Kinderliga präsentiert Bericht zur Lage der Kinder- und Jugendgesundheit in Österreich 2023
Kinderliga fordert Chancengerechtigkeit bei medizinisch-therapeutischer und psychosozialer Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Österreich
Am 29. November 2023 präsentierte die Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit (Kinderliga) im Rahmen einer online Pressekonferenz den 14. Bericht zur Lage der Kinder- und Jugendgesundheit in Österreich 2023 sowie die, von der Kinderliga in pro bono Kooperation mit der Boston Consulting Group durchgeführten, österreichweiten Umfrage und Datenerhebung zur Versorgungssituation in Bezug auf die Kinder- und Jugendgesundheit in Österreich mit Visualisierungen in Versorgungslandkarten. Der Fokus der Ergebnisse lag diesmal auf den Versorgungsangeboten von Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. Fazit des Projekts „Chancengerechte Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Österreich“: Es zeigen sich regional zum Teil noch immer sehr große Unterschiede in der Verteilung der Versorgungsangebote, die sich außerdem zumeist nicht am Bedarf orientieren, wenn man Gesundheitsrisiken wie Armutsgefährdung oder geringeres Bildungsniveau, Arbeitslosenrate etc. berücksichtigt, sondern, je nach Vertrags- und Verrechnungsmöglichkeiten, historisch gewachsen sind. Für die Expert:innen am Podium der Pressekonferenz braucht es gerade in der aktuellen, krisenhaften Zeit eine Garantie auf Versorgungssicherheit und damit Chancengerechtigkeit in Bezug auf die Kindergesundheit in Österreich.
KINDERLIGA-PRÄSIDENT: NEUERLICHE FORDERUNG NACH KINDERMINISTERIUM UND KINDERMILLIARDE
Kriege, Energie- und Klimakrise und Folgen der Coronapandemie machen für einen immer höheren Prozentsatz an Kinder und Jugendlichen eine bereits seit vielen Jahren schwierige Situation verstärkt deutlich. Über ein Fünftel aller armuts- und ausgrenzungsgefährdeten Menschen in Österreich sind Kinder (22%, das entspricht 353.000 Kindern im Alter 0-17 Jahre) und haben damit deutlich weniger guten Startchancen. „_Armut, psychische Probleme, Gewalt und mangelnde Bildungschancen schränken die Entwicklung der Talente und Ressourcen junger Menschen teilweise dramatisch ein. Nach wie vor gibt es keine Chancengerechtigkeit für Kinder und Jugendliche in Bezug auf Bildung, Gesundheit, Teilhabe u.v.m.“,_ sagt Dr. Christoph Hackspiel, Präsident der Österreichischen Kinderliga. Hackspiel bekräftigt anlässlich des Medientermins einmal mehr die Forderung nach einem eigenen Kinderministerium, dessen Aufgabe es sein müsste, in allen politischen Belangen die Kinderverträglichkeit, die Nachhaltigkeit von Entscheidungen und die Chancengerechtigkeit zu berücksichtigen. Weiters fordert Hackspiel eine Kindermilliarde für den Ausbau der oft mangelnden Versorgung und den Abbau langer Wartelisten für Therapien, sowie für die umfassende Stärkung des Bildungs- und Sozialsystems. „_Chancenungleichheit bedeutet nicht nur individuelles Leid, sondern stellt auch volkswirtschaftliche Milliardenverluste für unsere Gesellschaft dar und ist eine Gefährdung des sozialen Friedens_“, so Hackspiel.
KINDERLIGA-VERSORGUNGSLANDKARTE FÜR ÖSTERREICH MACHT CHANCENUNGLEICHHEIT DEUTLICH
Das, im Bericht zur Lage der Kinder- und Jugendgesundheit in Österreich 2023 präsentierte, Projekt der Kinderliga „Chancengerechte Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Österreich“ dient dazu, die Chancenungleichheit im Bereich der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Daten zu untermauern und visuell darzustellen.
Die, der Kinderliga von der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zur Verfügung gestellten, Daten (Leistungsverrechnung im niedergelassenen Bereich), die eingetragenen Versorger:innen und die niedergelassenen Kassenärzt:innen wurden in Österreichkarten visualisiert und mit drei Umfragen zur Bedarfserhebung durch Abgleich mit vorhandenen Leistungen verglichen und ergänzt. Darauf basierend wurde eine Abschätzung des tatsächlichen Versorgungsbedarfs in den Berufsgruppen Psychotherapie, Psychologie, Logopädie, Ergo- und Physiotherapie und Kinderärzt:innen erstellt. Nach der Darstellung der psychosozialen Berufsgruppen und der Kinderärzt:innen bei der Pressekonferenz 2022, lag der Schwerpunkt der Präsentation 2023 auf der Ist-Situation sowie dem Versorgungsbedarf in den Bereichen Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie.
LANGE WARTEZEITEN V.A. BEI ERGOTHERAPIE SOWIE LOGOPÄDIE IM NIEDERGELASSENEN BEREICH
„_Familien, aber auch die versorgenden Einrichtungen, klagen seit vielen Jahren über lange Wartezeiten auf Therapie, über Auswahl nach Lebensalter, Wohnort, aber auch Aufnahmesperren in Ambulatorien oder spezialisierten Einrichtungen. Es wurden in letzter Zeit von Seiten der Regierung, einiger Bundesländer und der Sozialversicherung Schritte in Richtung Angebotserweiterung gesetzt. Dies hat aber noch keine keine spürbare Entlastung der Situation bewirkt, sondern war teilweise nur ein Tropfen auf den heißen Stein._“, erklärt Dr.in Caroline Culen, Geschäftsführerin der Österreichischen Kinderliga.
Im Jahr 2020 haben ca. 14.400 Kinder und Jugendliche Behandlungen in der Ergotherapie, 35.884 in der Logopädie und 97.366 in der Physiotherapie in Anspruch genommen. Laut der Kinderligaumfrage sind der wahrgenommene Bedarf sowie die Wartezeit auf einen Behandlungsplatz in der Ergotherapie am höchsten bzw. längsten – die Physiotherapie sticht als Therapieform mit der im Vergleich besten Versorgung sowie der kürzesten Wartezeit heraus.
IST-SITUATION UND BEDARF ERGOTHERAPIE
In der Ergotherapie wurden über die Bundesländer hinweg durchschnittlich 119,0 Stunden pro 1.000 Kinder und Jugendliche mit der SV abgerechnet _(Höchstwerte in Perg (345,8) sowie in Urfahr-Umgebung (314,6) in Oberösterreich, Tiefstwerte in Leoben, Steiermark (7,2) und in Feldkirch, Vorarlberg (13,5)). _Die durchschnittliche Wartezeit in der Ergotherapie wurde mit rund sieben Monaten als am längsten angegeben. Um den angegebenen überschüssigen Bedarf zu decken, müssten zusätzlich jährlich rund die Hälfte der aktuell verrechneten Stunden in der Ergotherapie abgegolten werden (+48%)._ „Eine Verbesserung der Situation könnte durch die Aufnahme ergotherapeutischer Leistungen ins Mutter-Kind-Pass-Gesetz, durch die Umsetzung von schul- und kindergartenbasierter Ergotherapie, durch direkten Zugang zu Ergotherapie und durch die Aufnahme der Ergotherapie in die ELGA erzielt werden_“, erklärt Ergotherapeutin Marion Hackl, Präsidentin des Berufsverbands Ergotherapie Austria.
IST-SITUATION UND BEDARF LOGOPÄDIE
Über die Bundesländer hinweg wurden 2020 durchschnittlich 196,1 Logopädie-Stunden pro 1.000 Kinder und Jugendliche mit der SV verrechnet. Die Stundenanzahl ist somit höher als in der Ergotherapie _(Höchste Anzahl verrechneter Stunden in Oberösterreich (291,1) als Bundesland sowie Hermagor, Kärnten (656,9), und Eferding, Oberösterreich (622,9), als politische Bezirke. Wenig verrechnete Stunden in Murau (17,3), Murtal (33,9) und Bruck-Mürzzuschlag (39,0) in der Steiermark). _In der Logopädie betrug die, in der Umfrage angegebene, durchschnittliche Wartezeit rund sechs Monate. Der erhobene Bedarf liegt bei jährlich + 39% der aktuell verrechneten Stunden in der Logopädie. „_Was in allen Statistiken auffällt, ist die Tatsache, dass die logopädische Versorgung österreichweit nicht ausreichend gedeckt ist. Einer der Gründe dafür ist, dass der Beruf der/des Logopäd:in zu den Mangelberufen zählt_“, sagt die Logopädin Mag.a Eleonora Tinhof, Leitung Kompetenzzentrum Freiberuflichkeit bei Logopädie Austria.
IST-SITUATION UND BEDARF PHYSIOTHERAPIE
Von niedergelassenen Physiotherapeut:innen wurden 2020 durchschnittlich 212,8 Stunden pro 1.000 Kinder und Jugendliche mit der SV abgerechnet. _(Höchste Anzahl an verrechneten Stunden in Kitzbühel (518,6), Innsbruck-Land (431,8) und Schwaz (430,3), Tirol, niedrige Anzahl an verrechneten Stunden in Wien (110,1), vor allem in den Bezirken 11, 15 und 20, sowie zu geringerem Ausmaß in Lilienfeld, Niederösterreich (103,3) und Oberwart, Burgenland (112,9)). _Die durchschnittliche Wartezeit auf einen kassenfinanzierten Therapieplatz beträgt in der Physiotherapie „nur“ knapp vier Monate. Um den angegebenen überschüssigen Bedarf zu decken, müssten jährlich zusätzlich etwa 12 % an verrechneten Stunden abgegolten werden. „_Wir wünschen uns die Einbindung von Physiotherapeut:innen in den Bewegungsalltag von Kindern sowie einen direkten Zugang zur Physiotherapie, um eine niederschwellige und ökonomische physiotherapeutische Versorgung zu gewährleisten und die Familien und das System zu entlasten_“, sagt Constance Schlegl, MPH, Präsidentin von Physio Austria, und fordert ebenfalls die Anbindung der Physiotherapie an die ELGA.
EMPFEHLUNGEN DER KINDERLIGA FÜR EINE CHANCENGERECHTERE VERSORGUNG_ _
Im Sinne des Kinderrechts auf höchstmögliche Gesundheit und Versorgung sowie auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung, formulieren die Expert:innen Empfehlungen für eine chancengerechtere Versorgung:
* Solide und aussagekräftige Daten über den Gesundheitsstatus unserer
Kinder und Jugendlichen (eEKP bis 18y, Schulgesundheitsdaten zugänglich machen, standardisierte Vorsorgeuntersuchung für junge Menschen in der Adoleszenz, etc…)
* Monitoring im Sinne wiederholter systematisch-epidemiologischer Erhebungen, wo Veränderungen und Entwicklungen abgelesen werden können.
* Versorgungsforschung, welche den Bedarf und die Angebote in der Versorgungslandschaft erfasst.
* Umsetzung der Kinder- und Jugendgesundheitsstrategie des Sozialministeriums
* Schulgesundheitsteams bzw. -zentren, Schulgesundheit-Teams (Gesundheitsberufe, Schulpsychologie, Soziale Arbeit, …).
* Entwicklung eines integrierten Gesamtversorgungs- und Behandlungsplans unter Einbeziehen des Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesens (s. SGÖ)
* Gezielte Investitionen in Regionen mit einer nachteiligeren Ausgangslage in den Bereichen Bildung, Beschäftigung etc.
* Investitionen in die professionellen Behandler:innen im Kinder- und Jugendbereich
* Unterstützung und professionelle Implementierung digitaler Behandlungswege
* Nachhaltige und sichere Finanzierung von multifunktionalen Zentren und Ambulatorien
* Ausbau der Primärversorgungseinheiten (PVEs) für Kinder und Jugendliche
* Förderung der Vernetzung zwischen stationärem und niedergelassenem Bereich
Verena Bittner-Call
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