Stillstand in der Frauenpolitik: Forscherinnen fordern in einem Offenen Brief an die Regierung den längst fälligen Frauenbericht ein
Wien (OTS) – Diese Regierung ist angetreten, mit Methoden, die an ein funktionierendes Management erinnern, die Situation in unterschiedlichen Politikfeldern zu analysieren, evaluieren und geeignete Maßnahmen zur Verbesserung zu setzen. Abgesehen davon, dass Politikgestaltung eben mehr ist als das Management von Organisationen, fehlen im Frauenbereich sowohl systematische Analyse, Evaluation und Maßnahmen sowie Anwendung von Empfehlungen für die Gleichstellungspolitik: „Frauenpolitik ist Politik für eine chancengleiche Gesellschaft und diese findet nicht statt“, so die Initiatorinnen des Käthe Leichter Alumnae Klubs Ingrid Moritz, Anna Steiger und Traude Kogoj.
Ein Beispiel fürs systematische Politikversagen sieht Käthe Leichter Preisträgerin Brigitte Ratzer im Rahmen des Projektes UniNeTZ, das bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der UN (SDG 5), nämlich die Gleichstellung der Geschlechter, berät. Projektleiterin Brigitte Ratzer: „Es ist grausam zu sehen, wie viele wissenschaftliche Fakten und Maßnahmen-Vorschläge seit Jahren auf dem Tisch liegen, ohne dass sich das in einer evidenzbasierten Frauenpolitik niederschlägt. Vielmehr hat man inzwischen den Eindruck, dass es überhaupt keine Frauenpolitik mehr gibt, wenn man von Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen absieht.“
Doch selbst bei der Umsetzung der Istanbul Konvention (Artikel 11) im Politikfeld Gewalt gegen Frauen fällt der Umsetzungsbericht 2021 seitens des Bundeskanzleramtes ernüchternd aus. Dort heißt es zur Empfehlung 8: „Der Möglichkeit, die Datenerhebung von sämtlichen relevanten Einrichtungen – inklusive der Gewaltschutzeinrichtungen – institutionenübergreifend zu vereinheitlichen, sind sowohl durch beschränkte personelle und budgetäre Ressourcen als auch durch unterschiedliche prioritäre Datenerfassungszwecke Grenzen gesetzt. Bereits die konkret empfohlene genauere Dokumentation der Täter-Opfer-Beziehung sowohl durch Exekutive als auch durch Strafjustiz bedarf umfassender Ressourcen in der Umsetzung und in weiterer Folge für die laufende Einpflegung dieser Daten. Diese Ressourcen konnten bisher nicht freigemacht werden.“
Das Fehlen nachhaltiger Frauenpolitik ist ganz grundsätzlicher Natur, denn es fehlt die dafür nötige, wissenschaftliche Aufbereitung. „1975, 1985, 1995 und in etwas reduzierterer Variante 2010 gab es aufschlussreiche Frauenberichte, die zeigten, was aus frauen- und gleichstellungspolitischer Sicht aktuell wichtige Themen sind. Weder gab es einen Frauenbericht 2020, noch sind Anzeichen erkennbar, dass ein Nachfolgebericht zur Fundierung einer umfassenden frauen- und gleichstellungspolitischen Auseinandersetzung in naher Zukunft angedacht wird. Angesichts der massiven Auswirkungen von Covid wäre der Frauenbericht dringender denn je. Vorbild kann hier Deutschland mit den regelmäßigen Gleichstellungsberichten sein, die im Parlament behandelt werden. Das fehlt in Österreich“, so die Käthe Leichter Preisträgerinnen Andrea Leitner und Nadja Bergmann.
„Wer fürchtet sich vor dem Frauenbericht? Jeder versäumte Frauenbericht ist eine verpasste Chance“, zu diesem Schluss kommt Gitti Vasicek, Vizerektorin der Kunstuniversität Linz.
