Dateien auf einem Computer
gelegen waren. Anna Goldenberg recherchierte in Archiven in Wien und
New York, in Schuhschachteln mit Dokumenten ihrer Großmutter und
schrieb das Buch „Versteckte Jahre“. 2015 kehrte Anna Goldenberg –
wie ihre Großeltern in den 1950er-Jahren – zurück nach Wien. Ihre
Großmutter Helga kam auch zur Präsentation des Buches. Die
pensionierte Ärztin ist immer noch in Schulen unterwegs als
Zeitzeugin, weil sie den Kindern vermitteln will, „dass man jedem
Menschen Respekt und Anstand entgegenbringen muss und anderen
Menschen helfen muss, wenn sie Hilfe brauchen“, betonte sie.
(Schluss) gb
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