Petitionsausschuss: Aussprache über Dorfläden, Absicherung der Gemeindeleistungen sowie Zukunft der Pflege

ExpertInnen schlagen rechtliche Vereinfachungen, Fortführung des Investitionsprogramms sowie adäquate Strukturen für die Pflege vor

Wien (PK) – Um die Frage der Rechtssicherheit von Dorfläden, die ausreichende Abgeltung der Leistungen von Gemeinden sowie

um die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Pflege älterer Menschen ging es heute im ersten Teil des Petitionsausschusses. Zu diesen von den einzelnen Parteien ausgewählten Initiativen fanden jeweils Hearings mit ExpertInnen statt.

Vor Eingang in die Debatte wurde an die MandatarInnen eine aktuelle Publikation mit dem Titel „Petitionen in Österreich – AkteurInnen, Prozesse, Funktionen“ verteilt, die auch auf der Website des Parlaments abrufbar ist (https://www.parlament.gv.at/SERV/PUB/). Im Fokus des Sammelbands, das neben Artikeln von Sieglinde Rosenberger und Benedikt Seisl noch weitere Beiträge von ausgewiesenen Fachleuten enthält, stehen nicht nur die formellen Petitionsinstrumente, sondern auch die stärker wachsende Zahl an Onlinepetitionen, die institutionell-rechtlichen Grundlagen, die unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten sowie damit zusammenhängende demokratiepolitische Fragestellungen.

Mehr Rechtssicherheit für Dorfläden im ländlichen Raum

Gesetzliche Änderungen für neue innovative Konzepte der Nahversorgung in Gemeinden im ländlichen Raum wünscht sich der „Verein Dorfleben“ aus Neidling, der dem Parlament eine von Abgeordnetem Friedrich Ofenauer (ÖVP) unterstützte Petition zugeleitet hat (37/PET). Eigene Erfahrungen hätten gezeigt, dass es Ausnahmen von der Gewerbeordnung für Dorfläden braucht, wenn diese konkurrenzlos (kein weiteres Lebensmittelgeschäft im Ort) und ohne Beschäftigte, also auf Selbstbedienungsbasis, die Versorgung vor Ort sicherstellen. Es müsse für einen gemeinnützigen Verein möglich sein, solche Selbstbedienungsstellen ohne großen bürokratischen Aufwand zu betreiben. Dabei sollen nicht nur regionale bäuerliche DirektvermarkterInnen, sondern auch zu 25% regionale Gewerbetreibende ihre Waren im Laden anbieten können, wobei ein Bezahlen nicht nur mit Bargeld, sondern auch mittels eines zeitgemäßen bargeldlosen Bezahlsystem möglich sein müsste. Im vorliegenden Fall ist der Laden aufgrund einer Anzeige einer Anrainerin ständig von einer Betriebssperre bedroht, während andere Bauernläden weiterhin offen halten können.

Pressl: Rechtliche Regelungen vereinfachen und Online-Plattformen lokal verorten

Der zu dieser Petition eingeladene Experte und Bürgermeister der Gemeinde Ardagger Johannes Pressl berichtete dem Ausschuss über die Erfahrungen seiner Kommune bei der Lösung des Problems der mangelnden Nahversorgung. Um den BürgerInnen einen einfachen und praktischen Zugang zu Lebensmitteln zu ermöglichen, habe man eine aufgelassene Bankfiliale zur Verfügung gestellt, in der der „Minihofladen Stephanshart“ eingerichtet wurde. Dabei handle es sich um eine reine Initiative von LandwirtInnen, die mit einem Verein gekoppelt wurde. Im Grunde könne man von einem erweiterten Ab-Hof-Verkauf sprechen, der rund um die Uhr möglich sei, erläuterte Pressl. Dies habe nicht nur Vorteile für alle jenen Personen, die z.B. lange arbeiten, sondern trage auch zur Identitätsstiftung bei. Durch die Pandemie habe das Modell noch einen weiteren Schub erhalten; die Umsätze hätten sich in den letzten Monaten verdoppelt. Die nächste Stufe wäre eine Kooperation mit dem Kleingewerbe, was jedoch rechtliche Probleme aufwerfe. Aus diesem Grund trat Pressl im Sinne der Gewährleistung der Nahversorgung im ländlichen Raum dafür ein, für solche Läden geeignete rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

Er kenne dieses Problem aus eigener Erfahrung, stellte Abgeordneter Friedrich Ofenauer (ÖVP) fest, der für eine zeitgemäße Adaptierung der Gewerbeordnung und eine einheitliche Regelung für Dorfläden eintrat. NEOS-Vertreterin Fiona Fiedler war ebenso überzeugt davon, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen in diesem Bereich ins 21. Jahrhundert geholt werden müssen. Abgeordneter Christian Ries (FPÖ) ging auf die Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums zur Petition ein und erkundigte sich nach den gewerberechtlichen Problemen. Auch in ihrer Heimatgemeinde existiere ein Hofladen, der sehr gut funktioniere, konstatierte Abgeordnete Ulrike Fischer (Grüne). Sie frage sich, ob man bei einer Neuregelung an der Art der Bezahlung anknüpfen solle.

