Ludwig/Gaal: Europas Städte: Wien zeigt Wege aus der Krise auf

Bezahlbarer Wohnraum als Mangelware in der EU; Stadt Wien als „Role Model“ im internationalen Vergleich

Wien (OTS) – Was tun gegen die akute Wohnungskrise in Europas
wachsenden Städten? Wie können Investitionen in bezahlbaren Wohnraum
wieder angekurbelt werden? Wege aus dem Engpass zeigt die
internationale Konferenz „Housing for All – Affordable Housing in
Growing Cities in Europe“ auf, die am 4. und 5. Dezember in Wien
stattfindet. Rund 300 Teilnehmende aus 36 Ländern sind bei Wiener
Wohnen zu Gast.

„Städte sind der Motor der europäischen Entwicklung, zwei Drittel
der EU-Bevölkerung leben in Städten. Damit haben Städte eine
entscheidende Bedeutung für das europäische Integrationsprojekt. Und
sie sind es auch, die ganz besonders gefordert sind, wenn es um die
Bewältigung globaler Herausforderungen, um den sozialen Zusammenhalt
und die wirtschaftliche Entwicklung geht. Städte brauchen daher
entsprechende Rahmenbedingungen – vor allem auch, um die
Investitionen in bezahlbaren Wohnraum zu steigern“, so Wiens
Bürgermeister Michael Ludwig.
„Denn der freie Markt wird niemals breite Schichten der
Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum versorgen. Dazu braucht es die
Politik. Die ‚Städtepartnerschaft Wohnen‘ im Rahmen der EU Urban
Agenda hat konkrete Gesetzesvorschläge für die EU-Kommission
ausgearbeitet, die heute in Wien präsentiert werden und die es nun
umzusetzen gilt. Jetzt ist die EU-Gesetzgebung am Zug – und damit die
Europäische Kommission, alle EU-Mitgliedstaaten und das Europäische
Parlament. Europa muss jetzt handeln und Maßnahmen gegen
Fehlentwicklungen auf den Wohnungsmärkten in Europa setzen“, so
Ludwig.

Mehr als 220 Millionen Haushalte gibt es in der EU – und ganze 82
Millionen EuropäerInnen können sich das Wohnen mittlerweile nicht
mehr leisten. Denn die Wohnungspreise und Mieten in den Städten der
EU steigen seit Jahren rasch und massiv. Seit der Finanz- und
Wirtschaftskrise 2008/2009 sind die Investitionen in bezahlbares und
soziales Wohnen zurückgegangen – es wird nur mehr halb so viel
investiert wie davor. Die EU-Task Force für Investitionen in soziale
Infrastruktur in Europa nennt einen Rückgang um 20 Prozent und
schätzt die Investitionslücke beim leistbaren Wohnraum auf rund 57
Milliarden Euro pro Jahr. Da laut OECD der Großteil (53 Prozent) der
öffentlichen Investitionen auf subnationaler Ebene erfolgt, sind
Städte besonders betroffen.

Zwtl.: Wohnen als Menschenrecht

„Wohnen ist ein Menschenrecht – keine Ware“, betont Leilani Farha,
seit 2014 UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Wohnen. Die
kanadische Anwältin und Aktivistin präsentiert bei der Konferenz ihre
Initiative „Make the Shift“, mit der Kommunen und Stadtverwaltungen
geholfen werden soll, umgehend auf die Negativ-Entwicklung zu
reagieren. „Das Tempo und das Ausmaß, in dem Finanzunternehmen und
-fonds Wohnungen und Immobilien übernehmen und in den Städten
Unleistbarkeit, Verdrängung und Obdachlosigkeit verursachen, ist
erschütternd. Der Wohnungsbau ist ein Schlüsselthema im 21.
Jahrhundert“, sagt Farha. „Städte sind Triebkräfte in einer
Volkswirtschaft. Es ist im Interesse aller Regierungsebenen,
zusammenzuarbeiten, um angemessenen und erschwinglichen Wohnraum zu
gewährleisten, um das zu schützen, was Städte groß macht: Vielfalt
und Inklusion.“ Leilani Farha ruft die Kommunalverwaltungen dazu auf,
sich zur „Cities for Adequate Housing Declaration“ zu bekennen.

Zwtl.: EU-Städtepartnerschaft Wohnen fordert nachhaltig wirksame
Maßnahmen

Mit dem Ziel, Städte im Politikgestaltungsprozess der EU zu
stärken, wurde 2016 in Amsterdam durch den Rat der EU die
„Städteagenda für die EU“ ins Leben gerufen. Die Konferenz „Housing
for All“ bildet den Abschluss der EU Urban Agenda – Housing
Partnership (Städtepartnerschaft Wohnen).

