Max Zirngast: Fragmente einer Rede zur Verleihung des Dr. Karl Renner Solidaritätspreises

Wien (OTS) – Vorbemerkung der Solidaritätskampagne #FreeMaxZirngast

Dem seit über drei Monaten in der Türkei inhaftierten Max Zirngast
wurde gestern im Wappensaal des Wiener Rathauses der Dr. Karl Renner
Solidaritätspreis verliehen. Die Laudatio hielt Meşale Tolu,
Preisträgerin im letzten Jahr. Barbara Zirngast, die Mutter von Max
Zirngast, nahm den Preis entgegen. Eine eindrückliche
Kunstinstallation, die im Foyer der Preisverleihung aufgehängt wurde,
erinnerte zudem an die Situation des inhaftierten Journalisten und
Aktivisten. Für Max Zirngast gestalteten die Wiener Künstler*innen
Shabnam Chamani, Ezgi Erol und Antonio Semeraro die überdimensionale
Sound-Objekt-Installation „BRIEFGEHEIMNIS“. Diese bestand aus zwei
Elementen: einerseits aus zwei überlebensgroßen Briefseiten von Max
Zirngast aus dem Gefängnis, zum anderen aus vier Lautsprechern, die
in sechs verschiedenen Sprachen vertonte Teile der Briefe von Max
Zirngast abspielten.

Die Briefseiten waren mehrfach perforiert und somit in kleinere
Teilstücke unterteilt, welche Gäste der Veranstaltung abtrennen
konnten. Diese Segmente waren ungefähr so groß wie Visitenkarten. Die
Aufteilung der Briefseiten an eine Gruppe von Menschen spiegelt, so
das Ansinnen der Künstler*innen, den solidarischen Einsatz und die
Anteilnahme derer wider, die versuchen, auf Max Zirngasts momentane
Situation aufmerksam zu machen. Max’ Präsenz wurde durch das intimste
dargestellt, was an die Außenwelt treten kann: Seine Gedanken in
geschriebener Form. Die Sound-Installation korrelierte mit seinen
ausgeprägten Sprachkenntnissen, aber auch mit der Tatsache, dass Max’
Situation keine Türkei-spezifische ist. Das Recht auf freie
Meinungsäußerung ist ein Grundrecht und ebendieses wird in vielen
Ländern der Welt spärlich bis gar nicht geachtet.

Max Zirngast hatte den Hauptteil seiner Rede für den Empfang des
Dr. Karl Renner Solidaritätspreises bereits Ende November geschrieben
und ihn per Post an die Solidaritätskampagne versandt. Dieser Brief
ist jedoch nie angekommen. Vor wenigen Tage, am 14. Dezember, wurde
Max Zirngast seitens des Gefängnisses mitgeteilt, dass der Brief
nicht durchgestellt wurde, da er „problematische Passagen“ beinhalte.
Max selber wie auch wir als Solidaritätskampagne begreifen dies als
eindeutigen Zensurversuch. Dieser neueste Willkürakt reiht sich ein
in die Logik von drei Monaten politischer Justiz, deren einziges Ziel
es ist, einen oppositionellen Studenten, Aktivisten und Journalisten
mundtot zu machen und ihn zu zermürben. Der „Fall Max Zirngast“
wiederum ist kein Einzelfall, sondern reiht sich ein in das
allgemeine Vorgehen eines zunehmend diktatorialen Regimes, das
jedwelche Opposition kriminalisieren, zermürben, vernichten möchte.

Weder dieser Zensurversuch noch die Zermürbungstaktik werden
aufgehen. Max Zirngast hat nach dem Verfassen der Rede in mehreren
anderen Briefen darauf Bezug genommen. Er hat dabei fragmentarische
Änderungsvorschläge beziehungsweise Hinzufügungen benannt. Im
Anwaltsgespräch am vergangenen Freitag hat er zudem eine grobe Skizze
in Form von Stichwörtern weitergegeben, wie seine Rede geplant war.
Anstatt der ursprünglichen Rede gibt es nun also die Fragmente
derselben. Sie machen, so denken wir, die Zerstörung und Zersetzung
sichtbar, die das derzeitige Regime in der Türkei am gesprochenen und
geschriebenen Wort ausrichtet.