Bei der Beantwortung der einzelnen Fragen unterstrich Pressl, dass eine Öffnung der Läden rund um die Uhr wichtig sei. Man habe gesehen, dass Menschen gerne nach der Arbeit oder auch beim Sonntagsspaziergang im Laden vorbeischauen. Die Art der Bezahlung sei aus seiner Sicht nicht die entscheidende Frage, zumal die digitalen Möglichkeiten auch von älteren Personen gut genutzt werden. Pressl wies unter anderem auf ein neues Geschäftsmodell von Amazon hin, wo es um die Zustellung von Lebensmitteln gehe. Dies untermauere seinen Vorschlag, wonach Online-Verkaufsplattformen lokal verortet werden sollen.

Der Ausschuss beschloss, zu diesem Tagesordnungspunkt noch weitere Stellungnahmen von Seiten der Wirtschaftskammer, der Arbeiterkammer und der Landwirtschaftskammer einzuholen.

Konjunkturpaket für die Gemeinden und volle Abgeltung ihres Einnahmenentfalls

Gemeinde und Städte, die für ganz wichtige Bereiche wie Kinderbetreuung, Rettungs- und Feuerwehrwesen, Schulerhaltung, Spitalsfinanzierung, Abwasserentsorgung und vieles mehr zuständig sind, brauchen eine 100%ige Abgeltung des coronabedingten finanziellen Ausfalls, zeigen sich die UnterstützerInnen einer Bürgerinitiative überzeugt (26/BI). Diese Dienstleistungen wären nämlich bei nicht entsprechender Abgeltung in Gefahr. Außerdem fungieren die Kommunen als wichtige Auftraggeber für kleine und mittlere regionale Betriebe. Im Konkreten wird daher nicht nur ein Ausgleich für die sinkenden Ertragsanteile und die reduzierten Einnahmen aus der Kommunalsteuer gefordert, sondern zusätzlich ein Konjunkturpaket zur Umsetzung von Projekten für die Ankurbelung der örtlichen Wirtschaft.

Mitterer plädiert für Fortführung des Investitionsprogramms und mahnt Reformen beim Finanzausgleich ein

Ein ähnliches Bild wie die EinbringerInnen der Bürgerinitiative zeichnete Karoline Mitterer, Wissenschaftlerin am Zentrum für Verwaltungsforschung (KDZ), die die Bereiche Liquidität und Investitionen als die zwei großen Sorgenkinder bezeichnete. Aufgrund des Wirtschaftseinbruchs und der Steuerreform seien die Kommunen mit Mindereinnahmen in der Höhe von 4 Mrd. € konfrontiert. Die im Rahmen von zwei Gemeindepaketen des Bundes veranschlagten 2,5 Mrd. € würden zwar zu einer deutlichen Entlastung führen, mittelfristig fehle aber eine Perspektive. Außerdem sei davon eine Mrd. € als Vorschuss konzipiert, der zurückbezahlt werden müsse. Dies sehe sie sehr kritisch. Die Expertin warnte jedenfalls davor, dass bei unveränderten Rahmenbedingungen jede zweite Gemeinde bis 2024 zur sogenannten Abgangsgemeinde werde, also mit ihrem Geld nicht mehr auskomme. Es stelle sich dann die Frage, was gestrichen werden müsse, die Förderung von Vereinen, Sporteinrichtungen oder bei der Kinderbetreuung. Dies wolle wohl niemand. Ein zweiter wichtiger Punkt sei, dass den Gemeinden die Spielräume für Investitionen, die auf dieser Ebene oft eine sehr hohe Umwegrentabilität haben, wegbrechen. Eine Fortführung des Kommunalen Investitionsprogramms zumindest bis zum Jahr 2024 wäre daher sehr wichtig.

SPÖ-Abgeordneter Andreas Kollross (SPÖ) sprach von gewaltigen Mindereinnahmen der Gemeinden, die im schlimmsten Fall zu Leistungskürzungen führen würden. Die sogenannten Hilfspakete der Regierung seien seiner Ansicht nach nur Stückwerk, das bei weitem nicht ausreiche. Vor allem finanzschwache Gemeinden würden sich schwer tun, meinte Abgeordneter Hermann Weratschnig (Grüne), der für einen aufgabenorientierten Finanzausgleich plädierte. Fiona Fiedler von den NEOS hielt eine 100%ige Abgeltung der Einnahmenausfälle für nicht sinnvoll, weil dies nicht die alleinige Aufgabe des Bundes sein könne. Abgeordneter Christian Ries (FPÖ) wollte wissen, ob die Gemeinden Mittel aus der EU abrufen können.

