VW-Diesel-Abgasskandal: EA189 hat noch lange nicht ausgedient!
Mönchengladbach (ots) – Die Volkswagen AG hat ihre Argumentation bei Diesel-Abgasverfahren rund um den EA189 im Rahmen der Verjährungsproblematik offensichtlich geändert. Es findet nämlich keine Einrede mehr zur Verjährung statt beziehungsweise wird sogar zurückgenommen. Das öffnet für zahlreiche Verfahren Tür und Tor und wird auch dazu führen, dass Rechtsschutzversicherer und Prozessfinanzierer diese Verfahren nun ebenso als werthaltig ansehen werden, da höchstwahrscheinlich keine Gefahr der Verjährung mehr vorliegt.
Unter dem Aktenzeichen 12 O 238/19 hat das Landgericht Hannover am 7. September 2020 ein sehr wesentliches Urteil im Diesel-Abgasskandal rund um die Volkswagen AG gesprochen. Der Autokonzern wurde aufgrund vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB zur Rücknahme eines 2014 gebraucht gekauften VW Touran 1.6 TDI und der Zahlung von 12.125,09 Euro verurteilt. Diese Summe setzt sich aus dem Schadensersatz für das Fahrzeug zuzüglich deliktischer Entziehungszinsen sowie der Freistellung der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 Euro.
Die Argumentation des Gerichts folgt der allgemeinen Ansicht im VW-Dieselskandal. Der VW Touran 1.6 TDI ist ein Euro 5-Diesel des Typs EA189 und mit einer Software ausgestattet, die den Stickoxidausstoß im Prüfstandbetrieb optimiert. Nur aufgrund dieser Software, die erkennt, dass das Fahrzeug einem Prüfstandtest unterzogen wird, hält der Motor während des Prüfstandtests die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte ein. Unter realen Fahrbedingungen im Straßenverkehr wird das Fahrzeug anderweitig betrieben, nämlich im sogenannten Modus 0 mit einer geringeren Abgasrückführungsrate. Dies hat zur Folge, dass der Stickoxidausstoß dann erheblich höher ist und die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm nur auf dem Prüfstand eingehalten werden. Damit habe der Verbraucher einen wirtschaftlichen Schaden erlitten und hätte den Wagen bei Kenntnis dieser Problematik nicht erworben, führt das Landgericht Hannover aus. Auch das aufgespielte Software-Update führe nicht dazu, dass der Schaden entfalle.
Für Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung ist das Urteil ein weiterer wichtiger Meilenstein in der verbraucherfreundlichen Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal. „Mehr und mehr wird jetzt deutlich, dass das Dieselgate um den Skandalmotor EA189 längst noch nicht beendet ist. Auch Käufer, die nach Bekanntwerden des VW-Abgasskandals ihre Fahrzeuge in Treu und Glauben erworben haben, sollten ihre Schadensersatzansprüche auf dem Wege der Betrugshaftungsklage gegen die Volkswagen AG und die Tochtermarken prüfen lassen. Die erste Generation der VW-Schummeldiesel, also der Motorentyp EA189, hat bei der Justiz somit noch lange nicht ausgedient“, sagt der Gründer der Dr. Hartung Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (www.hartung-rechtsanwaelte.de (http://www.hartung-rechtsanwaelte.de)). Die Kanzlei Dr. Hartung Rechtsanwälte befasst sich ausschließlich mit Anleger- und Verbraucherschutzthemen und hat sich auf die Beratung von Betroffenen des gesamten Diesel-Abgasskandals spezialisiert. Dr. Gerrit W. Hartung gilt als „Dieselanwalt“ der ersten Stunde.
Vor allem weist er auf eine fundamentale Veränderung im Verhalten der Volkswagen AG hin. Denn vor dem Landgericht Hannover hat der Konzern erstmals keine Einrede zur Verjährung erhoben. „Das bedeutet, dass die Volkswagen AG von der bisherigen Auffassung abweicht. Bislang hat die Volkswagen AG in den Schadensfällen, die nicht zur Musterfeststellungsklage angemeldet worden sind, darauf gepocht, dass Individualklagen im Rahmen des Dieselmotors EA189 aufgrund der Verjährung nicht mehr möglich seien. Diese Haltung hat die Beklagte im laufenden Verfahren zurückgenommen. Das öffnet für zahlreiche neue Verfahren Tür und Tor und wird auch dazu führen, dass Rechtsschutzversicherer und Prozessfinanzierer diese Verfahren nun ebenso als werthaltig ansehen werden, da höchstwahrscheinlich keine Gefahr der Verjährung mehr vorliegt“, betont Dr. Gerrit W. Hartung.
Die Volkswagen AG hat auch vor dem Landgericht Kiel die Einrede der Verjährung fallengelassen (Urteil vom 02.07.2020, Az.: 17 O 124/20). Damit wird einmal mehr deutlich, dass die Volkswagen AG die oftmals übersehene Vorschrift des § 852 BGB fürchtet, denn diese ist gerade in den VW-Abgasfällen prädestiniert. Es zeigt sich also, dass Geschädigte des VW-Skandals, die bislang noch nicht geklagt haben, nicht zögern sollten, ihre Ansprüche durchzusetzen. Vor einer Verjährung der Ansprüche brauchen sie sich jedenfalls vor dem 31. Dezember 2020 nicht zu fürchten.
Denn selbst falls man wie manche Gerichte einen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB als verjährt erachten wollte, folgt die Haftung der Volkswagen AG doch jedenfalls aus § 852 Satz 1 BGB. Wer sich durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten eines anderen bereichert, muss noch zehn Jahre lang den daraus gezogenen finanziellen Vorteil zurückzahlen. Volkswagen hat danach den Kaufpreis abzüglich der Händlermarge sowie die durch die Nutzung des Kapitals erlangten Zinsen zurückzuzahlen. Dieser sogenannte Restschadensersatzanspruch verjährt erst in zehn Jahren ab dem Zeitpunkt des Kaufs.
Der Rechtsanwalt vermutet, dass dieses neue Verhalten der Volkswagen AG auf der Sorge beruht, dass es trotz einer Verjährung des Schadenersatzanspruches nach den Vorschriften aus § 852 BGB die ungerechtfertigte Bereicherung herauszugeben, was er durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten erlangt hat. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass der Anspruch aus § 852 BGB weiterhin ein deliktischer Schadensersatzanspruch ist. Der von VW erschlichene finanzielle Vorteil muss an die Geschädigten zurückgegeben werden, und die Verjährung tritt frühestens nach zehn Jahren ab Kauf ein. „Dabei geht es dann gegebenenfalls auch um bestimmte zusätzliche Gewinne, die der Konzern offenlegen muss. Dieser Anspruch nach § 852 BGB verjährt in zehn Jahren von seiner Entstehung an. Das will Volkswagen durch den Wegfall der Einrede zur Verjährung in den Verfahren verhindern“, kommentiert Dr. Gerrit W. Hartung.
Dies könne sogar dazu führen, dass Volkswagen wie bei den Geschädigten der Musterfeststellungsklage zu außergerichtlichen Einigungen bereit sein könnte. Es könnte dann für diese geschädigten Verbraucher Einmalzahlungen geben, die jeweils individuell berechnet und verhandelt werden. „Die Alternative dazu bleibt, das Urteil im eigenen Verfahren abzuwarten. Dann können Kläger unter Umständen den Kaufpreis abzüglich eines Betrags für die Nutzung des Fahrzeugs erhalten und geben den Wagen im Rahmen dieser Rückabwicklung an Volkswagen zurück.“
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