SWR Doku Festival: „Das Private ist politisch“

Baden-Baden (ots) – U. a. im Festivalkino: der historische Dokumentarfilm „Anniversary of the Revolution“ und „Sunset Over Hollywood“ von Uli Gaulke / 26. bis 29. Juni, Stuttgart

55 Filme an drei Spielorten – insgesamt über 3.000 Minuten Filmprogramm: Das ist das SWR Doku Festival mitten in Stuttgart. In der dritten Auflage erwartet Filmfans vom 26. bis 29. Juni 2019 die ganze Vielfalt des Dokumentarfilms, einem Genre so bunt und originell wie das Leben selbst. Beim Festival treffen Regisseure, Produzenten, Redakteure, Studierende und Zuschauer aufeinander – in den Kinosälen, der Doku-Lounge im Haus der Katholischen Kirche und der SWR Doku Straße.

Persönliches gespiegelt mit gesellschaftlich relevanten Themen

„Das Private ist politisch“: Das zieht sich wie ein roter Faden durch das Festivalprogramm, so Festivalleiter Goggo Gensch. Ob Tragödie des 20. Jahrhunderts oder kritische Auseinandersetzung mit den sozialen, ökologischen und psychologischen Folgen menschlichen Handelns – viele Filmschaffende spiegeln ihr persönliches Erleben mit gesellschaftlich relevanten Fragen.

Lange verschollenes Juwel

Das gilt auch für ein echtes Doku-Fossil: „Anniversary of the Revolution – Jahrestag der Revolution“ mit Bildern von Menschenmengen, Bauern in Dörfern und den Revolutionären Lenin und Trotzki aus der Oktoberrevolution 1917. Der Film von Dziga Vertov gilt als der älteste mit 120 Minuten abendfüllende Dokumentarfilm, war jedoch lange verschollen. Nach jahrzehntelanger Suche und aufwändiger Restaurierung ist dieses einzigartige Dokument seit 2018 wieder in seiner ursprünglichen Fassung zu sehen, unter Anwesenheit von Rekonstrukteur Nikolai Izvolov und mit stilechter Klavierbegleitung von Uwe Oberg live im Kino.

Nachwuchsfilm und neuer Moderator

Max Moor, bekannt u. a. aus der Kultursendung „ttt – titel, thesen, temperamente“ im Ersten, ist neuer Moderator des SWR Doku Festivals. Er moderiert am Freitagabend auch die Verleihung, des „Deutschen Dokumentarfilmpreises“ mit seinen fünf Auszeichnungen im Gesamtwert von 37.000 Euro. Noch nie in der Geschichte des Preises haben sich so viele Filmemacherinnen und Filmemacher beworben wie 2019: 138 Filme wurden in diesem Jahr eingereicht. Fast die Hälfte der Arbeiten kamen dabei von Regisseurinnen, ein Drittel der Arbeiten stammt von Nachwuchsfilmschaffenden. Darunter auch Beryl Magokos Abschlussfilm „In Search…“, der sich mit dem Thema weibliche Genitalverstümmelung auseinandersetzt und mitnimmt auf eine sehr persönliche Reise. „Born in Evin“ ist die Geschichte von Regisseurin und Schauspielerin Maryam Zaree auf der Suche nach den gewaltvollen Umständen ihrer Geburt in einem der berüchtigtsten politischen Gefängnisse der Welt. Mit „Sotschi – Jenseits von Olympia“ und „Mein Herz ist groß – Jesidische Frauen in Tübingen“, beide aus dem Programm des Zentrums für Medienkompetenz Tübingen, feiern zwei Nachwuchsfilme auf dem Festival ihre Weltpremiere. Drei weitere Hochschulen stellen ihre aktuellen dokumentarischen Arbeiten vor.