Gerade die Erstellung eines Frauenberichts bedarf feministischer Expertise, dem Abbau feministischer Forschung an Österreichs Universitäten muss entgegengewirkt werden. Die Feministische Ökonomin Katharina Mader bemängelt: „Feministische Forschung an Universitäten ist systematisch unterbesetzt.“
„Ohne Analyse, Evaluation, entsprechende Maßnahmen und adäquater Finanzierung ist kein Staat zu machen. Wir fordern die Regierung nachdrücklich auf, diese Versprechen einzulösen und zu liefern“, so Traude Kogoj, Anna Steiger und Ingrid Moritz.
Offener Brief an die Bundesministerin für Frauen, Familie,
Jugend und Integration im Bundeskanzleramt und an die gesamte Bundesregierung
Sehr geehrte Ministerin Mag.a Dr.in Susanne Raab,
sehr geehrte Minister:innen der Österreichischen Bundesregierung!
Als Forscherinnen und Trägerinnen des Käthe-Leichter-Preises richten wir folgende Anfrage an Sie bzw. an die Minister:innen der Bundesregierung:
Es geht um Gleichstellung und Chancengleichheit in der österreichischen Gesellschaft – mit allen Implikationen wie Sicherheit, sozialer Friede, guter Wirtschaftsstandort, guter Ort, um zu leben. Und es geht um die Verwendung von Steuergeld.
Es ist daher im Interesse der Öffentlichkeit und im Interesse der Einhaltung der EU-Vorgaben zur Gleichstellung, den Umsetzungsstand der im Nationalen Aktionsplan für Gleichstellung 2010 festgelegten Maßnahmen im Detail zu erfahren.
Es ist im Interesse der Öffentlichkeit und im Interesse der Einhaltung der UN-Vorgaben zur Gleichstellung, den Umsetzungsstand der Maßnahmen bei den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDG 5) zur Gleichstellung der Geschlechter im Detail zu erfahren. Was ist seitens der Regierung dazu konkret geplant?
Es ist im Interesse der Öffentlichkeit nachvollziehbare Maßnahmen anzuführen, die Grundlage zum verbesserten institutionellen Umgang mit dem Politikfeld Gewalt gegen Frauen darstellen. Denn jeder weitere, verschleppte Tag kann das Leben von Frauen kosten.
Es ist im Interesse der Öffentlichkeit und im Interesse der Einhaltung der EU-Vorgaben zur Gleichstellung, den Umsetzungsstand der festgelegten Maßnahmen der Istanbul Konvention (Artikel 11) im Detail zu erfahren und zu begründen, warum im Umsetzungsbericht zu den Empfehlungen 2021 seitens des Bundeskanzleramtes diese enorm wichtigen Ressourcen fehlten und weshalb sie nicht aufgebracht werden konnten. Wann werden die Ressourcen endlich in ausreichendem Umfang bereitgestellt?
Es ist im Interesse der Öffentlichkeit und Grundlage für eine gelingende Frauenpolitik, den seit 1975 in Abstand von zehn Jahren erscheinenden Frauenbericht umgehend zu beauftragen und umzusetzen. Wann und mit welchem Budget wird der nächste Frauenbericht unter Einbeziehung einer breiten feministischen Expertise in Auftrag gegeben?
Denn – wie wir mehrfach im Regierungsprogramm lesen können – ohne Analyse, Evaluation und ohne entsprechende Maßnahmen ist es nicht möglich, evidenzbasierte Politik zu machen.
Sie sind säumig!
Wir freuen uns auf Ihre schriftliche Antwort, die ganz Österreich Ihr Verständnis von gleichstellungsorientierter und chancengleicher Politikgestaltung vor Augen führt.
