Leitartikel „Referenzprojekt ohne Nachahmer“ vom 1. April 2022 von Marco Witting

Innsbruck (OTS) – Der Zusammenschluss von Matrei, Pfons und Mühlbachl wurde bejubelt. Ab Sonntag steht der Fusionsgemeinde auch ein Bürgermeister vor. Sorge, dass er das Projekt häufig anderen Orten vorstellen muss, braucht der Ortschef nicht zu haben.

Von Marco Witting
Zum dritten Mal binnen eineinhalb Jahren schreiten die Menschen in der Fusionsgemeinde Matrei am Sonntag zur Wahlurne. Nach der Abstimmung über die Gemeindefusion von Matrei, Pfons und Mühlbachl und der Gemeinderatswahl geht es jetzt noch in der Stichwahl um einen neuen Bürgermeister.
Auf den neuen Ortschef, egal ob er Geir oder Papes heißt, kommen viele Herausforderungen zu. Ganz besonders, wenn es um die Identifikation mit der neuen Gemeinde geht. Sorgen, dass sie das Fusionsprojekt ständig potenziellen Nachahmern vorstellen müssen, brauchen sich die Kandidaten aber keine machen. Es gibt aktuell keine derartigen Pläne in Tirol. Mehr noch, in manchen Fällen, wo einst eng zusammengearbeitet wurde, etwa im Zillertal, geht man mittlerweile wieder sehr stark getrennte Wege. Das Kirchturmdenken ist dann doch weit verbreitet.
Dabei hatte das Land die Fusion in Matrei nicht nur als „Referenzprojekt“ (LR Hannes Tratter) in den höchsten Tönen gelobt, sondern auch mit rund 1,2 Millionen Euro finanziell aufgefettet. Nachahmer fanden sich trotzdem keine. Und sie sind auch nicht in Sicht. Das Fusionsthema wurde im Gemeinderatswahlkampf komplett ausgespart. Und angesichts der klaren Botschaft von LH Günther Platter, gegen Zwangsfusionen zu sein und auf Freiwilligkeit zu setzen, lehnten sich die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wohl beruhigt zurück.
Um eines klarzustellen: Nicht überall macht eine Gemeindefusion Sinn. Und eine Zusammenlegung zu diktieren, hätte wohl in den meisten Fällen pure Ablehnung innerhalb der Bevölkerung von Beginn an zur Folge. Aber etliche Orte sind mittlerweile so sehr zusammengewachsen, dass eine Fusion (oder enge Kooperation) auf der Hand liegt – und ihre Vorteile hätte. Dabei zeigt das Beispiel der Steiermark, wo mit 2015 ja zwanghaft fusioniert wurde, dass nach vier Jahren die finanziellen Ersparnisse nicht da waren. Die Fusionen brachten keine Einsparungen. Die sollen sich erst später einstellen – wenn überhaupt. Aber sie sorgten für Verbesserungen für die Bürger, etwa was Infrastruktur, Öffnungszeiten und Professionalisierung betraf. Und Fusionen stärken damit letztlich auch den ländlichen Raum.
Aus erster Hand können sich die anderen Gemeinden künftig ja in Matrei darüber informieren, wie die Fusion gelebt wird. Das klare Ja bei der Abstimmung im Herbst 2020 in Matrei, Pfons und Mühlbachl hat übrigens gezeigt, dass in der Bevölkerung deutlich weniger Kirchturmdenken vorherrschend ist, als man es zuweilen vielleicht annimmt. Wäre an der Zeit, dass die Volksvertreter hier auch umdenken.

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