MOPD1 – Ein Kinderleben mit Einschränkungen

Köln (ots) – Jonathan ist fünf Jahre alt und hat einen Gendefekt der MOPD1 heißt. Dieser Defekt ist einer von fünf MPD-Gendefekten und so selten, dass es weltweit unter 100 betroffene Kinder gibt. Jonathans Mutter, Simone Braunsdorf-Kremer, hat im Jahr 2018 die deutsche „Außenstelle“ des britischen Vereins WALKING WITH GIANTS Foundation gegründet, um betroffene Familien in Deutschland vor Ort gezielt unterstützen zu können. Auch compass gehört zum Netzwerk der Familie und besucht sie regelmäßig, um bei der Organisation der Pflege zu unterstützen.

Als Jonathan auf die Welt kommt, ist Simone Braunsdorf-Kremer sofort klar, dass etwas nicht stimmt: „Er sah einfach anders, fast ein wenig fremd, aus.“ Zunächst wird vermutet, dass er kleinwüchsig ist – eine Diagnose mit der die Mutter sich schnell anfreunden kann, denn schließlich gibt es auch eine kleinwüchsige Schauspielerin, die beispielsweise regelmäßig sonntags im Tatort auftritt. Auch sonst gibt es viele Möglichkeiten, das Lebensumfeld so anzupassen, dass man mit dem Kleinwuchs gut leben kann, ist ihre Einschätzung.

Doch schon wenige Tage später stellen die Ärzte nach einer Untersuchung des Gehirns fest, dass Jonathans Einschränkungen vielfältiger sind und zum ersten Mal taucht das Wort „Gendefekt“ auf. Die Eltern beginnen im Internet zu recherchieren, denn die Ärzte sind noch sehr zurückhaltend mit Informationen, wollen nicht unnötig Sorgen bereiten. Schließlich steht die Diagnose fest: MOPD1, ein lebensverkürzender Gendefekt mit vielfältigen Folgen. „Jeden Tag mit dem Wissen zu leben, dass das eigene Kind früh sterben wird, das ist der Horror“, fasst Simone Braunsdorf-Kremer ihre Situation zusammen und ergänzt: „Ich habe in der Vereinsarbeit für mich den Sinn entdeckt. Ich sehe, wie gut es den anderen betroffenen Familien damit geht, sich austauschen zu können und sich nicht alleine damit zu fühlen. Und das alles ist deswegen so, weil Jonathan da ist. Nur wegen ihm gibt es die deutsche Außenstelle von WALKING WITH GIANTS. Mir hilft das bei der Verarbeitung.“

Die Folgen des Gendefekts

Da weltweit so wenige Kinder von MOPD1 (Mikrozephalem Osteodysplatischem Primordialem Kleinwuchs Typ 1) betroffen sind, dauert es oft lange bis die Diagnose feststeht – manchmal bleibt sie auch komplett aus. Deswegen ist ein wichtiger Teil der Vereinsarbeit, über das Krankheitsbild aufzuklären. Die Einschränkungen von Jonathan beschreibt Simone Braunsdorf-Kremer wie folgt: „Der Gendefekt beinhaltet zum einen, dass Jonathan ganz viele Hirnfehlbildungen hat. Die bringen mit sich, dass er global entwicklungsverzögert ist. Obwohl er schon fünf Jahre alt ist, kann er bis auf wenige Wörter noch nicht sprechen. Zu seinem Wortschatz gehören Mama, Papa und Mawa für seinen großen Bruder Marvin.“ Zum Gendefekt gehören auch diverse Knochenfehlbildungen, die sich in unterschiedlichen Bereichen des Körpers zeigen und natürlich der Kleinwuchs. Viele betroffene Kinder haben Hüftdysplasien. Auch das Immunsystem von MOPD1-Erkrankten ist geschwächt, so dass man mit Infekten sehr aufpassen muss. Oft sterben betroffene Kinder an Magen-Darm-Grippen oder Erkältungen. Warum das so ist, ist noch nicht erforscht. Jonathan leidet außerdem an einem unkontrollierten Elektrolytverlust. In der Literatur ist er erst der zweite MOPD1-Patient mit dieser Einschränkung. Außerdem haben MOPD1-Patienten eine verkürzte Lebenserwartung. „Die durchschnittliche Lebenserwartung für Kinder mit diesem Defekt liegt bei neun Monaten und Jonathan ist jetzt schon fünf Jahre alt,“ betont Simone Braunsdorf-Kremer. Sie ergänzt: „Das älteste Kind mit MOPD1, das bekannt ist, ist aktuell 18 Jahre alt und lebt ebenfalls in Deutschland. Sie ist allerdings mit sehr viel Abstand zu allen anderen Kindern die Älteste.“

