Landeszeitung Lüneburg: Stresstest für die DemokratieBielefelder Sozialpsychologe Dr. Jonas Rees ermittelt in einer Studie, dass in Hochburgen der AfD mehr Hasstaten verübt werden

Lüneburg (ots) – Von Joachim Zießler

Am Sonntag wird in Thüringen gewählt. Nach Ihren Forschungsergebnissen können wir bereits voraussagen, wo die AfD erfolgreich sein wird, oder? Dr. Jonas Rees: Wir können zumindest recht gute Prognosen abgeben. Unsere Analyse der Bundestagswahl 2017 hat ergeben, dass die AfD in solchen Regionen besonders hohe Ergebnisse erzielt hat, in denen ein Jahr zuvor die Arbeitslosigkeit hoch und der Ausländeranteil niedrig waren. Vorurteile und Hass können sich dort am besten ausbreiten, wo der Frust hoch und die Gelegenheit zum persönlichen Kontakt mit Fremdgruppen gering sind. Anders gesagt: Wer Freundschaft schließt mit Menschen aus ganz anderen Gruppen, hat keinen Raum mehr für Vorurteile gegen diese Gruppen. Und wo das Gefühl eines Wettbewerbs um knappe Ressourcen – etwa auf dem Arbeitsmarkt – nicht aufkommt, besteht kein Anlass für Feindseligkeiten. Wir haben die entsprechenden Daten aus allen 401 deutschen Kreisen und kreisfreien Städten zusammengetragen und finden, dass das Wahlergebnis der AfD hoch mit Strukturfaktoren wie Arbeitslosenquote und Ausländeranteil in den Regionen zusammenhängt. Solche Strukturfaktoren ändern sich nur langsam. Entsprechend wird in Thüringen nach den letzten Prognosen ein ähnliches Wahlergebnis für die AfD erwartet wie bei der Bundestagswahl 2017.

Muss sich die Polizei auf mehr Hasstaten in den AfD-Hochburgen einstellen, wie Ihre Studie dies für die Bundestagswahl auch gezeigt hat? Bei Polizei und Sicherheitsbehörden arbeiten viele hochkompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht unserer Studie bedürfen, um Gefährdungspotenziale zu erkennen. Zudem muss sich die Polizei nicht auf etwas Künftiges einstellen, weil die Hasstaten ja bereits verübt werden. Die Frage ist eher: Woran liegt es, dass diese Taten da stattfinden, wo sie stattfinden? Nun ist hinreichend bekannt, dass sich die AfD von einer eurokritischen Protestpartei zu einer in Teilen antidemokratischen, rechtsextremen Partei entwickelt hat, deren Mitglieder teilweise offen mit gewaltbereiten Extremisten zusammenarbeiten und mit ihrer menschenverachtenden Sprache zumindest verbale Gewalt ausüben. Die AfD trägt dort, wo die Voraussetzungen dafür vorliegen, mit der Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas zum Dünger bei, der rechte Gewalt erst richtig anheizt. So finden wir in unserer Studie auch einen klaren Zusammenhang zwischen AfD-Wahlerfolgen und polizeilich registrierten Übergriffen gegen Geflüchtete und deren Unterkünfte. In Thüringen waren das 2017 rund doppelt so viele Hasstaten wie im Rest der Republik bezogen auf die Einwohnerzahl. Die AfD kam auf knapp 23 Prozent der Stimmen in Thüringen, in den übrigen Bundesländern war es nur etwas mehr als halb so viel.

Zeigt Ihre Studie, dass nicht der Osten per se für rechte Ten-denzen prädestiniert ist, sondern das Milieu sich abgehängt fühlender Regionen? Unbedingt. Es wäre eine unzulässige Vereinfachung, Rassismus und AfD-Aufstieg zu einem reinen Problem des Ostens zu erklären. Das wäre zudem eine Geringschätzung aller Engagierten in der Zivilgesellschaft, die sich vor Ort trotz zum Teil massiver Anfeindungen gegen den Rechtsruck stemmen. Eine derartige Verknappung vertieft außerdem die Ost-West-Spaltung. Das vorweg geschickt bleibt festzuhalten, dass es 2017 im Osten gemessen an der Einwohnerzahl viermal so häufig wie im Westen zu Übergriffen auf Geflüchtete und deren Unterkünfte kam. Und die AfD erzielte dort im Schnitt ein doppelt so hohes Ergebnis wie im Westen. Ein Fehler im Umgang mit der AfD war bisher aus meiner Sicht, dass sie als das eigentliche Problem missverstanden wurde und nicht richtigerweise als das Symptom für eine tieferliegende Problematik. Vorurteile und Gewaltpotenziale gab es immer schon in unserer Gesellschaft. Studien zeigen, dass ungefähr 20 Prozent der Bevölkerung für ein derartiges Denken empfänglich sind.

Ist die Erfolgsformel für Rechte, sich in abgehängten Regionen als Kümmerer und als Opfer des Mainstreams zu geben? Ein Teil des Erfolgsrezeptes ist es, anschlussfähige Erzählmuster zu liefern. Zum Beispiel: „Alle sind gegen uns“, „wir hier unten gegen die da oben“. Ost-Bashing verstärkt noch die gefühlte Opferhaltung und verschleiert, dass es auch anderswo Probleme mit Rassismus gibt. Beim Erfolg der Rechten kommt auch eine pragmatische Strategie zum Tragen: Rechtspopulisten und Rechtsextreme gehen in Regionen, in die sich andere Politiker nicht mehr hineintrauen, und stilisieren sich dort als Macher.

