Saatgutrechts-Reform: EU Umwelt-Ausschuss stimmt klar für die Vielfalt
Industrie-Lobbying auf den letzten Metern gescheitert
Knalleffekt gestern am späten Abend in Brüssel: Entgegen den Prognosen stimmt der Umwelt-Ausschuss im EU-Parlament doch knapp aber deutlich für die Saatgut-Vielfalt in Europa. „Der Umwelt-Ausschuss macht sich dafür stark, dass Saatgut zum Zweck der Erhaltung unbehindert weitergegeben werden darf und hat den Versuch der Industrie abgewährt, die bäuerliche Weitergabe von Pflanzgut zu kriminalisieren“, fasst Magdalena Prieler, Saatgutrechts-Expertin von ARCHE NOAH, die Abstimmung zusammen. Zuletzt haben sich Teile der Europäischen Volkspartei sowie der liberalen Fraktion Renew Europe doch zu einem vernünftigen Abstimmungsverhalten durchgerungen.
Die gestrige Entscheidung bringt wichtigen Rückenwind für die Vielfalt. Es besteht nun Hoffnung, dass aktive Erhaltungs-Organisationen wie ARCHE NOAH oder auch öffentliche Genbanken in Zukunft Saatgut ohne Mengenbeschränkung außerhalb des Geltungsbereichs des Saatgutrechts an Bäuer:innen weitergeben dürfen. Die Umsetzung einer wesentlichen ARCHE NOAH Forderung ist damit in Sicht. Der Umweltausschuss hat sich auch dafür ausgesprochen, dass Bäuer:innen ihr eigenes Saatgut und Pflanzgut verkaufen dürfen, wenn auch mit einigen Beschränkungen. Die Weitergabe von samenfestem traditionellem Saatgut würde damit deutlich erleichtert.
In den Tagen vor der gestrigen Abstimmung waren überraschend etliche „Alternative compromise amendments“ aufgetaucht, ein großes Paket bisher unbekannter und gefährlicher Änderungen am Gesetzesvorschlag, offenbar ein Ergebnis von massivem Lobbying der Agrochemie-Industrie. „Der Umweltausschuss hat jedoch trotz Industrie-Lobbying klare und aus unserer Sicht sehr positive Vorgaben für die weitere parlamentarische Arbeit gemacht: Vielfalt muss vom Geltungsbereich des neuen Saatgutrechts ausgenommen und konsequent gefördert werden“, fordert Magdalena Prieler.
Der EU-Umweltausschuss stützte sich bei seiner gestrigen Abstimmung auf das „Food and Biodiversity Package“, das die EU-Kommission im Juli 2023 vorgelegt hat. Mit der Neuregelung beabsichtigt die EU-Kommission zwar prinzipiell, das veraltete Saatgutrecht an die Ziele des europäischen „Green Deals“ anzupassen, sie scheitert mit dem Gesetzesvorschlag aber in vielen Bereichen an den eigenen Ansprüchen. „Die Agrar-Minister:innen und das EU-Parlament müssen umlenken! Wir brauchen mehr Vielfalt auf unseren Feldern und Tellern, um der Klima- und Biodiversitätskrise entgegenzuwirken und um geschmackvolles, gesundes Essen zu produzieren! Die Abstimmung des Umweltausschusses ist ein erster Schritt in die richtige Richtung“, hält Prieler fest.
Am 19. März 2024 wird in Brüssel der federführende Landwirtschafts-Ausschuss über das EU-Saatgutrecht abstimmen. Parallel dazu verhandelt der Rat der Landwirtschaftsminister:innen über Änderungen am Gesetzesvorschlag. „Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig hat jetzt viel zu tun: Er muss das bäuerliche Recht auf Saatgut einfordern und die Kulturpflanzenvielfalt vor Überregulierung und Patenten schützen! Die Vielfalt ist unser wichtigstes Instrument zur Bewältigung dieser Herausforderungen“, fasst Magdalena Prieler zusammen.
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