Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention: Österreich im Rückwärtsgang
Zum zweiten Mal seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2008 wird deren Umsetzungsstand in Österreich durch den UN-Fachausschuss kontrolliert. Seit der letzten Staatenprüfung sind 10 Jahre vergangen. Zwei nationale Aktionspläne wurden erarbeitet, um den Fahrplan für die Umsetzung der UN-Konvention vorzugeben. Im Rahmen der Staatenprüfung wurde aktuell vom Fachausschuss mit Vertreter*innen der Republik die aktuelle Situation von Menschen mit Behinderungen in Österreich erörtert und der Fortschritt bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention diskutiert.
GRAVIERENDE MÄNGEL
Obwohl es zu vereinzelten Verbesserungen kam, ist Österreich in vielen Bereichen nach wie vor säumig. „Gravierende, vom UN-Fachausschuss bereits im Rahmen der der Staatenprüfung 2013 hervorgehobene, Mängel bestehen weiterhin unverändert. Mitunter sind sogar Verschlechterungen zu verzeichnen. In mehreren Bereichen sind die Bedingungen, die Menschen mit Behinderungen in Österreich vorfinden, schlichtweg als nicht menschenrechtskonform zu bezeichnen“, erklärt die Behindertenanwältin des Bundes, Christine Steger.
KRITIKPUNKTE, RÜCKSCHRITTE UND POSITIVE ENTWICKLUNGEN
Ein wesentlicher, im Rahmen der aktuellen Staatenprüfung thematisierter, Kritikpunkt bezieht sich auf den Mangel an inklusiven Bildungsmöglichkeiten. Nach der Abschaffung der inklusiven Modellregionen 2018 ist es in diesem Bereich zu einem Stillstand gekommen. Aktuell bleibt vielen Menschen mit Behinderungen der Besuch von Regelschulen nach wie vor verwehrt, obwohl bereits 2013 nach der ersten Staatenprüfung eine klare Empfehlung für eine gemeinsame und inklusive Schule für alle Kinder ausgesprochen wurde.
Der UN-Fachausschuss verwies im Rahmen der letzten Staatenprüfung auf die mangelnde Gleichstellung zwischen Männern und Frauen in Österreich. Frauen mit Behinderung seien dabei mehrfachen Formen von Diskriminierungen sowie der Gefahr von Missbrauch und sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Bedarfsgerechte Hilfs- und Unterstützungsangeboten für Frauen und Mädchen mit Behinderungen fehlen bislang weitgehend und zwar in allen Lebensbereichen.
STILLSTAND: KEINE BEWEGUNG BEIM ABBAU VON INSTITUTIONEN
In Österreich mangelt es 15 Jahre nach Ratifizierung der UN-Konvention noch immer an bedarfsgerechten Unterstützungsangeboten, gemeindenahen Dienstleistungen, barrierefreiem Wohnraum und angemessenen Vorkehrungen. Daher sind viele Menschen mit Behinderungen nach wie vor gezwungen, in Einrichtungen der Behindertenhilfe zu leben. Laut UN-Konvention müssen Menschen mit Behinderungen ihren Wohnort und ihre Wohnform frei wählen und unabhängig leben können. Ein umfassender Abbau von Institutionen, zu dem die Konvention Österreich verpflichtet, wurde bisher nicht umgesetzt. In einigen Bundesländern wurden mit Hilfe von Fördergeldern der Europäischen Union Wohn- und Beschäftigungseinrichtungen errichtet, die nicht im Einklang mit der UN-Konvention stehen.
ENDSTATION WERKSTÄTTEN
Klare Worte fand der UN-Fachausschuss für die nach wie vor bestehende Struktur von Werkstätten in Österreich: Bereits 2013 gab es konkrete Handlungsempfehlungen dazu, diese wurden von Österreich nicht einmal ansatzweise umgesetzt.
„Die Situation für die rund 25.000 Menschen mit Behinderungen ohne sozialversicherungsrechtliche Absicherung oder Entlohnung widerspricht den Zielen der Konvention fundamental. Das hat der UN-Fachausschuss unmissverständlich klargestellt“ so Steger.
DISKRIMINIERUNGSSCHUTZ
Auch eine vom UN-Fachausschuss empfohlene und von der Behindertenanwaltschaft wiederholt geforderte die Stärkung des Diskriminierungsschutzes für Menschen mit Behinderungen durch Schaffung eines umfassenden Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs von Diskriminierungen wurde bislang nicht umgesetzt. Diese Forderung hat der Fachausschuss betont.
Positiv hervorzuheben sind seit der letzten Staatenprüfung die Einführung des zweiten Erwachsenenschutzgesetzes und die Stärkung des Monitoringausschusses. Sonderberichterstatter Schefer hat jedoch unmissverständlich klargestellt, dass die Länder ihrer Verpflichtung zur Umsetzung des Erwachsenenschutzgesetzes nicht ausreichend nachkommen.
MANGELNDE KOOPERATION VON BUND, LÄNDERN UND GEMEINDEN
Da die UN-Konvention die Verpflichtung zu einer umfassenden Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen vorsieht, befasst sie sich naturgemäß mit sämtlichen Lebensbereichen. Dies hat zur Folge, dass sich alle Gebietskörperschaften an der Umsetzung an der Umsetzung der UN-Konvention beteiligen müssen. Mangelnde Zusammenarbeit stellt dabei oftmals ein unüberwindliches Hindernis dar.
„Ohne eine ganzheitliche Herangehensweise, bei der Bund, Länder und Gemeinden an einem Strang ziehen, werden wesentliche Strukturreformen wohl auch in den nächsten 10 Jahren Wunschdenken bleiben. Erst wenn sich alle Beteiligten ihrer Verantwortung bewusst werden, können weitere Rückschritte vermieden werden. Ein Verharren im Status quo ist mit den von Österreich eingegangenen Verpflichtungen nicht vereinbar“, führt Behindertenanwältin Steger aus.
In seinen Schlussworten hat Sonderberichterstatter Schefer seine Kritik an der mangelnden Umsetzung, insbesondere mit Blick auf die Beteiligung der Länder, bekräftigt. „Wir gehen davon aus, dass der Fachausschuss klar formulierte und sehr zielgerichtete Empfehlungen aussprechen wird, da der Ausschuss über die Strukturen in Österreich bestens informiert war und profunde Fragen an die Republik gerichtet hat.“ Die Handlungsempfehlungen werden für Anfang September erwartet.
Anwaltschaft für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen
Mag. (FH) Stephan Prislinger
+43171100-862223
stephan.prislinger@sozialministerium.at
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