Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 14. März 2022. Von MARCO WITTING. „Der Amtsbonus im Malus“.

Innsbruck (OTS) – Die ÖVP fuhr bei den Stichwahlen gestern in Hall und Schwaz bittere Niederlagen ein. Aber nicht nur Hans Lintner wurde als Langzeitbürgermeister aus dem Amt gekickt. Auch viele andere Ortschefs müssen ihr Amt abgeben.

Der frische Wind, den viele sich gerne bei einer Gemeinderatswahl auf die bunten Plakate schreiben, der ist zwischen den Wahlgängen zum Sturm geworden. Und hat gleich zehn Bürgermeis­terinnen oder Bürgermeister aus dem Amt gefegt. Der Amtsbonus, sonst gerne als klarer Vorteil für die amtierenden Ortschefs ins Rennen geführt, ist im Malus. Das wirbelt auch die Landespolitik durcheinander.
Zwar konnte sich die ÖVP vor Tagen noch darüber freuen, in Wörgl künftig den Bürgermeister zu stellen. Gestern gab es, abgesehen von Imst, aber mehrere schallende Ohrfeigen für die selbst ernannte Bürgermeisterpartei. In Schwaz ist die Ära von Hans Lintner, 25 Jahre im Amt, vorbei. Die ÖVP hatte Lintner vor Monaten angesichts schlechter Umfragewerte bekniet, doch noch einmal anzutreten. Genutzt hat es nichts. Im Gegenteil. Lintners Abschied als Bürgermeister der Silberstadt ist einer mit einer krachenden Niederlage. Auch in Hall verliert die ÖVP den sonst fix eingeplanten Bürgermeistersessel. Da wie dort hat man es ganz offensichtlich nicht geschafft, starke Nachfolger aufzubauen. Da wie dort hat man es auch nicht geschafft, dem Gegenwind und dem Wunsch nach Veränderung entgegenzutreten. Dazu kommen die Niederlage in Axams und die Verzichte in Völs und Wattens. Rückenwind für die Landtagswahl sieht wohl anders aus.
Den will die SPÖ mit der Sensation in Schwaz aufnehmen. Dass man Wörgl verloren hat, ist da politisches Geschwätz von gestern. Doch die Ergebnisse zeigen: Die Wähler scheuen sich in bewegten Zeiten nicht, für Veränderung zu stimmen. Es sind durchaus ein verschärfter Wettbewerb und knappere Ergebnisse festzustellen. Selbst wenn es nicht überall so knapp zugeht wie in Wenns, wo beide Kandidaten gleich viele Stimmen erhalten haben. Es hat sich zudem gezeigt, dass ein Rückstand im ersten Wahlgang nicht zwangsläufig eine Niederlage in der Stichwahl bedeutet. Gleich mehrere Ergebnisse wurden umgedreht.
Der verschärfte politische Wettbewerb wird sich auch in den kommenden Wochen zeigen. Die Mehrheitsverhältnisse sind in vielen Orten durcheinandergewirbelt worden. In zersplitterten Gremien nützt der frische Wind dann schon nicht mehr so viel. Da brauchen die neuen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor allem Kompromissbereitschaft und die Fähigkeit, Allianzen zu schmieden.
Der „Wind of Change“ mag für den Wahlkampf seinen Charme haben. In der täglichen Arbeit wird es aber mehr brauchen als den puren Willen zu Veränderung. Sonst gibt es recht schnell Gegenwind.

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