Durch die Bildung von Partnerschaften zu konkreten
Schwerpunktthemen – u. a. Wohnen, Luftqualität, städtische Armut und
Integration von MigrantInnen und Flüchtlingen – sollen Städte stärker
an der EU-Politikentwicklung beteiligt werden. Dazu dient ein neues
Format der Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, bei dem Städte,
Mitgliedsstaaten, EU-Institutionen sowie themenspezifischen
Stakeholder-Organisationen auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Jede
Partnerschaft legt nach einem Arbeitszeitraum von drei Jahren einen
Maßnahmenkatalog vor, der zu besserer Regulierung, besserer
Finanzierung und besserem Wissensmanagement beiträgt. Mit der Wahl
eines Politikfelds, in dem die EU keine formale Kompetenz besitzt,
nämlich dem Wohnungswesen, hat der Rat die Bedeutung des bezahlbaren
Wohnens für die EU und ihre BürgerInnen anerkannt und eingeräumt,
dass EU-Regelwerke großen Einfluss auf die lokalen und nationalen
Wohnungssysteme haben können.

Die Partnerschaft zum Thema Wohnen hat sich daher in den letzten
drei Jahren intensiv mit den Herausforderungen des bezahlbaren
Wohnens beschäftigt. Der nun vorliegende Maßnahmenkatalog umfasst
eine Reihe von bereits umgesetzten Ergebnissen – wie z. B. Studien
der Wohnungssituation in den alten und neuen EU-Mitgliedstaaten, eine
Datenbank für gute Wohnprojekte, eine ausführlichen Analyse des
Beihilfenrechts und eine Broschüre zu städtischen Lösungen für
wohnungspolitische Felder. Darüber hinaus beinhaltet er Empfehlungen
an den EU-Gesetzgeber, insbesondere zur Schaffung von mehr
Investitionsspielräumen für Städte.

Zwtl.: Mehr Investitionsspielraum: EU-Beihilfenrecht reformieren,
Europäisches Semester anpassen

Warum ist es für viele europäische Städte so schwierig, wenn es um
Investitionen in leistbaren Wohnraum geht? Der Großteil der
Finanzierung für soziales, öffentliches und leistbares Wohnen kommt
aus Förderungen auf nationaler und lokaler Ebene – und von den
NutzerInnen. Aber die europäische Gesetzgebung hat massive
Auswirkungen – konkret über das EU-Beihilfenrecht und über die
europäischen Fiskalregeln.

Bei der Konferenz in Wien wird die langjährige Forderung von
vielen Ländern, Städten, gemeinnützigen Wohnungsunternehmen und
Mieterschutzverbänden nach einer Änderung im EU-Beihilfenrecht
unterstrichen: Die Beschränkung der Zielgruppen von gefördertem
Wohnraum auf ausschließlich „benachteiligte Bürgerinnen und Bürger
oder sozial schwächere Bevölkerungsgruppen“ soll endlich gestrichen
werden.
Städte und Länder sollen in Zukunft nach dem Subsidiaritätsprinzip
selbst entscheiden können, wie sie bezahlbaren Wohnraum für ihre
Bürgerinnen und Bürger organisieren. Die jetzige Bestimmung sorgt
seit Jahren für enorme Rechtsunsicherheit und führt immer wieder zu
Klagen und Beschwerden bei den Gerichten. Letztlich hat sie zur
Folge, dass ganze Wohnbauförderungssystem unter Beschuss geraten
sind, wie in den Niederlanden, Schweden oder Frankreich. Und sie
verhindert Investitionen in dringend notwendige Sanierungen, etwa in
den neuen Mitgliedstaaten.

Auch das bestehende Regelwerk des Europäischen Semesters kann
langfristige öffentliche Investitionen in die Errichtung von
bezahlbarem Wohnraum wesentlich erleichtern. Die Städtepartnerschaft
zeigt auf, dass die Investitionsklausel, die das möglich machen
könnte, aufgrund der Komplexität der Verfahren gerade von Städten
noch viel zu wenig genutzt wird – hier sind Erleichterungen nötig.

Langfristig geht es den Städten darum, dass die Investitionen in
notwendige städtische Infrastruktur in Zukunft in den Fiskal- und
Defizitregeln der EU nicht als mehr als Schulden, sondern als
Investitionen mit einem Gegenwert betrachtet werden. Mehr öffentliche
Investitionen in Wohnraum können nicht zuletzt dem Aufkauf von ganzen
Stadtteilen und der Spekulation global agierender institutioneller
Immobilieninvestoren entgegenwirken.

