Neutralität, Abschiebung von „Asylstraftätern“ und Gendern: Plenardebatten zu polarisierenden Themen
Nationalrat schließt Beratungen über Volksbegehren ab
Drei Bürgeranliegen aus den Bereichen Landesverteidigung, Inneres und Gleichbehandlung standen am Beginn der Tagesordnung der heutigen Nationalratssitzung. Während sich die rund 197.000 Proponent:innen der Initiative „Asylstraftäter sofort abschieben“ dafür stark machen, straffällig gewordene Asylwerber:innen in ihre jeweiligen Heimatländer zurückzuführen, ist die verfassungsrechtliche Bekräftigung der immerwährenden Neutralität Österreichs das zentrale Anliegen von knapp 117.000 Bürger:innen, die das Volksbegehren „Neutralität Österreichs Ja“ unterzeichnet haben. 154.000 Personen stellten sich hinter das „Anti-gendern-Volksbegehren“, und fordern ein Ende einer Benachteiligung von Menschen, die keine geschlechtergerechte Sprache verwenden.
Während der Debatte zu den Volksbegehren äußerte insbesondere die FPÖ Sicherheitsbedenken, da sich vor dem Parlament circa 20 bis 30 Aktivist:innen zu einer Kundgebung versammelt hatten. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka erklärte, dass keine Gefahr für das Hohe Haus bestand. Für Abgeordnete und Mitarbeiter:innen war der Zutritt zum Parlament jeder Zeit möglich. Für öffentliche Besuchergruppen war der Zugang für zirka eine Stunde unterbrochen.
„NEUTRALITÄT ÖSTERREICHS JA“: UNTERSCHIEDLICHE NEUTRALITÄTSVORSTELLUNGEN UNTER DEN ABGEORDNETEN
Exakt 116.832 Österreicher:innen haben ein Volksbegehren unterzeichnet, das sich für eine offizielle Bekräftigung der immerwährenden Neutralität Österreichs einsetzt. Österreich soll demnach abermals erklären, dass es „in aller Zukunft“ keinem militärischen Bündnis beitritt und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Staatsgebiet nicht zulässt. Zudem wird von den Proponent:innnen ein weiteres entsprechendes Verfassungsgesetz gefordert.
Die „Logik des Kalten Krieges“ sei mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine zurückgekehrt, konstatierte ÖVP-Mandatar Friedrich Ofenauer. Vor diesem Hintergrund reiche alleine die Neutralität zum Schutz des Landes nicht aus. Diese müsse auch „glaubhaft wehrhaft“ sein, um sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen zu können. Ofenauer begrüßte daher die steigenden Investitionen in das Bundesheer und plädierte für eine Stärkung der umfassenden Landesverteidigung. Österreichs Neutralität habe sich seit dem EU-Beitritt weiterentwickelt, erklärte Ofenauer und Reinhold Lopatka (ÖVP) sah sie dadurch noch gestärkt. Niemand stelle die Neutralität in Frage, plädierte Lopatka in Richtung FPÖ, die Bevölkerung nicht weiter zu verunsichern.
Neutralität sei keine hinreichende Bedingung für den Frieden, habe aber in der Geschichte mehrfach dazu beigetragen, „sinnlose Opfer“ zu vermeiden, führte Robert Laimer (SPÖ) aus. Er berief sich auf Umfragen und sprach von einem „exorbitanten Vertrauen“ der Österreicher:innen in die Neutralität und einer wachsenden Sorge vor deren „Aushöhlung“. Die SPÖ werde dies jedoch nicht zulassen, so Laimer. Sein Fraktionskollege Rudolf Silvan brachte einen Entschließungsantrag auf eine „engagierte Neutralitätspolitik in Krisenzeiten“ ein, in dem unter anderem die Verpflichtung zur zeitgemäßen Ausstattung des österreichischen Bundesheeres, die Verschärfung der Exportkontrolle von Kriegsmaterial und eine Stärkung der Vermittlerrolle Österreichs in Konflikten gefordert wird. Der Antrag blieb in der Minderheit.
„Die Welt braucht Neutrale“ zitierte FPÖ-Abgeordnete Susanne Fürst die Präsidentin des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes. Wenn alle Welt Partei beziehe, gelte es, einen konstruktiven Dialog mit beiden Konfliktparteien zu ermöglichen. Dafür dürfe die Neutralität nicht auf ihren militärischen Kern reduziert werden, sondern müsse gerade auch die politische Dimension umfassen, so Fürst. Sie sprach von einer „schändlichen Niederlage“ der EU, die es eben nicht geschafft habe, eine konstruktive Rolle zu spielen und damit Menschen zu helfen, sondern das Gegenteil betreibe – mit der Hilfe Österreichs. Dagmar Belakowitsch (FPÖ) wandte sich in diesem Zusammenhang vehement gegen Erwägungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden.
