“Plattform Rechtsstaat”anlässlich des “Day of the Endangered Lawyer” auch zu aktuellen Äußerungen des österreichischen Innenministers

Stellungnahme der Plattform Rechtsstaat auch zur Beseitigung des Rechtsstaats in der Türkei

Wien (OTS) – In der Türkei sind u.a. auch tausende Anwälte*innen und Richter*innen, sonstige Akademiker*innen und Journalisten*innen in Haft. Der Vorwurf lautet: Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Tatsächlich geht es dabei aber um die Ausschaltung jener Eliten, die dem Machtstreben Erdogans und der AKP kritisch gegenüber stehen. Nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 folgte eine (durch bereits zuvor erstellte „schwarze Listen“ vorbereitete) Entlassungs- und Verhaftungswelle, die auch ein Viertel der türkischen Justiz umfasste. Die Ausrufung und mehrfache Verlängerung des Ausnahmezustands als „Inszenierung der Krise“ war auch das Startsignal für die endgültige Ausschaltung der Unabhängigkeit der Rechtssprechung, deren Richterrat von der AKP schon zuvor politisch unterwandert worden war, aber auch für die Inhaftierung engagierter Anwälte*innen, die sich im Kampf um faire Verfahren für ihre Mandanten einsetzten. Beim Großteil der eingangs erwähnten Inhaftierten handelt es sich also um politische Gefangene.

Was aber stützt die Behauptung, es handle sich vielfach um rechtswidrig festgehaltene Personen? Den Inhaftierten, die zum Teil mehr als ein Jahr auf die Anklage warten, werden die Gründe für ihre Festnahme lange überhaupt nicht gesagt und dann krampfhaft nach Möglichkeiten zur Untermauerung angeblicher Hinweise auf die behauptete Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gesucht. Angesichts dieser Entwicklungen, die auch tausende Justizangehörige sowie Journalisten ohne konkreten Tatverdacht ins Gefängnis brachten, bildeten die vier europaweit tätigen Richterorganisationen (AEAJ – Association of European Administrative Judges, EAJ – European Association of Judges, MEDEL -Magistrats Européens pour la Démocratie et les Libertés und Judges for Judges) eine „Platform for an Independent Judiciary in Turkey.“ Schon im Oktober 2016 richtete diese Platttform einen Aufruf an die türkischen und europäischen Verantwortlichen, mit Nachdruck darauf hinzuwirken, dass fundamentale Rechte eingehalten werden, wie der Zugang zu Anwälten sowie das Vorliegen zumindest einer konkreten Verdachtslage bezüglich einer Straftat. Ähnliche Statements, die das Fehlen einer unabhängigen Justiz in der Türkei zum Ausdruck bringen, stammen von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und vom Commissioner of Human Rights of the Council of Europe. All diese Organisationen appelierten auch an die europäischen Institutionen im Europarat und der Europäischen Union, auf die Türkei einzuwirken -bisher vergeblich.

Vor diesem Hintergrund hat sich in Österreich die Plattform Rechtsstaat gebildet mit dem Ziel, Aufmerksamkeit für die Ausschaltung des Rechtsstaats in der Türkei zu wecken, juristische Hilfestellungen zu leisten („amicus curiae“) und die europäische Politik zu wirksamen Gegenmaßnahmen – vor allem der Einbringung einer Staatenbeschwerde zwecks umgehender Prüfung der menschenrechtlichen Verstöße in der Türkei durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) – zu bewegen.

Dieser Plattform Rechtsstaat gehören u.a. an: International Press Institute (IPI), Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (BIM), Österreichische Liga für Menschenrechte, Österreichischer Journalisten Club (ÖJC), Rechtsanwaltskammer Wien und Vereinigung österreichischer Richterinnen und Richter.

Plattform Rechtsstaat und Verein Justizgeschichte und Rechtsstaat wollen aber nicht nur internationalen Fehlentwicklungen wie in der Türkei entgegen wirken, sondern – wo immer sie getätigt werden -unsensible oder unbedachte Äußerungen zu Rechtsstaat und Menschenrechten aufzeigen. Die Bevölkerung darf sich – gerade in demokratischen Rechtsstaaten – von Politikern, die Krisen instrumentalisieren, nicht soweit manipulieren lassen, ihre eigenen mühsam errungenen Rechte und Freiheiten abzuschaffen.

Innenminister Kickl wird am 17.1.2019 in der Kronen Zeitung unter dem Titel „Gewalttäter abschieben – oder örtlich binden!“ wie folgt zitiert:
„Ich bin bereit in dieser Diskussion Tabus zu brechen. Wenn die Täter bereits besser als die Opfer geschützt werden, ist das ein letztes Anzeichen für eine degenerierte Gesellschaft, die über ihr eigenes Rechtssystem stürzt.“
Am 22.1.2019 im ORF-Report hat der Innenminister angekündigt, Grundregeln wie die Menschenrechtskonvention hinterfragen zu wollen. Angesprochen darauf, dass Ausgangssperren für Asylwerber und die rasche Abschiebung von Flüchtlingen an rechtsstaatliche Grenzen stoßen könnten – etwa die Menschenrechtskonvention oder EU-Recht -meinte Kickl, man müsse darauf achten, nicht über die eigenen Gesetze zu stolpern. Vielfach seien das “irgendwelche seltsamen rechtlichen Konstruktionen, teilweise viele, viele Jahre alt aus ganz anderen Situationen heraus entstanden” über die er eine Debatte führen möchte: “Denn ich glaube immer noch, dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht.” (Quelle: Salzburger Nachrichten, online)

Der Rechtsstaat darf seine Grundsätze auch in Krisensituationen nicht verleugnen. Sicherheit hat der Freiheit zu dienen und natürlich haben auch Minister an der Spitze der Exekutive – wie jede der Staatsgewalten und der einzelne Bürger – die Spielregeln von Recht und Verfassung einzuhalten. Europäische Politiker sollten dafür Vorbild sein und Werbung für die wichtigen Errungenschaften des demokratischen Rechtsstaats, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Europäischen Union machen.

Österreichischer Journalisten Club
Margarete Turnheim
Generalsekretariat
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