Barrierefrei kommunizieren in Zeiten der Pandemie / Besser verstehen mit durchsichtigem Mundschutz

Mainz (ots) – Abstand halten und Mundschutz tragen – was in Pandemiezeiten für Sicherheit sorgen soll, verunsichert Menschen mit Hörverlust und grenzt sie aus. Weltweit sind mehr Menschen auf das Lesen des Mundbildes angewiesen, als dies auf den ersten Blick erkennbar ist. Gleichzeitig wird es für Menschen mit Hörverlust schwieriger zu hören, je größer der Abstand zum Gegenüber ist. Sprache ist für sie leiser und dumpfer. Dadurch hören und verstehen sie weniger. Das hat Folgen für das private und berufliche Leben.

Die Dunkelziffer von Menschen mit Hörverlust ist hoch. Ein Hörverlust beginnt schleichend, Betroffene kompensieren durch Lippenlesen und sind auf die Mimik angewiesen. Gehörlose, die mit Gebärden kommunizieren, berichten, dass die Gebärden allein nicht ausreichen. Auch sie brauchen die Mimik und das Mundbild zum Verstehen. Alternativen, wie z. B. das Aufschreiben von Informationen, sind zeitaufwendig und mit zusätzlichen Kontakten verbunden, daher wenig praktikabel. Betroffene wünschen sich, dass Ärzte, Pflegepersonal, Rettungsassistenten, Polizisten und systemrelevante Dienstleister, zu denen u. a. Hörakustiker gehören, Mundschutz mit einem Sichtfeld tragen. Idealerweise könnte die Gruppe erweitert werden, denn Hörverluste sind nicht auf den ersten Blick erkennbar – außerdem tut ein freundliches Lächeln jedem gut. Eine Nähanleitung für diese speziellen Masken gibt es unter https://sewsimple.de/mundschutz-mit-sichtfenster-naehen/ . Im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz wird bereits barrierefrei kommuniziert. Dort nutzen die Mitarbeiter Mundschutz mit Sichtfenster.

Hörakustiker sind in diesen Zeiten wichtige Ansprechpartner. Sie können die moderne Technik von Hörsystemen und Cochlea-Implantaten so justieren, dass das Sprachverstehen auch bei größerem Abstand möglich ist. Als systemrelevante Berufsgruppe sind sie in diesen besonderen Zeiten für ihre Kunden da und versorgen sie unter Einhaltung der erforderlichen Hygienemaßnahmen bestmöglich.

Eva Keil-Becker, Hörakustikmeisterin und Vizepräsidentin der Europäischen Union der Hörakustiker e. V., rät bei Hörproblemen durch das Maskentragen dazu, den Hörakustiker aufzusuchen: „Hörakustiker sind die erste Wahl, wenn es um Hören und Verstehen geht. Sie können prüfen, ob die Hörsysteme optimal eingestellt sind und Lautstärke und Helligkeit stimmen, sowie gegebenenfalls ein spezielles Mundschutz-Programm auswählen. Hörakustiker können außerdem sicherstellen, dass die Möglichkeiten der Technik auch komplett genutzt werden und Features wie Hörassistenzsysteme zum Einsatz kommen.“

Mundschutz mit Sichtfenster ist gelebte Inklusion in Zeiten von Social Distancing. Je mehr Menschen mitmachen, desto intensiver können wir uns austauschen – gut sichtbar, mit Abstand, Herz und Verstand!

Arbeiten mit Maskenpflicht / Ein Interview mit Hörsystemträgerin Stephanie Hansen

Stephanie Hansen ist 41 Jahre alt, seit ihrem dritten Lebensjahr hat sie einen Hörverlust. Sie kommt aus dem Hunsrück, ist Verkäuferin und nutzt zwei Hörsysteme der neuen Generation. Seit der Maskenpflicht hat sich ihr Arbeitsalltag stark verändert. Im Gespräch mit der EUHA erklärt Stephanie Hansen, welche Herausforderungen im Beruf auf sie warten.

EUHA: Frau Hansen, seit Ende April haben wir eine Maskenpflicht beim Einkaufen und im öffentlichen Nahverkehr. Sie arbeiten als Verkäuferin in einem Bekleidungsgeschäft. Wie hat sich Ihr Alltag durch das Tragen von Masken verändert?

Stephanie Hansen (SH): Bei mir hat sich eine große Angst eingeschlichen, dass ich nicht mehr arbeiten kann. Ich hatte schlaflose Nächte und mache mir große Sorgen, dass ich meinen Beruf nicht mehr richtig ausüben kann. Ich bin Lippenleserin und brauche das Mundbild, um mein Gegenüber zu verstehen, sonst wird es sehr schwierig. Gerade, wenn ich verschiedene Hosengrößen heraussuchen muss und die Zahlen nicht richtig verstehe, ist das problematisch. Wenn alle Leute Masken tragen, kann ich das Mundbild nicht sehen, und auch die Lautstärke ist deutlich gedämpft.

EUHA: Wie genau hat sich die Kommunikation verändert? Hören Sie die Kunden leiser? Und wie sieht es mit dem Sprachverstehen aus?

SH: Ich mache die Kunden darauf aufmerksam, dass ich schlecht höre, und bitte um Verständnis und Respekt. Das klappt größtenteils ganz gut. Bei mir ist es so, dass das Hören auch tagesformabhängig ist. Bei Anspannung höre ich auch schlechter.

EUHA: Welche Alternativen gibt es? Haben Sie Masken mit Sichtfenster oder sogenannte „Face Shields“ ausprobiert?

SH: Masken mit Sichtfenster oder Face Shields habe ich im Alltag noch nie gesehen. Alle nutzen Masken, die das Mundbild verdecken. Das wird vermutlich noch eine lange Zeit anhalten.

EUHA: Waren Sie bei Ihrem Hörakustiker und wenn ja, was hat er Ihnen geraten bzw. konnte er Ihnen helfen?

SH: Zu meinem Hörakustiker kann ich jederzeit gehen. Das gibt mir viel Sicherheit. Ich kann meine Hörsysteme teilweise selbst über eine App einstellen. Wenn mein Gegenüber zum Beispiel einen Sprachfehler hat oder besonders tief spricht, dann stelle ich mir die Hörsysteme so ein, dass es für die jeweilige Situation passend ist. Der Hörakustiker kann mir spezielle Geräusche noch besser filtern. Das erleichtert das Sprachverstehen ungemein. Das sind so winzige Kleinigkeiten, die sehr viel ausmachen und meine Lebensqualität deutlich verbessern.

EUHA: Was wünschen Sie sich persönlich für den Umgang mit Menschen mit Hörverlust in Zeiten der Pandemie und Mundschutzpflicht?

SH: Unabhängig von der Pandemie und Corona wünsche ich mir mehr Verständnis für Menschen mit Hörverlust und ein besseres Sozialverhalten. Was mir jetzt ganz konkret helfen würde, wäre eine schriftliche Bescheinigung z. B. vom Arzt, dass ich die Kunden bitten darf, für einen kurzen Moment die Maske abzunehmen. Dann kann ich sie professionell bedienen, ohne dass ich eine Ordnungswidrigkeit begehe. Natürlich würde der Sicherheitsabstand dabei gewahrt.

Mehr zu diesem Thema unter: www.euha.org/presse/ (http://www.euha.org/presse/)

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