30 Jahre Gedenkdienst: Internationaler Blick auf Meilenstein

Nationalratspräsident Sobotka lud zu Veranstaltung u.a. mit Keynotes von Deborah Lipstadt und Rabbi Abraham Cooper

Seit nunmehr 30 Jahren unterstützt die Republik Österreich die Entsendung von Freiwilligen zu Holocaust-bezogenen und jüdischen Organisationen in Form des Gedenkdienstes. Um diesen Meilenstein zu würdigen, lud Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka im internationalen Rahmen zur Veranstaltung „30 Jahre Gedenkdienst“ in das Parlament in der Hofburg. Redebeiträge hielten neben Außenminister Alexander Schallenberg etwa die Holocaust-Forscherin Deborah Lipstadt sowie Rabbi Abraham Cooper vom Simon Wiesenthal Center und der Vorsitzende von Israels staatlicher Holocaust-Gedenkstätte Yad-Vashem, Dani Dayan.

Die ersten Gedenkdiener begannen 1992 ihren Gedenkdienst im Museum Auschwitz-Birkenau, bei der Anne Frank Stiftung und in der Gedenkstätte Theresienstadt. Dem vorausgegangen war eine Änderung des Umgangs mit der Geschichte des Nationalsozialismus im öffentlichen Diskurs in Österreich, gefolgt von einer Novellierung des Zivildienstgesetzes.

Bis heute haben etwa 1.300 Personen einen solchen Freiwilligen- oder Zivilersatzdienst geleistet, um an die Gräueltaten des Nationalsozialismus zu erinnern, seiner Opfer zu gedenken und jüdische Kultur und jüdisches Leben, sowie das von anderen Opfergruppen, zu unterstützen.

SOBOTKA: GEDENKDIENST IST VISITENKARTE ÖSTERREICHS GEWORDEN

Der Gedenkdienst bzw. Auslandsdienst sei eine Visitenkarte Österreichs geworden, wie sie besser nicht sein könnte, unterstrich Nationalratspräsident Sobotka. Er sprach seinen Dank für das Engagement aus, Verantwortung zu übernehmen. Auch wenn es heute Anlass zu Optimismus gebe, sehe er zum Thema Antisemitismus weiterhin Gründe, besorgt und wachsam zu sein. Denn wie Deborah Lipstadt in ihren Forschungen sehr klar zum Ausdruck bringe, sei Antisemitismus zugleich antidemokratisch. Es müsse daher für jeden und jede eine Selbstverständlichkeit sein, sich gegen diese Tendenzen zu engagieren.

Antisemitismus sei weltweit im Steigen. Sobotka bezeichnete die Rasanz, mit welcher sich etwa der Hass im Netz ausbreite, auch im historischen Kontext als besorgniserregend. Es brauche eine klare Haltung, dass Hass gar nicht erst viral werden könne und Antisemitismus auf allen Ebenen zu bekämpfen sei. Bewusst zu machen gelte es auch, dass Antisemitismus nicht von den Rändern, sondern aus der Mitte der Gesellschaft komme. Sobotka erwähnte auch den vom österreichischen Parlament ins Leben gerufenen Simon-Wiesenthal-Preis, um die Gesellschaft als Ganzes im Engagement gegen Antisemitismus zu unterstützen. Darüber hinaus gelte es noch Vieles zu tun, um die jüdische Kultur sichtbar zu machen.

SCHALLENBERG: GEDENKDIENST IST MOSAIKSTEIN ÖSTERREICHISCHER VERANTWORTUNG

Außenminister Alexander Schallenberg hielt zur Begrüßung fest, dass der Gedenkdienst einen wichtigen Mosaikstein darstelle, um als Republik Österreich Verantwortung auszudrücken und dieser gerecht zu werden. In diesem Sinne seien die Gedenkdiener:innen auch Träger:innen und Botschafter:innen dieses neuen Österreichs, das offen mit den dunkelsten Kapiteln seiner Geschichte umgehe. Heute seien von Israel bis Australien, von den USA bis Südafrika österreichische Gedenkdiener und mittlerweile auch Gedenkdienerinnen an mehr als 80 Einsatzstellen in über 40 Ländern tätig. Durch ihren Dienst an Holocaust-Erinnerungsorten weltweit lernen diese jungen Österreicher:innen aus nächster, unmittelbarer Anschauung über das Menschheitsverbrechen der Schoah und begreifen dadurch in ganz besonderer Weise den Imperativ des „Nie wieder“, bedankte sich Schallenberg ebenso wie Sobotka persönlich bei den Freiwilligen.

LIPSTADT: KAMPF GEGEN ANTISEMITISMUS IST KAMPF FÜR DEMOKRATISCHE WERTE

Antisemitismus sei weltweit im Begriff zuzunehmen, so Deborah Lipstadt, U.S. Special Envoy for Monitoring and Combating Antisemitism. In ihrer Keynote via Videobotschaft wies sie unter anderem auf den weiter wachsenden Hass im Internet hin, der potenziell gefährliche Folgen für Individuen und die Gesellschaft habe. Umso wichtiger sei es, aus der Geschichte des Holocaust und dessen Gefahren die Lehren zu ziehen. Programme wie der Gedenkdienst, die den Opfern der Schoah gedenken und die jüdische Kultur fördern, seien dabei von großer Bedeutung.