Ursprünglich sollten diese Fragmente der Rede von Max durch eine
Beteiligte der Solidaritätskampagne an der Preisverleihung verlesen
werden. Leider entfiel dies aufgrund von Zeitverzögerungen im Ablauf.
Wir sind der Ansicht, dass die Worte von Max, die dieser speziell für
diesen Anlass niedergeschrieben hat, einen wichtigen Beitrag und eine
Ergänzung aus Sicht des Preisträgers selbst darstellen.

Hiermit dokumentieren wir sie.

Zwtl.: Erstes Fragment. Aus den Notizen des Anwalts im Gespräch mit
Max, 14. Dezember 2018

Ich habe den Brief mit der Rede schon längst abgeschickt, aber am
14. Dezember wurde mir mitgeteilt, dass der Brief nicht versendet
wird, da er „problematische Stellen“ beinhalte. Das sehe ich als
einen direkten Zensurversuch an. Betrachtet man dies gemeinsam mit
dem Umstand, dass auch meine Besucher*innen abgelehnt werden, heißt
das, dass versucht wird, mich zu isolieren.

Am Anfang der Rede muss ein Dankeswort stehen.

insbesondere und natürlich Dank an meine Mutter und an meinen
VaternDank an Alp, Hasan, Ipek, Johanna, alle anderennBezugnahme auf die Weltwirtschaftskrise – Tendenzen zum Autoritarismus – Auswirkungen insbesondere auf Minderheiten, Frauen, Arbeiter*innen, Gewerkschaften und Journalist*innenndie letzten Jahre in der Türkei ansprechenndie Zahl der Inhaftierten, Zahl der inhaftierten Journalist*innennüber Ausnahmezustandsdekrete, unbedingt Mehmet Fatih Tıraş erwähnennHrant Dink, Ahmet Şık erwähnen und Repression gegen Journalist*innen darstellennDruck auf Journalist*innen seitens Kapital (Monopolisierung) und Politiknkein türkischer Journalistenausweis – ich schreibe Artikel, Essays – guter/schlechter Journalismus (Namen braucht es keine)ndie Bedeutung von gutem, kritischem Journalismusneinige Worte, die Hoffnung spendennZwtl.: Zweites Fragment. Aus dem Brief vom 4. Dezember 2018

Noch einige Notizen zur Rede, ich hoffe das macht es besser.

1. Die persönliche Einleitung ist glaube ich ganz OK so.

2. Den allgemeinen Teil zur Welt habe ich kurzgehalten. Es ließen
sich noch ein oder zwei Dinge hinzufügen, insbesondere zur
Pressefreiheit. Sieht man sich Daten von Reporter ohne Grenzen oder
ähnlichen Institutionen an, so ist der weltweite Trend eindeutig:
Morde an Journalist*innen, Zunahme von Druck und Einschränkungen,
allgemeine Verschlechterung der Situation von Journalist*innen und
der Pressefreiheit.

3. Insbesondere der Teil zur Türkei muss noch stark bearbeitet
werden. Ich habe die Stellen zum Teil markiert. Wenn wir die Familien
und Bekannten der von den Ausnahmezustandsdekreten Betroffenen und im
Rahmen von Ausnahmezustandsdekreten Verhafteten hinzunehmen, sind
Millionen von Menschen betroffen. Das stellt eine unglaubliche
soziale Verwüstung dar und wird in Zukunft enorme Probleme
hervorbringen. Hass, Wut, Hoffnungslosigkeit sammeln sich an. Laut
Zahlen der unabhängigen Medienplattform bianet haben bis zum 1.
Januar 2018 43 Menschen, die im Rahmen von Ausnahmezustandsdekreten
entlassen wurden, den Freitod gewählt. Hier möchte ich kurz
innehalten im Angedenken an meinen, an unseren lieben Freund Dr.
Mehmet Fatih Tıraş. Er war Friedensakademiker an der Çukurova
Universität, das heißt er trat gegen den Krieg auf und unterschrieb
die Petition von Akademiker*innen, die zum Frieden aufriefen. Deshalb
wurde er von einem seiner Profs denunziert und der Rektor sorgte
dafür, dass er von der Universität entfernt wurde – ohne dass es eine
offizielle Untersuchung geschweige denn Anklage gegen ihn gab. Er
kämpfte um eine Neuanstellung, hatte aber keine Chance mehr. Am 24.
Februar 2017 wählte er den Freitod. Seine Geschichte ist ein Beispiel
jener sozialen Verwüstung.