Die Städte fordern außerdem mehr Bewusstsein auf EU-Ebene für die
Wohnungskrise in Europas Städten ein. Denn die aktuelle Entwicklung
hat gravierende soziale und wirtschaftliche Auswirkungen, die noch
viel zu wenig bei der Gestaltung von EU-Politik beachtet werden. Vor
allem Einkommensschwache, aber auch Menschen aus der Mittelschicht
werden aus dem urbanen Raum verdrängt. Viele von ihnen leben in zu
kleinen oder sanierungsbedürftigen Wohnungen, die Zahl der
Zwangsräumungen steigt.

Sehr viele Menschen nehmen stundenlange Arbeitswege auf sich, um
günstiger zu wohnen. Der Indikator für den Anteil des Einkommens, der
für Wohnungskosten aufgewendet wird, muss drastisch gesenkt werden,
so die Forderung der Städtepartnerschaft. Derzeit geht man immer noch
von einem Anteil von 40 Prozent des Gesamthaushaltseinkommens aus,
Ziel müssten 25 Prozent sein, weil die Lebenshaltungskosten insgesamt
gestiegen und die Einkommen nicht entsprechend gewachsen sind.

Zwtl.: Wohnkosten senken

Laia Ortiz, Vizebürgermeisterin von Barcelona, einem
Gründungsmitglied von EUROCITIES, des Netzwerks der großen
europäischen Städte, das sich seit Jahren für bessere
Rahmenbedingungen einsetzt, weist auf die Ausgrenzung vieler Menschen
vom Wohnungsmarkt hin: „Die EU muss dem Recht auf Wohnraum Priorität
einräumen und gewährleisten, dass die Städte für die Bewältigung der
Wohnungskrise gerüstet sind. Die Städte können dies nicht allein tun.
Wir brauchen die EU, um alle Ressourcen und Mechanismen für Städte
zur Verfügung zu stellen, um dieses Ziel zu erreichen. Sonst werden
Obdachlosigkeit und Ausgrenzung in europäischen Städten weiter
zunehmen.“

Ein umfassendes Unterstützungs- und Sanierungsprogramm für sozial
benachteiligte Stadtteile läuft bereits in Lissabon. Rui Neves
Bochmann Franco, stellvertretender Wohnbaustadtrat der
portugiesischen Hauptstadt und Mitglied der Städtepartnerschaft sagt
dazu: „In Lissabon stehen wir vor großen Herausforderungen, die durch
touristische Plattformen und globale Immobilieninvestoren verursacht
werden. Gleichzeitig versuchen wir, neue Perspektiven zu schaffen,
indem wir zum Beispiel Nachbarschaftsentwicklungen fördern.“ Auch er
sieht Handlungsbedarf auf EU-Ebene und ortet eine klare Nachfrage
nach Austauschinstrumenten und -plattformen für Städte. „Wir
verlangen auch eine neue Definition der Überbelastung von
Wohnkosten“, so Rui Neves Bochmann Franco.

Zwtl.: Trendumkehr sozial und wirtschaftlich sinnvoll

Bessere Finanzierungsbedingungen, effizientere Regulierungen, ein
laufender Wissensaustausch und ein Bündel an Lösungen für gute
Wohnungspolitik – das sind laut Städtepartnerschaft wichtige
Voraussetzungen für eine Trendumkehr.

Weitere Forderungen und Empfehlungen beziehen sich auf
Instrumente, die Städten den Erfahrungsaustausch zur Wohnungspolitik
erleichtern. Die Städtepartnerschaft fordert eine bessere Datenbasis
zum Wohnungswesen und zur Wohnungswirtschaft in den Städten, da
nationale Vergleiche nicht aussagekräftig genug sind oder gar die
Realität verzerren.

Besondere Anliegen sind die Schaffung eines systematischen
Monitoringsystems der Europäischen Kommission, um Entwicklungen
besser beobachten und gegensteuern zu können, sowie mehr strukturelle
Aufmerksamkeit auf Ebene der EU-Mitgliedstaaten durch die
Wiederbelebung der „Housing Focal Points“ und der regelmäßigen
Treffen der EU-WohnungsministerInnen.

Die größten Herausforderungen sehen die Städte in der Schaffung
von neuem und der Erneuerung von bestehendem Wohnraum, dem Beschaffen
von günstigen Baugründen, der Verbesserung von Nachbarschaften in
Zusammenarbeit mit den BewohnerInnen und der Schaffung von
Wohnungssystemen, wo es sie noch nicht gibt. Dazu hat sie auch eine
Reihe von Empfehlungen für „gute Wohnungspolitik“ erarbeitet, von
Maßnahmen gegen Spekulation über interessante Modelle der
Baugrundsicherung und zur Vermeidung von Energiearmut bis hin zu
Mieterschutz und Mitbestimmung.

