Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 6. Dezember 2018; Leitartikel von Peter Nindler: „Das grüne Dilemma regiert mit“
Innsbruck (OTS) – Die Tiroler Grünen verwalten als Juniorpartner in
der Regierung mit der Volkspartei den Kompromiss. Die Basis vermisst
Durchschlagskraft im Natur- und Landschaftsschutz, vor allem Ingrid
Felipe verkörpert die innere Zerrissenheit.
Die Koalitionsräson frisst die Tiroler Grünen langsam auf. Während
ÖVP-Chef und Landeshauptmann Günther Platter immer fester im Sattel
sitzt, wie der Innsbrucker Politikwissenschafter Ferdinand Karlhofer
feststellt, schwankt die Ökopartei am Grat der Glaubwürdigkeit dahin.
Man stelle sich nur vor, wie die Grünen früher als Oppositionelle auf
eine „Jetzt schlagen wir zurück“-Kampfrhetorik von Seilbahnsprecher
und ÖVP-Wirtschaftsbundobmann Franz Hörl reagiert hätten. Aktuell
müssen sie schlucken – vom Fernpasstunnel bis zu den
Seilbahngrundsätzen. Bald wird die Mindestsicherung dazukommen, wo
die ÖVP die bundesweite Regelung lobt, die grünen Sozialreferenten
hingegen massiv aufjaulen.
Was dem Juniorpartner der Volkspartei in der Regierungsarbeit mit
Liberalität, der Öffnung Tirols hin zu mehr Vielfalt und dem zuletzt
stark forcierten zeitgemäßen Zugang zur Erinnerungskultur gelingt,
zerfleddert in der Alltagspolitik. Gerade in den zentralen
Kraftfeldern der ÖVP wie Wirtschaft, Tourismus oder Energiepolitik
vermisst die grüne Basis deshalb Durchschlagskraft für
Nachhaltigkeit, Natur- und Landschaftsschutz. Zugleich werden
Wirtschafts- und Bauernflügel in der Tiroler Volkspartei vom
wirtschaftsfreundlichen Kurs der türkis-blauen Bundesregierung
beflügelt. Auch darin steckt ein schleichendes Konfliktpotenzial für
die schwarz-grüne Landesregierung. Andererseits zermürbt der
ÖVP-interne Machtkampf über Widmungs- und Raumordnungsfragen die
grünen Ambitionen für leistbares Wohnen.
Als Landeshauptmannstellvertreterin verkörpert vor allem Ingrid
Felipe diese innere Zerrissenheit der Grünen, aber auch den
Regierungs-Kompromiss. Vom Glanz der einstigen grünen Strahlefrau ist
in den Mühen der politischen Ebene nicht mehr viel übrig geblieben.
Wenn intern und mit der ÖVP um jede Entscheidung gerungen werden
muss, dann nützt das freilich ab. Felipe ist allerdings die
personifizierte Bürgschaft für Schwarz-Grün, Platter lässt darüber
keine Zweifel aufkommen. Dass er mit den Freiheitlichen nicht kann
und sich die SPÖ selbst aus dem Spiel genommen hat, gilt darüber
hinaus als wichtige Koalitionsversicherung. Außerdem wäre ein
vorzeitiges Koalitions-Aus ein herber Rückschlag für den grünen
Wiederaufbau auf Bundesebene.
So gesehen ist das ständige Dilemma der Grünen der dritte
Koalitionspartner. Ob die Regierung trotz Platters Superkleber auf
Dauer hält, bleibt deshalb fraglich.
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