SOS Mitmensch: Ukraine-Geflüchtete beklagen prekäre Lage und bürokratische Schikanen

Forderung nach Gleichstellung der Rechte der Vertriebenen mit den Rechten von Asylberechtigten

Rund 80.000 Ukrainer*innen, großteils Frauen mit Kindern, hat Österreich seit Beginn der russischen Invasion Schutz gewährt. Jetzt gehen einige an die Öffentlichkeit, um über die enormen Schwierigkeiten zu berichten, mit denen sie bei der Lebenssicherung, beim Arbeitsmarktzugang und bei der Bildung ihrer Kinder konfrontiert sind. Die Liste der Probleme reicht von fehlender langfristiger Aufenthaltssicherheit über extrem prekäre Lebensumstände in der Grundversorgung, in der sich mehr als die Hälfte der Ukrainer*innen befinden, bis hin zum Bundesländer-Chaos bei den Zuverdienstregeln und der oftmals zu niedrigen Bildungseinstufung der Kinder. Gemeinsam mit Betroffenen und Helfer*innen startet SOS Mitmensch die Initiative „Zukunft Ukrainer*innen“, deren Kernforderung die Gleichstellung der Rechte der Ukraine-Vertriebenen mit den Rechten von Asylberechtigten ist.  

„Österreich hat den ukrainischen Geflüchteten bei Kriegsausbruch unbürokratisch Schutz gewährt. Doch jetzt versagt die Politik dabei, die dringend notwendigen nächsten Schritte zu setzen, um den zumeist alleinerziehenden Frauen mit Kindern eine echte Zukunftschance zu ermöglichen“, so Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch. Nicht nachvollziehen kann Pollak die Rolle von Frauen- und Integrationsministerin Susanne Raab, die den Frauen und Kindern Steine in den Weg lege, indem sie bei der Gleichstellung der Rechte der Vertriebenen mit den Rechten von Asylberechtigten auf der Bremse stehe. 

Tanja Maier ist Helferin der ersten Stunde und Anlaufstelle für viele nach Österreich geflüchtete Ukrainer*innen. Sie erzählt von den enormen Schwierigkeiten in der Grundversorgung. „Ich wurde schon wegen Ratten, Maden, Schimmel und Bettwanzen kontaktiert. Die Bewohner rufen mich aus Verzweiflung an; sie wissen einfach nicht, an wen sie sich sonst wenden sollen“, berichtet Maier. Sie erzählt auch, wie schwierig der Wechsel von der Grundversorgung in den Arbeitsmarkt ist, und nennt einen Beispielfall: „Julia darf mit ihrem Kind nur 190 Euro pro Monat zur Grundversorgung dazuverdienen. Wenn sie eine Vollzeitstelle finden würde, würde sie sofort obdachlos werden, weil sie ihr Quartier verlassen müsste und ihr das Geld für eine Privatunterkunft fehlt.“  

„Viele ertrinken im Sumpf der Bürokratie für Vertriebene“, berichtet Jenia Yudytska, die, selbst in der Ukraine geboren, als Helferin aktiv ist und über einen Telegram-Kanal mit tausenden geflüchteten Ukrainer*innen in Kontakt steht. „Es gibt Unklarheiten von der Krankenversicherung bis hin zum Teuerungsausgleich. Die Regeln ändern sich laufend. Viele sind im System der Grundversorgung, das aber nicht für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgelegt ist. Bei den Zuverdienstgrenzen herrschen Ungewissheit und Chaos, und im schlimmsten Fall verlieren Vertriebene, wenn sie eine Arbeit aufnehmen, ihre Unterkunft“, berichtet Yudytska. „Ich würde mir wünschen, dass das offizielle Österreich den Geflüchteten und den Helfer*innen die Hand reicht“, so Yudytska. 