Nicht zuletzt verweist die Partnerschaft auf ERHIN, die
vorbildhafte Europäische Initiative für eine verantwortungsvolle
Wohnungswirtschaft, mit der Corporate Social Responsibility Prinzipen
im Wohnungswesen verankert werden. Wiener Wohnen ist der Initiative
im Oktober 2018 als erstes österreichisches Wohnungsunternehmen
beigetreten.

Zwtl.: Wiener Modell als Vorbild für Europa

Österreichs Hauptstadt nimmt mit ihrem Wohnungssystem
international eine Vorreiterrolle ein:
62 Prozent der WienerInnen leben in einem geförderten Wohnbau, also
in den 220.000 Gemeindebau-wohnungen oder in den anderen mehr als
200.000 geförderten Wohnungen, die in ganz Wien verteilt sind. Im
Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Metropolen hat Wien
seinen kommunalen Wohnungsbestand nicht privatisiert. Heute zeigt
sich mehr denn je, dass sich diese Strategie bewährt hat. Sie ist
entscheidend, wenn es um eine hohe und leistbare Wohn- und
Lebensqualität für breite Bevölkerungsschichten, soziale
Durchmischung, Frieden und Sicherheit geht.

„Wien hat vieles von dem, wofür wir uns auf europäischer Ebene
federführend einsetzen, bereits verwirklicht. Wien versteht Wohnen
als Grundrecht, wir sehen es als öffentliche Aufgabe an, genügend
leistbaren Wohnraum zu schaffen. Die hohe Anzahl geförderter
Wohnungen sowie die umfassenden Investitionen im Bereich der
Wohnhaussanierung wirken preisdämpfend auf den gesamten Wiener
Wohnungsmarkt“, so Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál. „Im geförderten
Wohnbau und bei den Gemeindewohnungen gibt es keine Maklergebühren,
keine Lagezuschläge und auch keinen Wiedervermietungseffekt, der die
Mieten nach oben schnellen lässt. Es gibt nur unbefristete Verträge
und gedeckelte Mieten. Wir haben damit eine Situation, die nirgendwo
sonst so selbstverständlich ist. Dank bewusst höher angesetzter
Einkommensgrenzen hat auch die breite Mittelschicht Zugang zu diesen
Wohnungen – mit Nettomieten von 4 bis 5 Euro pro Quadratmeter. Das
ist die größte Mittelstandsförderung“, erklärt Gaál.

Diesen Weg wird Wien auch künftig beschreiten. So wird die
Wohnbauoffensive fortgesetzt. Bis 2020 werden weitere 14.000
geförderte Wohnungen auf Schiene gebracht. Pro Jahr werden in Wien im
Schnitt rund 7.000 geförderte Wohnungen gebaut, mittelfristig soll
diese Leistung auf 9.000 geförderte Wohnungen gesteigert werden. Das
entspricht dem aktuellen Bevölkerungswachstum in der Stadt.

Aber auch Wien steht heute – durch den anhaltenden
Investitionsboom in Immobilien – vor großen Herausforderungen, die
mit massiven Verteuerungen am privaten Wohnungsmarkt und steigenden
Grundstückspreisen verbunden sind. Die Wiener Stadtregierung hat
daher kürzlich über eine neue Flächenwidmungskategorie in der Novelle
der Wiener Bauordnung gesetzlich eine Zweidrittel-Quote fixiert.
Künftig müssen bei großen Immobilienprojekten damit mehr geförderte
als freifinanzierte Wohnungen gebaut werden. „Damit schieben wir
Spekulationen mit Grund und Boden einen Riegel vor und geben den
Wienerinnen und Wienern die Sicherheit, dass das Wohnen weiterhin
leistbar bleibt“, so Gaál.

„Gemeinsam mit unseren Partnerstädten setzt Wien sich für das
Grundrecht Wohnen und bessere Rahmenbedingungen für Investitionen in
bezahlbaren Wohnraum ein. Die ‚Städtepartnerschaft Wohnen‘ hat
großartige Arbeit geleistet und einen Meilenstein für das bezahlbare
Wohnen in Europas Städten gesetzt. Ich gehe davon aus, dass das
Ergebnis der Zusamme

Paul Weis
Mediensprecher Bürgermeister Michael Ludwig
+43 1 4000 81846, paul.weis@wien.gv.at

Christiane Daxböck
Mediensprecherin Stadträtin Kathrin Gaál
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Michaela Kauer
Wr. Koordinatorin der EU-Städtepartnerschaft Wohnen,
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Daniela Schildhammer +43 664 522 69 25,
Birgit Brandner +43 664 922 77 87
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