Kritik an Lieferengpässen bei Pneumokokken-Impfstoff Experte rechnet mit steigenden Krankheits- und Todesfällen / „Report Mainz“, 8.9.2020, 21:45 Uhr im Ersten

Mainz (ots) – Vorsitzender der STIKO: Gesundheitliches Risiko kann nicht ausgeschlossen werden, es muss „priorisiert“ werden
Mainz. Seit März empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) eine altersbedingte Pneumokokken-Impfung erst ab 70 Jahren und nicht wie zuvor ab 60. Damit fallen weniger Menschen unter die Impfempfehlung. Der Kommissions-Vorsitzende Professor Thomas Mertens bezeichnete das im ARD-Politikmagazin „Report Mainz“ als „Notmaßnahme“. Mit Blick auf die wegen Lieferengpässe eingeschränkte Impfempfehlung gegen Pneumokokken sagte Mertens: „Derartige ‚Notmaßnahmen‘ erfolgen im Rahmen von Überlegungen zu einer notwendigen Priorisierung.“ Der Virologe warnte, ein gesundheitliches Risiko für die nicht Geimpften lasse sich nicht ausschließen. Mertens nannte es ein „Ärgernis“, dass es bei verschiedenen Impfstoffen immer wieder zu Lieferengpässen komme. Mehrfach sei man an die Politik herangetreten, damit sie eine reibungslose Impfstoffversorgung ermögliche.

Experte rechnet mit steigender Zahl an Pneumokokkentoten
Pneumokokken sind Bakterien, die Lungenentzündungen, aber auch Blutvergiftungen und Hirnhautentzündungen auslösen können. Bis zu 25 Millionen Menschen sollten eigentlich in Deutschland gegen Pneumokokken geimpft sein, schätzt der Pneumologe Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover in „Report Mainz“. Dazu zählten ältere Menschen, chronisch Kranke und immungeschwächte Menschen. Gleichzeitig kritisiert Welte, dass in Deutschland bereits seit dem Frühjahr ein Lieferengpass beim Impfstoff herrscht. „Die Pneumokokken-Erkrankung ist eine prinzipiell zum Tode führende Erkrankung. Wenn wir diese Risikopatienten nicht mehr schützen können, dann werden mehr Patienten erkranken und mehr Patienten an Pneumokokken versterben“, so Welte gegenüber „Report Mainz“. Bis zur Hälfte aller schweren von Pneumokokken ausgelösten Erkrankungen ließen sich durch eine Impfung verhindern.

Lieferengpässe auch beim Grippe-Impfstoff?
Welte sprach sich im SWR außerdem für eine generelle Influenza-Impfung aus. „Wir werden wie jeden Winter eine erhebliche Menge an Influenza-Patienten sehen, die üblicherweise schon die Krankenhäuser fordern, und wenn da jetzt auch noch Corona dazu kommt, da sind wir sehr schnell an einer Überforderung des Gesundheitssystems“, so Welte. Auf die Frage, ob er auch beim Grippe-Impfstoff mit Lieferengpässen rechne, sagte Welte: „Die Antwort ist Jein. Deutschland hat deutlich mehr Influenza-Impfdosen eingekauft als in den Vorjahren. Ich erwarte mir aber eine deutlich höhere Impfbereitschaft der Bevölkerung, und ob das dann am Ende reicht, das wird man sehen müssen.“ Bisher sind in Deutschland laut Bundesgesundheitsministerium rund 20 Millionen Grippe-Impfdosen vorbestellt, weitere sechs Millionen plant das Ministerium als Reserve. Laut Angaben der STIKO sind allerdings allein für die Impfung aller Risikopatienten rund 40 Millionen Impfdosen nötig.

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