4. Meiner Ansicht nach ist die Monopolisierung im Mediensektor,
der ökonomische Druck, überhaupt die Monopolisierung der
Nachrichtenströme in der Welt ein wichtiger Punkt. Es bedarf hier
einer Medienkritik, die über den Hinweis auf politische
Beschränkungen und Hindernisse hinausgeht. Letztlich werden aber auch
die sogenannten Mainstream-Medien immer mehr dem Druck ausgesetzt.
Auch in Europa. In den USA denke man nur an den Konflikt zwischen
Trump und CNN. Die Türkei ist diesbezüglich um einige Schritte
voraus. Sogar ein so neoliberales Forschungsinstitut wie Freedom
House spricht davon, dass es so etwas wie Pressefreiheit in der
Türkei nicht mehr gibt.

Deshalb möchte ich beim Teil zu gutem Journalismus noch folgendes
hinzufügen: Eine lebendige Medienlandschaft, die den Ideenaustausch
ermöglicht, ist für eine im echten Sinne des Wortes demokratische
Gesellschaftsformation, die auf festen Fundamenten beruht und
tatsächlich funktioniert, von entscheidender Bedeutung. In der Türkei
wird dies unterdrückt. Die Gedanken können nicht frei diskutiert
werden. Auch wer schreibt, muss dreimal über das Geschriebene
nachdenken. Diese Problematik sehen wir nicht nur in der
Medienlandschaft, sondern vor allem auch an den Hochschulen. Tausende
Akademiker*innen wurden seit 2016 entlassen, tausende
Bildungseinrichtungen geschlossen. In diesem Rahmen ist auch auf das
Schicksal des ehemaligen Vorsitzenden der Anwaltskammer von
Diyarbakır, Tahir Elçi hinzuweisen. Er war ein Anwalt, der sich wie
kaum ein anderer für Menschenrechte einsetzte und selbstverständlich
kein Mitglied einer „illegalen Terrororganisation“ war. Elçi und
tausende andere wurden und werden als „Terroristen“ denunziert und im
wahrsten Sinne des Wortes zum Abschuss freigegeben, weil sie ihre
Gedanken frei äußerten. Im wahrsten Sinne des Wortes zum Abschuss
freigegeben: Tahir Elçi wurde bei helllichtem Tag auf offener Straße
während einer Pressekonferenz in Diyarbakır im November 2015
erschossen. Bis heute sind die Umstände seiner Ermordung nicht
geklärt.

Deshalb noch einmal dieser ganz wichtige Punkt: Die Bedeutung
einer lebendigen Diskussionskultur; die Möglichkeit, Ideen souverän
und frei von Angst diskutieren zu können.

Zwtl.: Drittes Fragment. Aus dem Brief vom 5. Dezember 2018

Mein letzter Zusatz zur Rede. Es ist wichtig hervorzuheben, dass
sich die Welt weiterhin in der Krise befindet, dass sich die Politik
der Mitte immer mehr auflöst und nach rechts driftet. Ich weiß nicht,
ob ich diesen Punkt bisher klar genug gemacht habe.

Hier enden die Aufzeichnungen zur Rede. Als Solidaritätskampagne
werden wir uns unermüdlich dafür einsetzen, Max’ Stimme und Worte
weiterzutragen. Bis Max wieder in Freiheit ist.

Solidaritätskampagne #FreeMaxZirngast
Agnes Schmiedbauer
+436502716092
freemaxzirngast@riseup.net
https://freemaxzirngast.org/

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