Musikbranche hautnah

Seit letztem Jahr wird ein von der Opus GmbH gestifteter Musikpreis verliehen. Unter den nominierten Filmen ist unter anderem „Weil du nur einmal lebst – Die Toten Hosen auf Tour“ von Cordula Kablitz-Post, ein Film über die Punkband auf einer ihrer größten Tourneen: Auf der Bühne, backstage „access all areas“, hautnah und privat. „Fuck Fame“ von Lilian Franck und Robert Cibis zeigt, wie Anna, seit ihrem Breakout-Hit „Pop the Glock“ unter dem Künstlernamen Uffie eine Ikone des Elektro-Raps, zwischen Drogen-Hedonismus, Musikindustrie-Bürokratie und Social-Media-Manie ins Wanken kommt. Rapper-Mekka Stuttgart ist Thema von „Willkommen in der Mutterstadt“ von Hannes Opel und Siri Warrlich. Die Fantastischen Vier, Max Herre, Cro, Die Orsons, Marz, Bobby Sayyar, Bartek sowie Fans, DJs und Veranstalter – mehr als ein Jahr lang wurden die Größen der Stuttgarter Hip-Hop-Szene begleitet, auf Konzerten, in Studios, auf Partys.

„Sunset Over Hollywood“

Einst das Rückgrat des amerikanischen Showbiz, verbringen Schauspieler, Produzenten, Tonleute, Maskenbildner und Regisseure ihren Lebensabend nördlich von Los Angeles, im Altersheim der US-Filmindustrie. Aber das Alter kann den Schaffensdrang dieser vergessenen Hollywood-Helden nicht bremsen. Im hauseigenen Filmstudio schreiben und produzieren sie weiterhin Filme. Die SWR Koproduktion „Sunset Over Hollywood“ von Uli Gaulke begleitet sie dabei und erzählt von den Träumen und Hoffnungen jenseits des Rampenlichts.

„Genesis 2.0“

Der Film von Christian Frei beobachtet den harschen und gefährlichen Alltag von Sammlern von Mammutstoßzähnen auf einer abgelegenen Inselgruppe im hohen Norden Sibiriens und porträtiert hochtechnisierte Klonforscher, die das ausgestorbene Wollhaarmammut nach Jurassic Park-Manier wieder zum Leben erwecken lassen möchten. Die Auferstehung des Mammuts wäre eine erste Manifestation einer großen technologischen Revolution: Der Mensch als Schöpfer, Genesis Zwei Punkt Null.

„Was kostet die Welt“ Die Insel Sark im Ärmelkanal ist britischer Kronbesitz. Das Leben der rund 600 Einwohner war einfach und beruhte mehr auf gegenseitigem Vertrauen als auf Gesetzesvorgaben. Als zwei Milliardäre versuchen, auf der Insel ihre eigene, private Steueroase zu errichten, entfaltet sich ein erbitterter Kampf um Demokratie, um Meinungs- und Pressefreiheit. Der Film von Bettina Borgfeld wirft fundamentale Fragen auf: nach sozialer Verantwortung, nach den Schlupflöchern der Finanzindustrie und nach dem Schicksal derer, die sich ihr widersetzen wollen.

„Push – Für das Grundrecht auf Wohnen“

Die Mietpreise schnellen in die Höhe, Menschen werden aus ihren Wohnungen gedrängt. „Push“ wirft ein Licht auf eine neue Art des anonymen Hausbesitzers, auf immer weniger bewohnbare Städte und eine eskalierende Krise, die alle betrifft. Der neue Dokumentarfilm des vielfach ausgezeichneten Regisseurs Fredrik Gertten untersucht, warum es sich viele nicht mehr leisten können, in Städten zu wohnen.

„Searching Eva“

Eva – 25, Vagabundin, Model, Dichterin, Sex-Arbeiterin, Feministin, Musikerin, Sternzeichen Jungfrau – gab sich mit 14 Jahren den Namen selbst, erklärte Privatsphäre zu einem überholten Konzept und veröffentlichte ihr Leben bis ins intimste Detail im Internet. Pia Hellenthal erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die aus ihrer Selbstsuche ein öffentliches Spektakel macht. Es offenbart sich eine Generation, für die das Konzept einer fixen Identität ausgedient hat.