Mit rationalen Argumenten scheint man der Opfer-Legende nicht beikommen zu können, oder? Trump stilisiert sich noch nach 1000 Tagen im Amt als Opfer des „Deep State“…. Tatsächlich werden rationale Argumente und Fakten zunehmend zweitrangig. Emotionen spielen eine dominierende Rolle in diesem Kontext. Vor allem das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Gerade in diesem Bereich verfangen Verschwörungstheorien, wie die von dem dunklen Komplott aus Geheimdiensten, Medien und Wirtschaft, das in den USA angeblich die Macht hat. Und Verschwörungstheorien von übermächtigen Strippenziehern können der Rechtfertigung dienen, Gewalt auszuüben. Das zeigt sich in der Reichsbürger-Bewegung und in rhetorischen Bildern, die die AfD bedient.

Haben Sie die zeitliche Abfolge untersucht, um herauszufinden, was bei Wahlverhalten und Hassverbrechen Ursache und Wirkung ist? Die Henne-Ei-Problematik beschäftigt uns in der Forschung natürlich. Aber wir beleuchten in dieser Studie nicht die Frage nach der Kausalität, sondern die nach Zusammenhängen. Die sind zwar eine Vorbedingung für eine ursächliche Verknüpfung, aber kein hinreichender Beleg. Wir fanden, dass je geringer der Ausländeranteil und je höher die Arbeitslosenquote sind, desto erfolgreicher ist dort die AfD und desto mehr Hasstaten gibt es in dieser Region. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Das Neue an unserer Studie ist, dass sie zur Beantwortung der Frage beiträgt, warum genau in AfD-Hochburgen mehr Gewalt auftritt. Nämlich, weil beide Phänomene – rechte Gewalt und rechte Wahlerfolge – desselben gesellschaftlichen Klimas bedürfen.

Inwieweit bringen Politiker wie Björn Höcke in Thüringen diese Gemengelage zur Explosion? Ich wehre mich gegen eine zu starke Fixierung auf Namen. Aber tatsächlich können gerade populistische Parteien ihre Erfolge an Einzelpersonen festmachen. Vermeintlich „starke Männer“, seltener auch Frauen, schaffen in dieser Klientel Identifikationsmöglichkeiten. Solchen umstrittenen Einzelpersonen gelingt die Polarisierung in Anhänger und Gegner besonders gut. Das gehört zur politischen Agenda der AfD. So verfestigt der völkische Flügel der AfD die Trennung in „Wir und Die“.

Die Spaltung in „Wir und Die“ etabliert sich im Netz und in den Parlamenten, Synagogen werden wieder zum Ziel mörderischen Hasses. Ist unsere Demokratie gefährdet? Inzwischen gehen Menschen im Bundestag ein und aus, die nachweislich eine Verbindung in die gewaltbereite rechtsextreme Szene haben, die sich im Parlament menschenverachtend äußern, die den Holocaust relativieren und Hass schüren. Das verschiebt gesellschaftliche Normen. Dinge werden sagbar, die vorher unsagbar waren. Und das hat nichts mit dem von der AfD behaupteten „Meinungsdiktat“ zu tun. Sondern mit Anstand und der Frage, wie wir miteinander umgehen wollen. Mir kommt zuletzt in diesen Auseinandersetzungen die klare Benennung der Grenzen zu kurz, was wir als Gesellschaft noch tolerieren wollen. Politikerinnen müssen nicht aushalten, wenn sie im Netz aufs Unerträglichste beleidigt werden. Es muss nicht toleriert werden, dass Nazis am 9. November, der als Tag der Reichspogromnacht den Auftakt zur systematischen Judenverfolgung symbolisiert, öffentlich den Geburtstag einer verurteilten Holocaust-Leugnerin feiern wollen. Psychologisch gesehen verschieben sich jedes Mal soziale Normen des Sag- und Machbaren, wenn wir als Gesellschaft etwas aushalten, was eigentlich nicht tolerierbar ist. Dann werden Dinge normalisiert, die nicht normal sind. Die Verschiebung solcher Grenzen erleben wir mit dem Aufstieg der AfD verstärkt, weil es Teil ihrer Agenda ist. Dadurch wird einerseits ihre Anhängerschaft eingeschworen, andererseits aber auch schlummernde Gewaltpotenziale aktiviert, die bisher von sozialen Normen eingehegt waren. Angesichts einer derartigen Radikalisierung halte ich die Sorge um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und unser gesellschaftliches Miteinander für gerechtfertigt. So eine Sorge ist übrigens nicht nur meine persönliche Meinung. In einer Studie haben wir Ende vergangenen Jahres eine repräsentative Stichprobe Menschen nach ihrer Einschätzung gefragt. Ein Drittel der Befragten sah Parallelen zwischen aktuellen politischen Entwicklungen und der Zeit des Nationalsozialismus. Die AfD scheint mir ein Stresstest zur Frage, wieviel wir aus unserer Geschichte über schleichende gesellschaftliche Veränderungen gelernt haben. Oder ob wir überhaupt etwas gelernt haben.

Zur Person

Der Sozialpsychologe Dr. Jonas Rees arbeitet am Institut für interdisziplinäre Konflikt und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Er studierte in Sussex und Bielefeld. Er forscht zu Vorurteilen, sozialen Bewegungen und Erinnerungskultur in Deutschland. Die Studie zu den AfD-Wahlerfolgen wurde von Forschern der Unis Bielefeld und Münster erstellt.

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