Ein Netzwerk, das einen auffängt

„Ein funktionierendes Netzwerk ist das Wichtigste überhaupt, um die Versorgung eines Kindes mit gesundheitlichen Einschränkungen gewährleisten zu können“, weiß Jonathans Mutter aus eigener Erfahrung. Nach der Diagnose recherchieren sie und ihr Mann im Internet und stoßen auf das Netzwerk WALKING WITH GIANTS aus Liverpool. „Ohne dieses Netzwerk wäre ich heute nicht so stark, wie ich bin. Man braucht in so einer Situation einfach Gleichgesinnte.“ 2018 fahren sie zum ersten Mal mit der ganzen Familie zu einem Treffen des Netzwerks, um 50 weitere betroffene Familien aus der ganzen Welt sowie das Forschungsteam kennenzulernen. Schnell war ihr klar: So ein Netzwerk will ich auch in Deutschland haben. Das war die Geburtsstunde von WALKING WITH GIANTS Germany (https://walkingwithgiants.de/). „Als Verein stehen wir in engem Kontakt mit dem Forschungsteam. Wir sammeln Spenden und mit den Geldern unterstützen wir die in Deutschland lebenden Familien mit Kinder, die eine der fünf MPD-Formen haben, finanziell, weil die Krankenkassen nicht alles zahlen, was man braucht, was man sich wünscht oder was etwas bringt. In vielen Familien arbeitet nur noch ein Ehepartner so dass das Geld auch knapp wird. Wir unterstützen die Familien, damit sie sich Therapien leisten können. Für Jonathans Therapien nehmen wir grundsätzlich kein Geld aus dem Verein.,“ erläutert Simone Braunsdorf-Kremer. Außerdem organisieren die Vereinsmitglieder regelmäßige Familientreffen, um den Austausch untereinander zu fördern und Zeit für Gespräche zu finden.

Auch compass gehört zum Netzwerk der Familie. Regelmäßig besucht die Pflegeberaterin Antje Dix die Kremers und berät sie zur Organisation von Jonathans Pflege: „Wir verstehen uns super und es ist immer toll, wenn Frau Dix kommt. Sie hat mir einige Tipps zur Bürokratie gegeben und Infos, an welche Haushaltsagenturen ich mich für Unterstützung wenden kann. Ich weiß, dass ich mit ihr ein Sicherheitsnetz habe und sie bei Problemen ansprechen kann,“ betont Simone Braunsdorf-Kremer.

Das Leben mit Jonathan birgt viele Herausforderungen, aber es lehrt die Familie auch vieles. „Wir schieben Dinge nie auf die lange Bank. Wenn wir uns etwas vornehmen, zum Beispiel einen tollen Urlaub, dann machen wir den auch – und nicht erst nächstes Jahr.“ In den letzten fünf Jahren, seit Jonathans Geburt, ist das Leben der Kremers intensiver geworden – und spontaner. Entgegen den Befürchtungen nach Jonathans Geburt, sind Ausflüge und Urlaube auch mit ihm möglich. Die schönsten Momente sind für die Familie die, die sie gemeinsam verbringen: Das kann das gemeinsame Abendbrot am Tisch oder ein Besuch in Museen sein, für die sich Marvin sehr interessiert. Das gemeinsame Ziel von Jonathans Mama und Papa sowie seinem Bruder Marvin ist, dass Jonathans Leben so schön ist, dass dies die Kürze, die es haben wird, aufwiegt.

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