Sei es Rassismus, Antisemitismus, Hass gegenüber Muslim:innen oder Immigrant:innen, diese Phänomene würden ineinander übergehen und dasselbe Grundprinzip haben, so Lipstadt. Es gelte, das zu erkennen, um Antisemitismus und andere Formen des Hasses bekämpfen zu können. Die Geschichte habe gezeigt, dass eine Gesellschaft, die Antisemitismus toleriert oder gar ermöglicht, eine Gesellschaft ist, in der niemand mehr ungefährdet oder sicher ist. Um gegen Antisemitismus effizient und ganzheitlich vorzugehen, seien eine Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinweg, mit der Zivilgesellschaft und den betreffenden Interessensgruppen wichtig. Der Kampf gegen Antisemitismus sei ein Kampf für demokratische Werte, für Gerechtigkeit und für das Wohlergehen aller Nationen, hielt Lipstadt fest.

COOPER: ÖSTERREICH HAT SEINE VERANTWORTUNG ANERKANNT

Rabbi Abraham Cooper (Prodekan Simon Wiesenthal Center, Los Angeles) würdigte in seiner Keynote die Bedeutung der Gedenkdiener:innen als Botschafter:innen und bezeichnete es als inspirierend zu sehen, dass sich in diesem Rahmen auch ein Band der Freundschaften bilde und junge Österreicher:innen an vorderster Front gegen Antisemitismus vorgehen. Im Vergleich zu früheren Jahren habe Österreich seine Rolle und Verantwortung im Zusammenhang mit der Schoah anerkannt, so Cooper. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an den unermüdlichen Einsatz von Simon Wiesenthal, der zugleich bestrebt gewesen sei, die moralischen Grundbegriffe von Bestrafung und Gerechtigkeit im Justizsystem wieder aufzubauen, die unter dem Nationalsozialismus fast vollständig abgebaut worden waren. Er gab die gegenwärtige fortschreitende technologische Entwicklung zu bedenken und zitierte sinngemäß Wiesenthal, was die Frage betreffe, ob es bei einem „Nie wieder“ bleibe: Wenn man organisierten Hass, eine Krise der Gesellschaft und den Zugang zur Technologie habe, sei alles möglich, habe er gewarnt.

DAYAN ZU GEDENKDIENST-FEIER ERSTMALS IN WIEN

Der Vorstandsvorsitzende von Yad Vashem, Dani Dayan, erinnerte daran, unter welch widrigsten Umständen jüdische Künstler:innen in Konzentrationslagern trotzdem weiter Werke geschaffen hatten. Ein Zitat eines Werks sage in etwa „Ich weiß, dass ich diese Hölle nicht überleben werde“ und zeige, welche Verantwortung auf den Schultern laste. Das schmerzhafte Bewusstsein der Verantwortung lasse aber nicht den Optimismus verlieren, die insbesondere der sogenannten „dritten Generation“ geschuldet sei. Auch in Österreich sehe er, dass die Verantwortung übernommen werde und die Antisemitismus-Sensibilisierung voranschreite. Dass junge Menschen aus der „dritten Generation“ als Freiwillige im Gedenkdienst arbeiten, habe ihn veranlasst, zu dieser Feier erstmals in seinem Leben nach Wien zu kommen, so Dayan.

Es gebe aus seiner Sicht nicht die eine Lehre, die sich aus der Schoah ziehen lasse, meinte Dayan, unterschiedliche Lehren seien legitim. Für ihn gebe es zum einen eine existenzielle Notwendigkeit eines unabhängigen jüdischen Staates. Zum anderen, unter Hinweis auf den zunehmenden Antisemitismus, gelte es, sofort und scharf gegen die ersten Anzeichen von Antisemitismus vorzugehen, etwa auch gegen jene Aussagen, die von einer Zerstörung oder Löschung Israels von der Landkarte sprechen.

In einer Paneldiskussion tauschten sich zudem Tomasz Kuncewicz (Direktor Auschwitz Jewish Center), Tali Nates (Gründerin und Direktorin des Johannesburg Holocaust & Genocide Centre) und Jayne Josem (Geschäftsführerin Melbourne Holocaust Museum) mit den Gedenkdienst-Alumni Jacob Anthony Bauer (Gedenkdienst-Alumnus am Tom Lantos Institut in Budapest und dem Cape Town Holocaust and Genocide Centre in Kapstadt) und Felix Loidl (Gedenkdienst-Alumnus am Galicia Jewish Museum in Krakau) aus (siehe Parlamentskorrespondenz 944/2022).

Die Veranstaltung wurde von Danielle Spera (Executive Director Kultur.Medien.Judentum) moderiert, in der Mediathek auf der Parlamentswebsite live gestreamt und ist dort als Video-on-Demand abrufbar. (Fortsetzung 30 Jahre Gedenkdienst) mbu

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie auf der Website des Parlaments.

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