TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Freitag, 16. Oktober 2020, von Peter Nindler: „Jetzt wird Corona-Pingpong gespielt“

Innsbruck (OTS) – Statt sich auf eine einheitliche Vorgangsweise zu einigen, machen Bund und Länder in der Corona-Krise aus Österreich einen Fleckerlteppich. Politische Eitelkeiten und falsch verstandener Föderalismus bremsen die Virusbekämpfung.

Das hat gesessen: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) forderte am Donnerstag die Länder zu schärferen Maßnahmen in der Corona-Krise auf. Aus seiner Sicht verständlich, schließlich kritisierten vor allem die Ländervertreter immer wieder, dass wegen abweichender Infektionszahlen in den Regionen die Bundesländer nicht über einen Kamm geschert werden dürfen. Selbst bei der auf die Bezirke ausgerichteten Corona-Ampel wurden noch einmal Unterteilungen gefordert. Was im August und September bei noch moderat steigenden Ansteckungen nachvollziehbar war, hat sich in den vergangenen Tagen aber blitzartig geändert. Wie im März kehrt Corona mit beinahe schon exponentieller Wucht zurück in unseren Alltag. Und die Hilflosigkeit, die richtigen Maßnahmen zu setzen.
Dass es wieder Verschärfungen im öffentlichen und Einschränkungen im privaten Leben benötigt, damit die Kapazitäten in den Spitälern nicht ausgereizt und kritische Infrastrukturen wie Alten- und Pflegeheime vor einer Virus-Ausbreitung geschützt werden, leuchtet ein. Nur Kanzler Kurz lässt sich diese teils notwendigen, aber unpopulären Schritte nicht mehr umhängen. Die Nachwirkungen vom Frühjahr haben sich tief in das Bewusstsein eingegraben. Jetzt sind zweifellos die Regionalpolitiker am Zug, doch gleichzeitig droht das, was in Deutschland derzeitig heftige Diskussionen hervorruft: ein bundesweiter Fleckerlteppich mit unterschiedlichen Verschärfungen. Ein Pingpongspiel von politischen und föderalistischen Eitelkeiten nützt derzeit jedoch niemandem. Das sollte der Bundeskanzler als Krisenmanager der Republik doch wissen. Eine gute Abstimmung zwischen den Behörden ist schließlich eine der Lehren aus dem Expertenbericht zu Ischgl. Sieben Monate danach fühlt es sich leider wie eine Zeitreise zurück in die Vergangenheit an. Und das kann es wohl nicht sein.
Was haben denn die Corona-Ampel und die bundes- sowie landesweiten Vorbereitungen auf die seit Monaten erwartete zweite Corona-Welle wirklich gebracht? Wann kommen endlich die Pläne, die Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) in der Schublade hat, auf den Tisch? Was bringen die farbenprächtigen Warnhinweise, wenn die Konsequenzen nicht klar geregelt und durch Verordnungen gedeckt sind? Von der Sperrstunde über Teststrategien bis zum Heimunterricht:
Viel Vertrauen wurde schon verspielt und Verwirrung gestiftet. Auf so einen falsch verstandenen Corona-Föderalismus kann sicher verzichtet werden.

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