„The Whale and the Raven“

Ein Fjordsystem und Naturparadies als Zufluchtsort für Orcas, Buckel- und Finnwale. Mittendrin eine Kleinstadt, von der aus Gas auf Supertankern nach Asien exportiert werden soll. Die Bevölkerung ist gespalten: Das Territorium und die darin lebenden Tiere schützen? Oder dem Druck der Industrie nachgeben? Der Film von Mirijam Leuze gibt einen tiefen Einblick in ein einzigartiges Biotop und dessen menschliche und nicht-menschliche Bewohner.

„Heimat ist ein Raum aus Zeit“

Der Film von Thomas Heise folgt den biografischen Spuren einer zerrissenen Familie über das ausgehende 19. und das folgende 20. Jahrhundert hinweg. Es geht um Sprechen und Schweigen, erste Liebe und verschwundenes Glück, Menschen in wechselnden Landschaften, die verschiedene, einander durchwuchernde Spuren von Zeiten in sich tragen. „Heimat ist ein Raum aus Zeit“ ist eine poetische Montage über Liebe und die Tragödien der Geschichte.

Umfangreiches Begleitprogramm in der SWR Doku Lounge

In der SWR Doku Lounge sprechen Filmemacher über ihre Arbeit, es gibt zudem umfangreiche medienpädagogische Informationen für Eltern sowie einen filmpädagogischen Fachtag unter dem Motto: „Wege zum Dokumentarfilm im Unterricht“. Mit Fachvorträgen und kurzen Praxisberichten wird aufgezeigt, wie das Potenzial des Mediums für den Unterricht eingesetzt werden kann. Nach dem großen Erfolg im letzten Jahr findet wieder der Kinder- und Jugendworkshop „Pocket Doku – Dokumentarfilm aus der Hosentasche“ statt. In „Pocket Doku“ erlernen Kinder und Jugendliche, wie sie ihren eigenen Dokumentarfilm mit dem Smartphone oder dem Tablet drehen und schneiden können. Die Ergebnisse werden dann am Samstag auf großer Leinwand präsentiert.

Lange Doku Nacht im SWR Fernsehen

Für die Dokfilmfans, die nicht nach Stuttgart fahren können, wird es wie in den Vorjahren auch in diesem Jahr eine lange Doku Nacht im SWR Fernsehen geben. Am Donnerstag, 27.6. laufen drei Künstlerporträts unter dem Motto „radikal gut“. Um 23:45 Uhr läuft „Beuys“ von Andres Veiel, gefolgt von „Pawlenski – Der Mensch und die Macht“ von Irene Langemann und schließlich „Wer hat Angst vor Sibylle Berg?“ von Sigrun Köhler und Wiltrud Baier.

Das SWR Doku Festival

Das SWR Doku Festival findet im Sommer 2019 zum dritten Mal statt. Im Programm werden bemerkenswerte Dokus, Porträts, Reportagen, Essays und andere dokumentarfische Formate gezeigt. Im Festivalrahmen findet weiter die Verleihung des „Deutschen Dokumentarfilmpreises“ statt. In fünf Kategorien werden Auszeichnungen im Gesamtwert von 37.000 Euro vergeben. 138 Filme stehen in diesem Jahr für den Deutschen Dokumentarfilmpreis, gestiftet von SWR und Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg, den Leserpreis der Stuttgarter Zeitung, den Preis der Norbert Daldrop Förderung für Kunst und Kultur, den Förderpreis vom Haus des Dokumentarfilms sowie den Preis für den besten Dokumentarfilm aus dem Bereich Musik, gestiftet von der Opus GmbH, zur Auswahl. Über die Preise entscheidet eine unabhängige, siebenköpfige Jury aus den Bereichen des Film- und Kunstschaffens; für den besten Dokumentarfilm aus dem Bereich Musik ist eine eigene Fachjury verantwortlich. Parallel zum SWR Doku Festival findet am 27. und 28. Juni 2019 unter dem Motto „Animierte Wirklichkeit – Zwischen Fakt und Fiktion“ „Dokville“, der Branchentreff Dokumentarfilm statt.

Informationen, Foto und Video unter: http://swr.li/swr-doku-festival-2019

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