Mitterer betonte die Bedeutung der Gemeinden im Bereich der Daseinsvorsorge, weshalb eine Unterfinanzierung dieses Sektors vermieden werden soll. Da die Gemeinden auch wichtige Arbeitgeber seien, leisteten sie einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der Wirtschaftskrise. Dieses Potenzial sollte bestmöglich genutzt werden. Bei den Hilfen regte Mitterer aufgrund der unterschiedlichen Bedarfe eine d ifferenziertere Vorgangsweise sowie die Berücksichtigung von Steuerungsaspekten (z.B. Klimaschutz, Gemeindekooperationen etc.) an. Auch eine gute Einbindung in den EU-Aufbauplan wäre hier ein wichtiger Schritt. Laut Mitterer sollten zudem längst fällige Reformen im Finanzausgleich (z.B. Grundsteuerreform, Orientierung an den Aufgaben) rasch angegangen werden. Die Bürgerinitiative wurde vertagt.

Petition „Zukunft der Pflege jetzt gestalten – Daheim statt Heim“

Das Thema Pflege gehört zu den zentralen sozialpolitischen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte, sind die UnterstützerInnen einer von Abgeordnetem Christian Ries (FPÖ) eingebrachten Petition überzeugt (42/PET). Dies sei nicht nur auf den demographischen Wandel zurückzuführen – jeder neunte Mensch wird im Jahr 2050 über 80 Jahre alt sein -, sondern auch auf den großen Mangel an Pflege- und Betreuungspersonen. Da es gleichzeitig einen starken Wunsch der Pflegebedürftigen gibt, möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben zu können, sollte die Möglichkeit einer dauerhaften Pflegekarenz geschaffen werden, lautete nur eine der zahlreichen Forderungen.

Wagner fordert einheitliches Konzept für die Pflege sowie bessere Unterstützung und Absicherung der pflegenden Angehörigen

Als Expertin zu diesem Thema hielt die ehemalige FPÖ-Abgeordnete Petra Wagner ein Einleitungsreferat. Als diplomierte Krankenschwester und Betreiberin eines Seniorenheims in Rudersdorf kenne sie die vielfältigen Herausforderungen und die verschiedenen Aspekte, die es im Bereich Pflege gebe, aus der Nähe, erklärte sie. Aufgrund des demographischen Wandels werde die Pflege in Zukunft einen noch größeren Stellenwert einnehmen als bisher, war Wagner überzeugt. Im Mittelpunkt müsse dabei der Wunsch der meisten Menschen stehen, ihren Lebensabend daheim in den eigenen vier Wänden verbringen zu wollen. Dafür brauche es eine fundierte Ausbildung all jener Personen, die sich bereit erklären, diese wertvolle Aufgabe zu übernehmen.

Wagner schloss sich auch den Forderungen der Petition an, ein österreichweites Pflege-Gütesiegel zu etablieren, um für mehr Überblick und Transparenz zu sorgen, sowie eine einheitliche Bezahlung der Pflegekräfte sicherzustellen. Für sinnvoll erachtete sie zudem die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle zur Unterstützung bei Behördenwegen, die Erhöhung der Angebote zur mobilen Übergangspflege, die finanzielle Entlastung durch eine längst fällige Aufstockung des Pflegegelds sowie die höhere Einstufung von Demenzerkrankten. Um pflegende Angehörige pensionsrechtlich abzusichern, sollte die Möglichkeit einer dauerhaften Pflegekarenz geschaffen werden. Wichtig war für Wagner auch, dass eine Zielsteuerungskommission ins Leben gerufen wird, in die alle relevanten Stakeholder eingebunden werden. Diese ExpertInnen sollten dann gemeinsamen einen Masterplan erarbeiten. Es müssten endlich adäquate Strukturen und Modelle geschaffen werden, die eine größtmögliche Entscheidungsfreiheit für die Betroffenen ermöglichen, resümierte Wagner.

Für Abgeordnete Rosa Ecker (FPÖ) stellt der Pflegesektor eine der größten Herausforderungen für die Zukunft dar. Es müsse alles dafür getan werden, dass die Menschen so lange wie möglich daheim verbringen können, denn dies sei der Wunsch des Großteils der Bevölkerung. Die Forderungen der Petition seien sehr wichtig und sollten rasch umgesetzt werden. Abgeordnete Bedrana Ribo (Grüne) befasste sich in ihrer Wortmeldung mit der Situation der Frauen, die in den meisten Fällen die Pflege ihrer Angehörigen übernehmen, und mit dem Vorschlag nach einem Gütesiegel. Ein großes Problem bestehe darin, dass viele private Wohnräume noch nicht barrierefrei seien, gab SPÖ-Vertreter Rudolf Silvan zu bedenken. Sie könne einige Forderungen mittragen, erklärte NEOS-Mandatarin Fiona Fiedler, die Einrichtung einer Bundesgenossenschaft für die Pflege lehne sie aber ab. Dies würde nur zu noch mehr Bürokratie beitragen. Ein großes Anliegen war ihr die Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals und der 24-Stunden-BetreuerInnen. Die Petition wurde vom Ausschuss vertagt. (Fortsetzung Petitionsauschuss) sue

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