TIROLER TAGESZEITUNG: Leitartikel vom 1. August 2019 von Irene Rapp – Nicht tolerierbarer Akt der Selbstjustiz

Innsbruck (OTS) – Der Wolf in Sellrain ist kein Einzelfall. Schon früher schossen Wilderer in Österreich Luchse und Bären. Straftaten, die streng bestraft gehören und die aufzeigen, wie weit Politik und Gesellschaft von einem guten Beutegreifer-Management entfernt sind. Bei dem Tier, das Pilzsucher in einem Wald im Gemeindegebiet von Sellrain erschossen aufgefunden haben, handelt es sich also mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen Wolf. Und damit beileibe nicht um das erste streng geschützte Wildtier, welches in Österreich einfach abgeknallt worden ist.
2016 wurde in Oberösterreich ein Jäger verurteilt, der einen Luchs im Nationalpark Kalkalpen geschossen hatte. Dort bemüht man sich seit Jahren um die Wiederansiedelung der scheuen Tiere. Beim Prozess in Steyr ging die Staatsanwaltschaft davon aus, dass mehr Tiere erlegt worden sein könnten. Eine noch traurigere Geschichte handelt von den Ötscher-Bären. In den 1990er-Jahren zählte man nach einem Wiederansiedlungsprojekt zahlreiche Bären im südwestlichen Niederösterreich. Dann waren innerhalb kurzer Zeit bis auf zwei Tiere alle verschwunden. Jahrelange Ermittlungen der Behörden brachten kaum Ergebnisse. Die meisten Bären dürften gewildert worden sein.
Nun hat also auch in Tirol ein Unbekannter zur Waffe gegriffen. Dass er dem getöteten Wolf den Kopf abgetrennt hat, macht diesen Akt der Selbstjustiz noch unverständlicher: In welcher Tiefkühltruhe liegt das Körperteil? Ist ein Präparator bereits damit beschäftigt? Wie viele Fotos der Trophäe haben die Runde gemacht? Und noch eine Frage drängt sich auf: Wurden etwa noch weitere Bären und Wölfe getötet, aber einfach besser „entsorgt“?
So oder so bleibt die Erlegung eines europaweit geschützten Tieres ein Kriminalfall und gehört streng geahndet. Und das bei allem Verständnis für Bauern, deren Tiere gerissen wurden bzw. die Angst um ihre Tiere haben. Denn nur die Behörde hat zu entscheiden, wann ein Bär oder ein Wolf „entnommen“ werden darf, wie es im Beamtendeutsch heißt. Die Tötung des Wolfes zeigt aber auch, wie wenig zufriedenstellend die momentanen Strategien im Umgang mit den Beutegreifern sind. Und wie viel Emotion und Schwarz-Weiß-Denken noch verschärfend dazukommen.
Bär und Wolf sind europaweit im Kommen. Man wird sie nicht so schnell wieder loswerden. Auch für Tirol, in diesem begrenzten Raum für Lebewesen aller Art, werden sich Lösungen finden lassen.
Auf dem Weg dorthin dürfen sich die betroffenen Bauern nicht wie nach den letzten Rissen im Bereich der Inzinger Alm allein gelassen fühlen. Wolfs- und Bären-Befürworter wiederum dürfen nicht als realitätsferne Träumer dargestellt werden. Die ganze Diskussion weniger hitzig zu führen, das würde der Sache guttun.

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