Yevheniia flüchtete im September 2022 mit ihrer Tochter nach Österreich. „Ich möchte der österreichischen Regierung und den freundlichen Helfer*innen meinen Dank aussprechen. Ich möchte aber auch berichten, wie schwierig das Leben in der Grundversorgung ist“, so die Ukrainerin. „Die Qualität des Essens, das wir bekamen, war oft nicht gut, und das Essen wurde nur zwischen 6.00 und 7.00 Uhr früh ausgeteilt. Einige Zimmer im Quartier waren von Schimmel und Bettwanzen befallen. Wir bekamen nur eine Rolle Klopapier pro Person und Woche sowie schlechte Hygieneprodukte. Die 40 Euro Taschengeld im Monat haben kaum Abhilfe geschaffen“, erzählt Yevheniia. Erst als ihr Mann aus dem von Russland besetzten Teil der Ukraine flüchten musste und in Österreich einen Vollzeitjob fand, besserte sich ihre Lage und die Familie schaffte es, in eine Privatwohnung zu ziehen. 

Zofia und Nina Bodnariuk sind Schwestern und mussten mit ihren Kindern aus der Ukraine flüchten. Sie leben in Grafenwörth, wo sie positive Erfahrungen gemacht haben. Aber sie stehen in Kontakt mit vielen Ukrainer*innen, die von massiven Problemen beim Zugang ihrer Kinder zu altersadäquater Bildung berichten. „Für uns ist klar, dass die Schulen unter enormem Druck stehen. Doch es gibt große Probleme, etwa mit den Deutschförderklassen, wo es kein klares Programm gibt und Kinder kaum Fortschritte machen. Ein weiteres Problem ist die zu niedrige Schuleinstufung vieler ukrainischer Kinder, die dadurch wertvolle Schulzeit verlieren“, berichten die beiden Ukrainerinnen. Sie kritisieren auch den MIKA-D-Spracheinstufungstest, der zu einem Teufelskreis werde, wenn er zu einem für die Kinder ungünstigen Zeitpunkt gemacht werde. Die beiden Schwestern appellieren an die Politik, den aus der Ukraine geflüchteten Kindern trotz aller Herausforderungen eine gute Bildung zu ermöglichen. 

Die Politologin und Integrationsforscherin Univ. Prof. Sieglinde Rosenberger spricht in Zusammenhang mit dem Umgang der Politik mit den Geflüchteten aus der Ukraine von „der Parallelität von zwei Regelsystemen“. „Der österreichische Staat behandelt Ukraine-Vertriebene beim Zugang zum Arbeitsmarkt wie anerkannte Flüchtlinge, sozialrechtlich aber wie Asylwerber*innen. Das schafft Unmut und widersprüchliche Situationen“, konstatiert Rosenberger. Zudem fehle eine „geschlechtssensible Ausgestaltung“ der Integrationsangebote für die vielen geflüchteten Frauen mit Betreuungspflichten, kritisiert Rosenberger. Die Integrationsexpertin schlussfolgert aus ihren Analysen, dass sich die Integrationspolitik auf die Unterstützung der Teilhabe der Ukrainer*innen konzentrieren und nützliche Maßnahmen für ein eigenständiges, selbständiges Leben, wie etwa den Zugang zu leistbarem Wohnraum, setzen solle.  

SOS Mitmensch appelliert an die Politik, den aus der Ukraine nach Österreich geflüchteten Menschen nicht länger Steine in den Weg zu legen. Mit der Forderung nach der Gleichstellung der rechtlichen Stellung der Ukraine-Vertriebenen mit jener von Asylberechtigten liege eine sofort umsetzbare Lösung auf dem Tisch, die den Betroffenen ein Stück mehr Boden unter den Füßen geben und eine langfristige Perspektive öffnen würde, so die Menschenrechtsorganisation. Darüber hinaus brauche es Übergangsfristen und Unterstützung beim Finden von privatem Wohnraum, altersadäquate Bildungseinstufungen sowie transparente und bundesweit einheitliche Regeln, so SOS Mitmensch.  

Die Initiative „Zukunft Ukrainer*innen“ wird bereits von fast 1.500 Menschen unterstützt https://www.zukunft-ukrainerinnen.at/

SOS Mitmensch, Zollergasse 15/2, 1070 Wien
Alexander Pollak
0664 512 09 25
apo@sosmitmensch.at
www.sosmitmensch.at

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