Hunde-Attacke in Oberösterreich ist tragisch, doch Politik darf nicht die falschen Schlüsse ziehen

„Studien zeigen, dass nur 9% des Verhaltens eines Hundes durch seine Rasse bestimmt werden. Listenhunde sind genetisch nicht aggressiver als andere Hunde.“

Was haben Bordeauxdogge, Ridgeback, Tosa Inu und Pit Bull Terrier gemeinsam? Sie gehören zu einer Reihe an Hunderassen, die zumindest in einem der Bundesländer Niederösterreich, Vorarlberg oder Wien zu den „Hunden mit erhöhtem Gefährdungspotential“ gezählt werden. Als Konsequenz müssen Halter:innen sogenannter „Listenhunde“ bundeslandspezifische Auflagen erfüllen. Dazu können strengere Maulkorb- und Leinenvorgaben, eine Bewilligungspflicht in Vorarlberg oder ein eigener Sachkundenachweis in Niederösterreich und Wien gehören. In der Bundeshauptstadt dürfen betreffende Rassen sogar seit 2020 nicht mehr gezüchtet werden. Wissenschaft und NGOs fordern schon lange, dass diese Listen abgeschafft und durch effektive Präventionsmaßnahmen ersetzt werden. Auch eine Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien kommt zu diesem Schluss [1].

RASSELISTEN SIND WEIT VERBREITET, ABER NUTZLOS

Seit der Einführung der ersten Rasselisten vor teilweise mehreren Jahrzehnten hat sich in der Kognitions- und Verhaltensforschung von Hunden viel getan. Viele Mythen konnten beseitigt werden und neue Erkenntnisse liefern laufend Einblicke, worauf es bei einer harmonischen Mensch-Hund Beziehung ankommt und welche Faktoren Beißvorfälle begünstigen.

Anlässlich eines tragischen Vorfalls wurde auch die Veterinärmedizinischen Universität Wien 2018 mit einer Übersicht der aktuellen rechtlichen und wissenschaftlichen Situation beauftragt. Das Ergebnis: In Österreich stehen zwischen 8 und 13 Rassen auf der Hundeliste, in Deutschland 3 bis 19. Trauriger Spitzenreiter ist die Schweiz, wo je nach Kanton 3 bis 31 (!) Rassen als Listenhunde zählen und damit pauschalisiert als bösartig abgestempelt werden. Doch alle diese Länder haben gemein, dass sich ihre Prävalenz von Beißvorfällen auch nach dem Inkrafttreten von Listenregelungen nicht von listenfreien Gebieten unterscheidet [1]. Durch den tragischen Vorfall in Oberösterreich kocht die Debatte um stärkere Restriktionen bei sogenannten „Kampfhunden“ aktuell wieder hoch. 

LISTENHUNDE SIND NICHT AGGRESSIVER

Angesicht der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Zusammenhang von Verhalten und Genetik einzelner Hunderassen, ist die Ineffektivität der Listenregelungen auch nicht verwunderlich:

„Bei einer der umfangreichsten Studie zu diesem Thema wurden über 13.000 Hunde von 31 Rassen mittels Wesenstests evaluiert. Nicht nur wurden große Unterschiede zwischen Individuen innerhalb einer Rasse gefunden, es konnte auch keine Beziehung zwischen rassetypischem Verhalten und der ursprünglichen Gebrauchsfunktion, also beispielsweise der Bewachung des Hofs oder dem Einsatz bei Hundekämpfen, festgestellt werden. Eine topaktuelle Studie von 2022 fand sogar heraus, das nur 9 % des Verhaltens eines Hundes durch seine Rasse bestimmt wird“, informiert Tierschutz Austria Sprecher Jonas von Einem.

Für gängige Listenhunde, wie Pitbull und Rottweiler, wurde zudem kein überdurchschnittliches Gewaltpotential ermittelt [1]. Listenhunde sind folglich per se nicht aggressiver. Sie neigen weder in erhöhtem Maße zu Gewalt, noch machen sie ihre ursprünglichen Einsatzgebiete gefährlicher, als andere Vierbeiner.

WARUM KOMMT ES DENNOCH ZU UNFÄLLEN?

„Dass dennoch manche Hunde auffällig werden, hängt viel von äußeren Einflussfaktoren ab. Dazu gehören die Aufzuchtbedingungen des Wurfes und die ersten Erfahrungen, die die Tiere beim Züchter gemacht haben. Vor allem aber die Sozialisierung bei den Besitzer:innen und die dort angewandten Trainings- und Beschäftigungsmethoden, sind entscheidend. Aversive Trainingsmethoden, also beispielsweise direkte Konfrontation oder Bestrafung, können Aggressions- und Angststörungen nachweislich steigern“, so von Einem weiter [1].

DEUTSCHLAND ERKENNT DIE VERANTWORTUNG BEI DEN HALTER:INNEN

Zusammengefasst, ist die gepriesene Notwendigkeit von Rasselisten weit von der Realität und vor allem der Wissenschaft entfernt. Die große Bandbreite an Rassen, die scheinbar willkürlich mancherorts verboten sind, in anderen, teils direkt angrenzenden Gebieten, aber ohne Auflagen erlaubt sind, hat erwartungsgemäß nicht zu einer Reduktion von Beißvorfällen geführt [1]. „Daher ist es Zeit, die Ursache für Beißvorfälle nicht länger in der Genetik, sondern bei Erziehungspraktiken, Zucht und Sozialisation zu suchen“, interpretieren die Tierschützer die vorliegenden Studien. 

In Deutschland sickern diese Erkenntnisse langsam auch in die Politik durch. In Niedersachsen, Thüringen und Schleswig-Holstein wurden die Rasselisten bereits wieder gestrichen und Mecklenburg-Vorpommern gab bekannt, ebenfalls eine überarbeitete Hundehalter-Verordnung, ohne Rasseliste, umsetzen zu wollen. 

ÖSTERREICH BRAUCHT EINHEITLICHE BEISSSTATISTIKEN, KEINEN GENERALVERDACHT

„Zum Schutz von Mensch und Tier fordern wir, dass die Einschätzung, ob ein Hund aggressiv ist und warum, nur im Einzelfall von ausgebildeten und tierschutzzertifizierten Hundetrainer:nnen getroffen werden sollte“, so von Einem. Diese Expert:innen sollen nach dem neuesten Stand der Wissenschaft umfassend kynologisch ausgebildet sein.

Da gefährliches Verhalten eines Hundes nicht von seiner Rasse, sondern vor allem von seiner Haltung und damit seinen Halter:innen abhängt, sollte auch für Züchter:innen ein Sachkundenachweis eingeführt werden. Hofrätin DDr. Regina Binder, Tierrechtsexpertin an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, bekräftigt dies in ihrem Abschlussbericht von 2019 und fordert umfassende Schulungsmaßnahmen für Erwachsene und Kinder im Allgemeinen, aber besonders für Hundehalter:innen und Züchter:innen. Zusätzlich braucht es eine flächendeckende Hundebissstatistik, für welche einheitlich geklärt werden muss, was unter einem „Biss“ überhaupt zu verstehen ist. Bei einem solchen vereinheitlichten Meldesystem müssen sowohl der Hintergrund über Opfer und Hund, als auch das Szenario und der Kontext eines Vorfalls standardisiert dokumentiert werden [1].

QUELLE:

[1] Binder R & Affenzeller N. Sicherheitspolizeiliche Hundegesetzgebung in Österreich unter  Berücksichtigung der einschlägigen Bestimmungen in Deutschland und in der Schweiz. 2019. Veterinärmedizinische Universität Wien.

Tierschutz Austria
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