Europas Fall / Kommentar von Andreas Härtel zum Fall Nawalny

Mainz (ots) – Es ist klar, warum Putin und der Kreml so handeln, wie sie handeln: Weil Russland es kann, es hat nichts zu befürchten. Und so werden Kritiker wie Nawalny vergiftet, Missliebige am helllichten Tag im Berliner Tiergarten erschossen, Halbinseln annektiert. Stets ist die Empörung im Westen groß. Aber Folgen hat es nicht. Kanzlerin Merkel hat sich deshalb weit vorgewagt, als sie den Fall Nawalny erst zu ihrem eigenen Fall gemacht und dann in ungekannter Schärfe Aufklärung gefordert, Konsequenzen angekündigt hat. Das ist ja alles richtig. Doch was soll nun kommen? Ein Stopp des Pipeline-Projekts Nord Stream 2 kurz vor Fertigstellung wäre töricht. Deutschland profitiert davon mindestens so sehr wie Russland. Zudem sichert eine Zusammenarbeit wie diese immer noch einen Zugang zumKreml, den es ansonsten vielleicht nicht gäbe. Sanktionen gegen führende Vertreter des russischen Regimes oder der Geheimdienste – Einreiseverbote, Sperrungen von Konten, Beschlagnahmungen von Immobilien – wären deutlich effektiver. Schließlich treffen sie nur die da oben, aber nicht die breite russische Bevölkerung. Langfristig betrachtet aber ist Europa in einem viel größeren Dilemma, auch das wird am Fall Nawalny deutlich: Während Russland sich als Gebieter über Leben und Tod gefällt, macht China in Hongkong und im Südasiatischen Meer, was es will – und die USA irrlichtern unter Trump in der Vorwahlzeit immer mehr. Nach einer Wiederwahl Trumps wird von einem geschlossenen Westen keine Rede mehr sein können. Umso wichtiger ist es für Europa, in dem sich abzeichnenden Wettstreit unberechenbarer Großmächte seinen eigenen Weg zu finden und sich selbst zu schützen. Eine einheitliche Antwort auf den Mordversuch an Nawalny wäre dafür ein guter Anfang.

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