Die größten Gefährder der Neutralität seien jene, die den Begriff instrumentalisieren und auf Seiten Russlands stehen, warf David Stögmüller von den Grünen ein. Österreich müsse zu einer Neutralität finden, die im 21. Jahrhundert angekommen ist sowie den Geboten der Solidarität und der Menschenrechte gerecht werde. Sich „einzubunkern“ ist laut Stögmüller nicht der richtige Weg.
Auch Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) hielt nichts davon, „Burgmauern hochzuziehen“ und sprach sich für einen offenen Diskurs über die sicherheitspolitische Ausrichtung Österreichs abseits einer Neutralität als „Worthülse“ aus. Um das „Friedensprojekt Europa“ auf eine neue Stufe zu heben, nannte er die Vision einer gemeinsamen europäischen Armee. Helmut Brandstätter (NEOS) zeigte sich empört, dass im Rahmen von Gaslieferungen in den letzten zwei Jahren 10 Mrd. € an Russland geflossen seien und plädierte für den Ausstieg aus russischem Gas. Wladimir Putin dürfe diesen Krieg nicht gewinnen, da er nach einem Sieg über die Ukraine auch „weitermarschieren“ würde.
„ASYLSTRAFTÄTER SOFORT ABSCHIEBEN“: DEBATTE ÜBER EFFEKTIVITÄT DER BUNDESREGIERUNG
Asyl sei Schutz auf Zeit für Menschen, die in ihren Heimatländern um ihr Leben fürchten müssten, wird in der Begründung zum Volksbegehren “ Asylstraftäter sofort abschieben “ ausgeführt, das von Gottfried Waldhäusl, Zweiter Präsident des niederösterreichischen Landtags, initiierte und von 197.151 Personen unterzeichnet wurde. Es könne jedoch nicht sein, dass die schutzbietende österreichische Bevölkerung selbst durch straffällige Asylwerber:innen in ihrer Sicherheit bedroht werde. Nationales Recht und internationale Übereinkommen müssten laut Volkbegehren daher so angepasst werden, dass deren Abschiebung durchgeführt werden kann. Kriminell gewordene Asylwerber:innen sollten nicht in österreichischen Gefängnissen „durchgefüttert“ werden, sondern ihre Haftstrafen in ihren jeweiligen Heimatländern verbüßen, so die Begründung.
Die Abschiebung von straffällig gewordenen Asylwerber:innen habe höchste Priorität und werde auch konsequent umgesetzt, konstatierte Ernst Gödl (ÖVP) und lieferte dementsprechende Zahlen. Im Jahr 2023 hätten 12.600 Menschen Österreich aufgrund von negativen Asylbescheiden verlassen. 53 % davon seien freiwillig gegangen, 47 % seien zwangsweise abgeschoben worden, was einer Anzahl von 5.900 Personen entspreche, wie Gödl ausführte. 2.600 davon hätten eine Straftat begangen. Dass in diesem Bereich nichts passiere, sei ein „Märchen“ der Freiheitlichen.
„Bei aller Wertschätzung“ für die starke Unterstützung des Volksbegehrens, sah Reinhold Einwallner (SPÖ) die Initiative als Teil einer Wahlkampfstrategie der FPÖ. Sie biete einfache Lösungen für komplexe Probleme, die die FPÖ gar nicht lösen wolle. Sie sei zu unkonkret formuliert, was etwa die Straffälligkeit betreffe, kritisierte Einwallner und fragte zudem, wer garantieren könne, dass die abgeschobenen Straftäter:innen in ihren Heimatländern auch ihre Haftstrafe antreten müssen. Maximilian Köllner (SPÖ) sah die große Unterstützung für das Volksbegehren als „deutliches Signal“ für ein Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung, und ging auf Fälle von Schlepperkriminalität im Burgenland ein. Gesetze müssten durchgesetzt werden, da sonst die Demokratie geschwächt und extremistische Kräfte gestärkt würden, so Köllner.
Hinsichtlich der von Einwallner eingewandten unkonkreten Formulierung bezüglich der Straffälligkeit, stellte FPÖ-Mandatar Hannes Amesbauer klar, dass jede Form von Straftat zu einer Beendigung des Aufenthalts „unter dem Deckmantel“ des Asyls führen müsse. Er rekurrierte auf den Fall des afghanischen Asylwerbers, der in der Vorwoche drei Frauen getötet hat und forderte, diesen auch der afghanischen Justiz zuzuführen – „völlig egal“ was mit diesem dort passiere. Fälle wie dieser seien generell nur Symptome. Die Ursache liege in der „illegalen Massenzuwanderung“, durch welche solche Straftäter überhaupt erst nach Österreich kämen, so Amesbauer. Christian Lausch (FPÖ) erörterte den Aufwand, den straffällige Asylwerber:innen unter anderem für das Justizsystem bedeuteten.
Für Georg Bürstmayr (Grüne) war es „vorhersehbar“, dass die FPÖ die Opfer von Gewalt für ihre „Propaganda missbrauchen“ würde. Er verstehe den „Reflex“ der Unterstützer:innen des Volksbegehrens. Aufgabe der Politik sei es jedoch eben nicht im Reflex zu reagieren, so Bürstmayr. Laut ihm ist ein überkommenes Männlichkeits- und Frauenbild bei allen Männern in Österreich die Grundursache für Gewalt gegen Frauen.
Viele Menschen hätten das Gefühl, dass Asylwerber:innen für Straftaten nicht zur Verantwortung gezogen würden, wie die
zahlreichen Unterzeichner:innen des Volksbegehrens demonstrieren würden, erklärte NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper. Das sei jedoch unwahr. Abschiebungen würden bei Straftäter:inner „wo immer möglich“ erfolgen. Innenminister Gerhard Karner müsse die Öffentlichkeit dahingehend transparenter informieren, da die Freiheitlichen aus Unsicherheiten „Profit schlagen“ würden.
„ANTI-GENDERN-VOLKSBEGEHREN“: PLENUM UNEINIG ÜBER SINNHAFTIGKEIT GESCHLECHTERGERECHTER SPRACHREGELUNGEN
Personen, die keine geschlechtergerechte Sprache verwenden, sollen keine Nachteile erfahren, fordern die 154.102 Unterzeichner:innen des “ Anti-gendern-Volksbegehrens „. Es müsse jedem selbst überlassen bleiben, ob er oder sie gendere oder nicht, sei es in Ämtern, an Hochschulen, in der Wirtschaft oder in anderen Bereichen, betonen die Initiatoren. Konkret nennen sie in Anlehnung an Forderungen des „Netzwerks Wissenschaftsfreiheit“ etwa wissenschaftliche Publikationen, offizielle Korrespondenz, universitäre Gremien, Internetauftritte, Lehrveranstaltungen, akademische Prüfungen sowie Bewerbungsverfahren.
Frauen hätten über alle Parteigrenzen hinweg für die Gleichbehandlung und -stellung gekämpft und dies solle auch in der Sprache ausgedrückt werden, erklärte Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP). Sprache sei immer ein „Spiegel der Gesellschaft“ und es gelte noch viele strukturelle Benachteiligungen zu bekämpfen. Verständnis für die Polarisierung, die das Thema auslöse, zeigte Gudrun Kugler (ÖVP). Viele hätten das Gefühl, dass mit dem Gendern die Sprache politisiert und gesellschaftliche Veränderung „von oben herab“ verordnet werden. Gleichstellung brauche aber nicht nur Worte, sondern auch Taten, so Kugler.
Das Gendern alleine werde die geschlechterspezifischen Ungerechtigkeiten nicht beseitigen, meinte auch SPÖ-Abgeordnete Sabine Schatz. Sprache schaffe jedoch Bewusstsein, wie Studien bestätigen würden. Man dürfe sich bezüglich dieser Thematik nicht auf einen „rechten Kulturkampf“ einlassen, wie sich auch Mario Lindner (SPÖ) überzeugt zeigte. Die einzigen, die ständig das Gendern problematisieren würden, seien die Freiheitlichen, die in der gegenwärtigen Legislaturperiode bereits 13 parlamentarische Initiativen dazu eingebracht hätten.
Die 14. Initiative dazu lieferte Rosa Ecker (FPÖ) in Form eines Entschließungsantrags betreffend „Gender-Stopp“, in dem sie etwa ein Verbot der verpflichtenden Gendersprache in Bildungseinrichtungen oder in der öffentlichen Verwaltung fordert. Der Antrag erhielt keine Mehrheit. Ecker verwies darauf, dass ein Großteil der österreichischen Bevölkerung das Gendern ablehnte, es keine messbaren Auswirkungen zeitige und Menschen mit Hör- oder Sehbehinderungen benachteilige. Alois Kainz (FPÖ) bezeichnete in Anlehnung an den deutschen Schriftsteller Uwe Tellkamp das Gendern als „Vergewaltigung der deutschen Sprache“, was Grünen Abgeordnete Meri Diskoski als „Verhöhnung von Vergewaltigungsopfern“ ansah.
Für Disoski habe jeder Mensch ein Recht auf sprachliche Repräsentation und die Anwendung des generischen Maskulinums sei exkludierend. Dass die Mehrheit der Bevölkerung sich gegen das Gendern ausspricht, war für sie kein valider Punkt, denn mit dieser Argumentation hätte auch das Frauenwahlrecht nie durchgesetzt werden können.
Henrike Brandstötter von den NEOS plädierte für einen „entspannten Umgang“ mit dem Gendern und nannte den ORF als Beispiel für eine Institution, in der zwar „fleißig gegendert“, aber nichts gegen strukturelle Ungleichbehandlung getan werde. So würden dort etwa Fälle von sexueller Belästigung nur unzureichend geahndet. (Fortsetzung Nationalrat) wit
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