Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 6. April 2022. Von MATTHIAS CHRISTLER. „Nicht mehr Öl ins Feuer gießen“.
Innsbruck (OTS) – Der Weltklimabericht macht deutlich, dass es einen Systemwandel braucht. Jetzt oder nie. Die bittere Wahrheit ist aber:
Immer noch zu viele Menschen leben im Irrglauben, trotz der Klimakatastrophe irgendwie über die Runden zu kommen.
Man kann es schon fast gar nicht mehr lesen, so oft wurde das Ende der Welt prophezeit. Die Wissenschaft warnt seit Jahrzehnten vor der Erderwärmung – und die Voraussagen sind auf die Grade genau eingetroffen. Steigende Meeresspiegel, sterbende Gletscher, mehr Hochwasserereignisse und Waldbrände wie zuletzt in Pinswang oder Längenfeld, all das tritt wie angekündigt oder sogar noch drastischer ein. Der neueste Weltklimabericht mahnt erneut eine radikale Emissionsreduktion ein. Das kennt man. Nur ist der Mensch kein kleines Kind, das durch ständige Wiederholungen lernt, nicht mehr ohne zu schauen auf die Straße zu laufen. Die Gesellschaft fährt lieber sehenden Auges gegen die Wand. Weil im Kopf der Selbstschutz verankert sein muss, der uns weismachen will, dass man schon irgendwie nicht betroffen sein wird. Die Forscher versuchen nun eine andere Strategie und übermitteln auch eine positive Botschaft: Wir schaffen das. Wenn wir handeln. Jetzt oder nie.
Es wurde schon zu viel Zeit vergeudet, die Welt steuert auf eine Erwärmung von drei Grad zu. Als 2018 ein junges Mädchen mit einem Schild in der Hand auf der Weltbühne erschien, war die Hoffnung groß, dass Greta Thunberg eine Art Galionsfigur der Klimabewegung werden könnte. Ein Jahr später gingen 20.000 Menschen unter dem Banner von „Fridays For Future“ in Innsbruck auf die Straße. Vor eineinhalb Wochen waren es nur noch 900 Teilnehmer. Immer noch fahren zu viele Benzin-SUV und zu wenige E-Autos durch die Städte. Das Klimaticket für die Öffis haben weniger als 40.000 Tiroler gekauft (Stand Anfang März), auch dort ist noch genug Luft nach oben. Und bei einer TT-Umfrage Ende März mit 1000 Teilnehmern meinten 60 Prozent, dass sie ihre Öl- oder Gasheizung nicht umrüsten, weil sie die Kosten und die komplizierten Förderungen abschrecken würden.
All das beweist, was die Forscher sagen: Es braucht neben dem sofortigen Einsparen von Treibhausgasen einen radikalen Systemwandel. Jeder, die gesamte Wirtschaft und der einzelne Haushalt, muss Energie einsparen. Die Politik ist verpflichtet, die Voraussetzungen für einen neuen Lebensstil zu schaffen. So hart es klingen mag, der Ukraine-Krieg zeigt, dass ein schnelles, geschlossenes Handeln möglich sein kann. Diese Solidarität braucht es genauso im Kampf gegen den Klimawandel.
Die unbequeme Wahrheit lautet: So ein Systemwandel wird unseren Wohlstand gefährden. Die bittere Wahrheit ist aber, dass ein Großteil der Bevölkerung lieber über hohe Benzinpreise schimpft und trotzdem weiter tankt, anstatt weniger mit dem Auto zu fahren. Im Moment gießen die meisten von uns noch viel zu viel Öl ins Feuer einer immer heißeren Welt.
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