Unterzeichnerinnen:
Anna Steiger, Initiatorin des Käthe Leichter Alumnae Klubs und Mitglied der Käthe Leichter Jury
Ingrid Moritz, Initiatorin des Käthe Leichter Alumnae Klubs und Mitglied der Käthe Leichter Jury
Traude Kogoj, Initiatorin des Käthe Leichter Alumnae Klubs und Käthe Leichter Staatspreis 2018
Karin Berger, Käthe Leichter-Preis 1993
Irene Bandhauer-Schöffmann, Käthe Leichter Staatspreis 1994
Ingrid Bauer, Käthe Leichter-Preis 1995
Ursula Flossmann, Käthe Leichter-Preis 1995
Karin M. Schmidlechner, Käthe Leichter-Preis 1996
Birgit Buchinger, Käthe Leichter-Preis 1997
Neda Bei, Käthe Leichter Staatspreis 1998
Lisbeth Nadia Trallori, Käthe Leichter Staatspreis 1999
Ulrike Pastner, Käthe Leichter Staatspreis 2000
Barbara Rohregger, Käthe Leichter-Preis 2005
Regine Bendl, Käthe Leichter-Preis 2005
Maria Mesner, Käthe Leichter-Preis 2005
Andrea Ellmeier, Käthe Leichter-Preis 2006
Anita Ziegerhofer, Käthe Leichter-Preis 2006
Andrea Griesebner, Käthe Leichter-Preis 2006
Andrea Leitner, Käthe Leichter-Preis 2007
Johanna Hofbauer, Käthe Leichter-Preis 2008
Brigitte Ratzer, Käthe Leichter-Preis 2009
Gudrun Biffl, Käthe Leichter Staatspreis 2009
Birge Krondorfer, Käthe Leichter-Preis 2009
Alexandra Weiss, Käthe Leichter-Preis 2010
Elisabeth Klatzer, Käthe Leichter-Preis 2010
Heidi Schrodt, Käthe Leichter-Preis 2010
Luzenir Caixeta, Käthe Leichter Preis 2010
Petra Unger, Käthe Leichter-Preis 2011
Brigitte Halbmayr, Käthe Leichter-Preis 2011
Helga Amesberger, Käthe Leichter-Preis 2011
Susanne Dermutz, Käthe Leichter-Preis 2012
Birgitt Haller, Käthe Leichter-Preis 2012
Lisa Fischer, Käthe Leichter-Preis 2012
Ursula Till-Tentschert, Käthe Leichter-Preis 2012
Ingrid Mairhuber, Käthe Leichter-Preis 2014
Angela Wroblewski, Käthe Leichter-Preis 2014
Brigitte Rath, Käthe Leichter-Preis 2014
Birgit Sauer, Käthe Leichter Staatspreis 2015
Nadja Bergmann, Käthe Leichter-Preis 2015
Karin Schönpflug, Käthe Leichter-Preis 2015
Hilde Stockhammer, Käthe Leichter-Preis 2015
Waltraud Ernst, Käthe Leichter-Preis 2016
Sybille Pirklbauer, Käthe Leichter-Preis 2016
Karin Sardadvar, Käthe Leichter-Preis 2016
Helene Maimann, Käthe Leichter Staatspreis 2017
Elfriede Hammerl, Käthe Leichter Lebenswerkpreis 2017
Heidi Niederkofler, Käthe Leichter-Preis 2017
Gitti Vasicek, Käthe Leichter-Preis 2018
Kerstin Witt-Löw, Käthe Leichter-Preis 2018
Alyssa Schneebaum, Käthe Leichter-Preis 2018
Gitti Vasicek, Käthe Leichter-Preis 2018
Katharina Mader, Käthe Leichter-Preis 2019
Veronika Duma, Käthe Leichter-Preis 2019
Julia Schuster, Käthe Leichter-Preis 2019
Doris Allhutter, Käthe Leichter-Preis 2020
Sabine Köszegi, Käthe Leichter-Preis 2020
Karin Gutiérrez, Käthe Leichter Lebenswerkpreis 2020
Mag.a iur. Anna Steiger
Jurymitglied Käthe Leichter Preis
T: +43 664 60 58 84111
anna.steiger@tuwien.ac.at
Dr.in Traude Kogoj
Käthe Leichter Staatspreisträgerin 2018
T: +43 664 61 71 035
traude.kogoj@oebb.at
Mag.a Ingrid Moritz
AK Wien – Leiterin Abt. Frauen und Familie
T: +43 1 501 65 12529 oder +43 664 50 68 038
ingrid.moritz@akwien.at
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
© Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender