Leitartikel „Fristen frusten“ vom 12. Mai 2022 von Benedikt Mair

Innsbruck (OTS) – Die Verfahren im Umgang mit Beutegreifern sollen beschleunigt werden. Höchste Zeit. Und besser spät als nie. Langsam wird’s was mit der praktikablen Raubtier-Strategie. Zu glauben, jetzt sei in der Sache aller Tage Abend, wäre aber ein Fehler.

Von Benedikt Mair
Beutegreifer tragen keine Uhren. Und halten nichts von Terminen. Erst sind sie da, dann dort, meist, wo es was zum Fressen gibt. Das gilt auch für jenen Vertreter dieser Gattung, der Ende April im Osttiroler Anras eine Viehherde angegriffen und mehrere Schafe gerissen hat. Immer dem nächsten Happen nach. Der Mensch tickt fundamental anders. Planungsphasen, Stichtage, Bedenkzeiten – allesamt hohe Güter. Im Umgang mit Raubtieren sind sie leider völlig nutzlos.
Das Land Tirol will seine Verfahren im Management von auffällig gewordenen Wölfen, Bären, Luchsen und Co. beschleunigen. Besonders dann, wenn sie in bewohntem Gebiet keine Scheu mehr zeigen. Wenn das Fachkuratorium, welches künftig sofort und nicht erst drei Tage nach einem Nachweis tätig werden kann, dieses Individuum als problematisch einstuft, wird unverzüglich eine Verordnung erlassen und der Abschussbescheid ausgestellt. Sofort, unverzüglich – Zeit, dass diese Worte Eingang in die heimische Beutegreifer-Strategie finden.
Aus mehrerlei Hinsicht ist das bedeutsam. Zum einen wird es der rein fachlichen Tatsache gerecht, dass diese Tiere teilweise weite Strecken an einem Tag zurücklegen, nicht zwingend an einen Ort gebunden sind und trotzdem großen Schaden anrichten können. Andererseits wirkt es so, als würde auf die Sorgen der Bevölkerung konsequent reagiert. Wenn erst lange nach Bekanntwerden von Rissen überhaupt feststeht, ob ein Wolf oder Bär zu Gange waren, weitere Tage später das Expertengremium sich überhaupt mit der Sache befassen darf und zunächst eine weitere Frist verstreichen muss, dass – im äußersten Fall – ein Tötungsbescheid in Kraft tritt, dann kann es nicht verwundern, dass Bauern aber auch landwirtschaftsfremde Männer und Frauen frustriert sind. Und sich von der Politik im Stich gelassen fühlen.
Die Maßnahme der Verantwortlichen sollte sie beschwichtigen, ein Zeichen dafür sein, dass ihre Ängste ernst genommen werden. Alles gut jetzt also, in der Raubtier-Frage? Unwahrscheinlich. Denn der Weg hin zur Entnahme bleibt weiter ein langer. Weil es selbst mit behördlichem Sanctus für einen Jäger nie einfach sein wird, eines der Tiere aufzuspüren, geschweige denn zu treffen. Und weil über dem Vorgehen auf Landesebene Verträge, Richtlinien, Abkommen stehen, die Grundlage für Einsprüche gegen jede noch so plausible Abschussverordnung bieten. Erst Erfolge auf dem europäischen Parkett tragen dazu bei, die Sache nachhaltig zu lösen. Herausforderung genug für die kommenden Jahre. Denn in Brüssel ticken die Uhren bekanntlich anders.

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