„ttt – titel thesen temperamente“ (MDR) am Sonntag, 6. September 2020 um 23:05 Uhr

München (ots) –

Die Corona-Leugner und die Demokratie
Die Demonstrationen am Wochenende in Berlin wirkten bizarr: Gegner
der Corona-Maßnahmen der Regierung protestierten neben Menschen, die
glauben, die Welt werde von Kinderfressern beherrscht, neben
tanzenden Hippies, Reichsbürgern und Nazis. Alle einte eine große
Gereiztheit, eine brodelnde Wut auf die deutsche Corona-Politik.
Besonders bizarr: Kaum ein anderes Land weltweit navigiert bisher so
gut und großzügig durch die Krise. Auch im Ausland blickt man mit
verständnislosem Staunen auf die selbsternannten Corona-Rebellen.
Wurde am vergangenen Wochenende in Berlin das Demonstrationsrecht,
ein hohes Gut unseres Grundgesetzes, missbraucht oder legitim
beansprucht? Woher kommt diese Wut? Und wie umgehen mit Leuten,
welche ihre demokratischen Rechte erklärtermaßen dazu benutzen
wollen, die Demokratie abzuschaffen?
„ttt“ mit Stimmen der Berlinkorrespondentinnen Pascale Hugues
(Frankreich), Linda Lund (Schweden) sowie dem Kommunikationsforscher
Norbert Bolz und dem Politikwissenschaftler Götz Aly.
Autor: Dennis Wagner

Die 77. Filmfestspiele in Venedig
Am Lido di Venezia ist vor ein paar Tage die 77. Ausgabe der Mostra
Internazionale dell’Arte Cinematografica eröffnet worden. Und das
kommt schon fast einem Wunder gleich. Denn Berlin brachte seine
Berlinale noch gerade vor Corona über die Bühne, die Glamourshow an
der Croisette in Cannes aber fiel bereits dem Virus zum Opfer. Und
Venedigs Mostra, immer schon das intimste der großen Filmfestivals,
wo man dicht an dicht im Palazzo del Cinema und in Freiluftarenen die
Magie der bewegten Bilder feiert: Venedig schien auf dem Höhepunkt
der Krise am Ende – wie die Filmwirtschaft, das Kino als öffentliches
Spektakel selbst. Doch jetzt findet das Festival an der Lagune statt
– unter Corona-Sicherheitsauflagen, die der Magie doch heftig
zusetzen. Eröffnet wird die Mostra mit einem sehr persönlichen
Dokumentarfilm, der im Frühjahr in der menschenleeren, von Touristen
befreiten Stadt entstand: „Molecole“ zeigt bei aller Verlassenheit
auch das Bild eines beinah utopischen Venedigs – einer Stadt, die mit
sich und ihrer fragilen Schönheit zur Abwechslung allein ist, ein
Open-Air-Museum, dessen (wenige) Bewohner einander wieder begegnen.
„ttt“ trifft den Regisseur des Films, Andrea Segre, Festivaldirektor
Alberto Barbera und den Präsidenten der Biennale. Roberto Cicutto
sieht in der Coronakrise eine Chance zum Umdenken, auch in der
Serenissima, der äußerst unbeschwerten Stadt an der Lagune.
Autor: Andreas Lueg


Lang Lang und das Meisterwerk des Barock
Eigentlich bewegt sich der Pianist Lang Lang im klassischen und
romantischen Repertoire. Jetzt hat er, nach zwanzigjähriger
Beschäftigung, das Meisterwerk der Barock-Musik, die legendären
Goldberg-Variationen von J.S. Bach eingespielt, und zwar in gleich
zwei Versionen: als Live-Lonzert in der Leipziger Thomas-Kirche und
als ausgetüftelte Studioaufnahme. Natürlich hat er sich mit dem
Meilenstein der Bachinterpretation, den Aufnahmen Glenn Goulds
auseinandergesetzt. Dessen frühe Aufnahme der Goldberg-Variationen
hat eine Länge von 38 Minuten, Lang Lang nimmt sich Zeit, seine
Einspielung dauert 90 Minuten. „ttt“ hat den Pianisten in Peking
gesprochen, wohin er sich in der andauernden Corona-Pause
zurückgezogen hat. Eigentlich wollte er in diesen Wochen mit seinem
Bach-Programm auf Konzert-Tournee gehen. Wie erlebt der Künstler
diese Zeit ohne Auftritte, ohne Publikum? Und wie erlebt er sein
Heimatland China unter den Corona-Reglementierungen?
Autor: Reinhold Jaretzky

Body of Truth – über das Wesen des Körpers und der Kunst
Nach ihrer Dokumentation über das Werk des Malers und Bildhauers
Georg Baselitz (2013) widmet sich die Regisseurin Evelyn Schels in
ihrem neuen Film der Arbeit von vier international renommierten
Künstlerinnen. Marina Abramović, Tochter eines jugoslawischen
Partisanen, betreibt in ihren extremen Performances eine schmerzvolle
Trauerarbeit, in dem sie ihren Körper an Grenzen bringt. Die
iranische Foto- und Filmkünstlerin Shirin Neshat verhandelt in ihren
Bildern die widersprüchliche islamische Gesellschaft und das
Missverhältnis zwischen Mann und Frau. Die Israelin Sigalit Landau
thematisiert den Nahostkonflikt vor ihrer eigenen Haustür, indem der
allgegenwärtige Stacheldrahtzaun zu einem Hula-Hoop-Reifen wird, der
um ihre Hüfte kreist. Der Körper wird zur Plattform, zum Symbol, zum
„Schlachtfeld“, auf dem Politik, Religion, die eigene Biografie
verhandelt werden. Über die Porträts der vier Künstlerinnen
entwickelt sich „Body of Truth“ zu einer tiefgreifenden Studie über
das Wesen des Körpers und der Kunst.
Autor: Lutz Pehnert

John Cage: Wie langsam ist „So langsam wie möglich“?
Diese Frage stellt das Musikstück ORGAN²/ASLSP, geschrieben von John
Cage. Der US-amerikanische Komponist gehört zu den wichtigsten
Künstlern des 20. Jahrhunderts, sein anarchisches Verständnis für
Musik hat die Welt revolutioniert. Musik war für ihn das Leben der
Klänge, ohne jedes Ziel. Jeder Klang soll nur sich selbst gehören und
nicht der Idee des Komponisten unterworfen sein. Mit diesem Programm
wurde John Cage zum Wegbereiter avantgardistischer Kunstbewegungen
und gilt bis heute als einer der experimentierfreudigsten Künstler
der Moderne. Das Stück ASLSP (as slow as possible) entstand als
Orgelfassung 1987, bei der Uraufführung dauerte es eine knappe halbe
Stunde. Doch war das wirklich so langsam wie möglich? In Halberstadt
in Sachsen-Anhalt ist man dieser Frage nachgegangen und hat eine
radikalere Interpretation gewählt.
Seit 2001 wird das Stück von John Cage dort aufgeführt, die geplante
Dauer: 639 Jahre. Durch diese extreme Ausdehnung wird jeder
Klangwechsel zu einem großen Ereignis.
Am 5. September, pünktlich zum Geburtstag von John Cage, steht
erstmals seit sieben Jahren wieder ein solcher Klangwechsel an.
Autorin: Simone Unger

Im Internet unter www.DasErste.de/ttt

Moderation: Max Moor

Redaktion: Matthias Morgenthaler/Rayk Wieland (MDR) Pressekontakt:

Agnes Toellner, Presse und Information Das Erste
Tel: 089/5900 23876, E-Mail: agnes.toellner@DasErste.de


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