„Report Mainz“ heute, 21:45 Uhr im Ersten / Sprecher für Menschenrechte der SPD-Bundestagsfraktion fordert Aufkündigung der „Seehofer-Deals“
Mainz (ots) – Asylbewerber und Nichtregierungsorganisationen berichten von menschenunwürdigen Haftbedingungen in Griechenland nach der Zurückweisung von der deutsch-österreichischen Grenze. Solche Zurückweisungen sind seit August 2018 im Rahmen von Rücknahmeabkommen mit Griechenland und Spanien möglich. Diese Abkommen waren Resultat eines erbitterten Streits zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer im vergangenen Sommer um eine direkte Zurückweisung von Asylbewerbern an der deutschen Grenze. Als Kompromiss hatte sich die Große Koalition auf bilaterale Abkommen verständigt, die eine solche Rückführung möglich machen – bekannt geworden als „Seehofer-Deals“.
Ein Asylbewerber war nach eigenen Angaben nach seiner Rückführung insgesamt drei Monate in Haft. Der Griechische Flüchtlingsrat, der den Betroffenen mittlerweile anwaltlich vertritt, bestätigt diese Angaben. Das ARD-Politikmagazin „Report Mainz“ konnte entsprechende Dokumente einsehen, die die Inhaftierung belegen. Nach Angaben seines Anwalts hat der syrische Asylbewerber mehr als einen Monat der Haftzeit in einer Arrestzelle verbracht, die eigentlich für eine maximal 24-stündige Haft vorgesehen ist. Er hatte nach eigenen Angaben keinen Zugang zu Hofgängen, musste in einer verdunkelten Zelle auf dem Boden schlafen. Die griechische Nichtregierungsorganisation AITIMA bestätigt ähnliche Fälle. Auch sie betreut zwei Asylbewerber, die nach dem „Seehofer-Deal“ von der deutsch-österreichischen Grenze nach Griechenland abgeschoben wurden. Beide seien nach ihrer Ankunft inhaftiert worden, einer von ihnen einen Monat lang in einer Arrestzelle am Athener Flughafen, auch ihm seien keine Hofgänge gestattet worden.
Das Bundesinnenministerium teilt auf Anfrage von „Report Mainz“ schriftlich mit, dass grundsätzlich keine Erkenntnisse zu den jeweiligen Einzelfällen vorlägen. „Nach ihrer Ankunft am Athener Flughafen unterliegen die Personen der Zuständigkeit der griechischen Behörden“, so ein Sprecher des Innenministeriums.
Asylrechtsexperten kritisieren das Rücknahmeabkommen mit Griechenland als europarechtswidrig. Constantin Hruschka vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht in München im Interview mit „Report Mainz“: „Das ist eklatant europarechtswidrig und das kann in dieser Form keinen Bestand haben. Ich denke nicht, dass es so einen offensichtlichen Rechtsbruch in der Ära des Asylrechts schon gegeben hat.“ Er kritisiert, dass vor den Zurückweisungen keine Prüfung stattfindet, ob eine Rückführung zum Beispiel nach Griechenland menschenrechtlich unbedenklich sei. Die Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge in Griechenland gelten als sehr schlecht. Eine solche Prüfung sei in der in Europa geltenden Dublin-Verordnung eigentlich vorgesehen. Damit sei das Abkommen laut Hruschka europarechtswidrig.
Das Bundesinnenministerium teilte auf Anfrage mit, es teile diese Rechtsauffassung nicht. Bei den Zurückweisungen von der Grenze handele es sich um vorgelagerte Verfahren, „so genannte Pre-Dublin-Verfahren“. Dafür gäbe es „keine besonderen Verfahrensregelungen“. Der Asylrechtsexperte Daniel Thym von der Universität Konstanz, der regelmäßig als Berater von CDU und CSU arbeitet, kritisiert diese Aussage: „Die Vorstellung, dass man auf deutschem Boden die Dublin-Verordnung überhaupt nicht zur Anwendung bringt, das dürfte juristisch sehr schwer zu argumentieren sein. Das funktioniert so einfach nicht und wenn jemand das sich so vorgestellt haben sollte, dann hat er juristisch geirrt.“
Der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Frank Schwabe fordert eine Aufkündigung der Rücknahmeabkommen: „Dieses Verfahren muss umgehend abgeschafft werden, es beschädigt den Rechtsstaat. Deutschland hat dafür Rechnung zu tragen, dass Menschen, die schlichtweg auf der Flucht sind, nicht so lange im Gefängnis sind.“
Auch die migrationspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke, Gökay Akbulut, kritisiert die Zurückweisungen in griechische Haft: „Deutsche Behörden können nicht einfach blind nach Griechenland abschieben ohne die faktische Situation zu berücksichtigen, die weiterhin ein humanitäres Desaster ist. Es kann nicht sein, dass der Großteil der aufgrund des ‚Seehofer-Deals‘ abgeschobenen Menschen am Ende in Griechenland in Haft sitzen“.
Bislang ist das Rücknahmeabkommen mit Griechenland nur in wenigen Fällen angewendet worden. Das Innenministerium bestätigt auf „Report Mainz“-Anfrage insgesamt 26 Zurückweisungen nach Griechenland und zwei Zurückweisungen nach Spanien.
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