Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 1. Juni 2019. Von MARIO ZENHÄUSERN. „Abheben, wenn jemand anruft“.
Innsbruck (OTS) – Die neue Regierung wird das Land verwalten und nicht spalten. Das könnte dem Team rund um die künftige Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein kaum gekannte Popularität verleihen und es zur Antithese der zankenden Parteien machen.
Österreich steht vor einer mehrmonatigen Phase, in der das Land von Experten und nicht von Politikern regiert wird. Nun sind Politiker nicht zwingend keine Experten. Aber in der Vergangenheit mitunter großkoalitionär vereinbarte, nichtsdestotrotz schwer nachvollziehbare Wechsel in der Ressortzuständigkeit haben doch des Öfteren Zweifel aufkommen lassen, ob Fachkompetenz immer ein Kriterium für die Bestellung von Ministerinnen und Ministern ist. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an ein Regierungsmitglied, das in etwas mehr als acht Jahren für Gesundheit, Familie und Jugend, Verkehr, Innovation und Technologie sowie für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Verantwortung übernahm oder übernehmen musste. Eine kaum zu stemmende Aufgabe. Deshalb ist der Wunsch vieler Menschen nach echten Experten in der Bundesregierung verständlich.
Die künftige Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein und Bundespräsident Alexander Van der Bellen scheinen genau das in Angriff nehmen zu wollen. Zumindest weisen die ersten Bestellungen in diese Richtung. Die Neuen in der Regierung stoßen, auch das ein Novum in der heimischen Innenpolitik, auf breite Zustimmung. Erste Reaktionen sind durchwegs positiv. Es ist davon auszugehen, dass die Regierungschefin diesen Kurs beibehalten und für die noch zu besetzenden Posten ähnlich unumstrittene Personen nominieren wird. Damit garantiert sie die oft geforderte Stabilität Österreichs und verhindert eine weitere Zuspitzung der innenpolitischen Turbulenzen. Zumindest auf Regierungsebene wird bald wieder jene harmonische Sachlichkeit einziehen, die spätestens nach der Veröffentlichung des verheerenden Ibiza-Videos schmerzlich abhandengekommen ist.
Die künftige Bundesregierung pflegt intakte Beziehungen zu allen politischen Lagern. Sie wird das Land verwalten und nicht spalten. Und, wie Bundespräsident Alexander Van der Bellen es in seiner unnachahmlichen Art erklärte, „das Telefon abheben, wenn der Wirtschaftsminister eines anderen Staates anruft“. Reformen, unpopuläre Maßnahmen oder Streit sind nicht zu erwarten, vielmehr Harmonie und Verständnis für die Sorgen der Menschen. Das könnte Brigitte Bierlein und ihrem Team in der Bevölkerung eine bisher kaum gekannte Popularität verleihen.
Der Unterschied zur heimischen Innenpolitik könnte nicht krasser sein. Die Parteien befinden sich ab sofort im Wahlkampf – und der wird, allen Beteuerungen der Parteistrategen zum Trotz, tief und schmutzig.
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