Nationalrat: Neuaufstellung der Rechtsberatung von Asylwerber:innen kommt
VfGH-Urteil machte Gesetzesänderung notwendig, FPÖ gegen Regierungsentwurf
Grüne und ÖVP haben eine Gesetzesänderung auf den Weg gebracht, mit der die vom Verfassungsgerichtshof geforderte Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Rechtsberater:innen der Bundesbetreuungsagentur (BBU) sichergestellt werden soll. Obwohl bei der Nationalratssitzung alle Oppositionsparteien kritisierten, dass es keine Begutachtungsfrist gab, stimmten NEOS und SPÖ der Änderung zu. Einstimmig angenommen wurden Katastrophenschutzabkommen mit Serbien und Georgien. Außerdem soll mit einer breiten Informationsoffensive zum Schutz von Kindern und Jugendlichen gegen Radikalisierung auf TikTok vorgegangen werden.
REPARATUR DER RECHTSBERATUNG VON ASYLWERBER:INNEN
Eine Entscheidung des VfGH im Dezember 2023 machte notwendig, dass die Rechtsberatung von Asylwerber:innen durch die BBU neu aufgestellt wird. Einen entsprechenden Initiativantrag legten die Koalitionsparteien Grüne und ÖVP vor. In der BBU wird ein eigener Geschäftsbereich Rechtsberatung eingerichtet und der Kündigungs- und Entlassungsschutz von Rechtsberater:innen gestärkt. Auch ein Qualitätsbeirat soll gesetzlich verbindlich werden.
Im Nationalrat zeigten sich die Koalitionspartner, SPÖ und NEOS durchwegs erfreut über den Erfolg der BBU bei der Rechtsberatung von Asylwerber:innen. Während Ernst Gödl (ÖVP) auf die „vielen Einwände und negativen Stimmungen der Oppositionsparteien“ bei der Einrichtung der BBU durch ÖVP und FPÖ im Jahr 2019 hinwies, verwiesen Christian Oxonitsch (SPÖ), Georg Bürstmayr (Grüne) und Stephanie Krisper (NEOS) darauf, dass die Grundkritik damals gewesen sei, dass die Weisungsfreiheit der Rechtsberatung der Asylwerber:innen nicht abgesichert sei. Das VfGH-Urteil bestätige sie in ihrer Kritik. Bürstmayr betonte zudem, dass Justizministerin Alma Zadić einen Rahmenvertrag ausgearbeitet habe, der die Unabhängigkeit garantiert habe. Laut dem Grünen-Mandatar habe der VfGH gemeint, „der Vertrag gefällt uns, schreibt es in ein Gesetz“. Man habe dies lange vorbereitet in Rückkoppelung mit der BBU, NGOs und Stakeholdern. Er freute sich über die bereits im Ausschuss angekündigte Zustimmung von vier Parteien. Christian Oxonitisch (SPÖ) nutzte die Gelegenheit aber auch dazu, ein für ihn drängendes Problem der BBU anzusprechen: Die fehlende Obsorgeberechtigung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ab Tag eins. „Seit zwei Jahren gibt es einen angenommenen Entschließungsantrag, aber gemacht wurde noch nichts“, bedauert der SPÖ-Abgeordnete. Unter anderem wegen der unbetreuten Kinder und Jugendlichen kam bei Stephanie Krisper (NEOS) trotz der begrüßenswerten Reparatur der Rechtsberatung „keine Feierlaune“ auf. Die Grundversorgung sei weiterhin dysfunktional, Verfahren würden mit über zwei Jahren viel zu lange dauern und Asylwerber:innen, die als Fachkräfte gesucht würden, würden abgeschoben, kritisierte sie die Arbeit der Koalition.
Die FPÖ meldete sich im Plenum nicht zu Wort, bei der Abstimmung gab es keine Zustimmung der Freiheitlichen zum Gesetzesentwurf.
KATASTROPHENSCHUTZABKOMMEN MIT SERBIEN UND GEORGIEN
Um eine Rechtsgrundlage für Hilfe bei Natur- oder technischen Katastrophen sicherzustellen, hat Österreich mit mehreren Staaten Katastrophenhilfeabkommen geschlossen. Nun legte die Koalition Staatsverträge für ein solches Abkommen mit Georgien und ein Abkommen mit Serbien vor. Andreas Minnich (ÖVP) führte aus, dass Hilfe auf eine solide bilaterale und gesetzliche Grundlage gestellt werden müsse, um eine schnelle und unbürokratische Hilfe zu ermöglichen. Unter anderem seien in den Abkommen Erleichterungen beim Grenzübertritt, Schadenersatz und Entschädigungen oder die Nutzung von Fahrzeugen enthalten. Petra Wimmer (SPÖ) betonte, dass es gut sei, im Vorfeld solche Abkommen zu schließen, da man auch in Zukunft mit Überschwemmungen wie 2014 in Serbien und Kroatien rechnen müsste. FPÖ-Nationalrat Werner Herbert stimmte zu. Österreich könne im Katastrophenfall einen wichtigen Beitrag leisten. David Stögmüller (Grüne) betonte, dass einen umfassenden Katastrophenschutz auszuarbeiten ein wichtiger Bestandteil jeder Klima- und Sicherheitspolitik sei. Da Katastrophen durch die Klimakrise zunähmen, sei es wichtig, im Kampf gegen die Krise solidarisch zu denken, so der Grünen-Abgeordnete. Die Staatsverträge wurden einstimmig angenommen.
„TRUTHFLUENCING“ GEGEN RADIKALISIERUNG AUF TIKTOK
Ohne die Stimmen der FPÖ mehrheitlich angenommen wurde ein Entschließungsantrag der Regierungsparteien für eine „multidimensionale Awarenessoffensive“ zum Schutz von Kindern- und Jugendlichen vor Radikalisierung auf TikTok. Diese “ Truthfluencing „-Offensive solle als „Gegenbewegung zu Desinformation“ Formate in jugendgerechter Sprache beinhalten und Medienbildung stärken. Ein Expert:innengremium unter der Leitung und Koordination des „Bundesweiten Netzwerk Extremismusprävention und Deradikalisierung (BNED)“ soll die Offensive ins Leben rufen. Ein Zwischenbericht über die ersten Maßnahmen ist bis Ende September 2024 dem Nationalrat zur weiteren Debatte vorzulegen.
Die Wahrheit sei dehnbar, sagte Christian Ries (FPÖ). Es stelle sich daher die Frage, wer die Grenzen festlege, was Wahrheit und was Desinformation sei. Radikalisierung im Netz sei ein Problem, aber „Truthfluencing“ nicht der richtige Ansatz, meinte Ries. Aus der Sicht seiner Fraktion müssten jene, die auf einem Medienkanal zu einem Rechtsbruch gegen Staat und Verfassung aufrufen, zur Verantwortung gezogen werden, genauso wie auch die Plattform, die dies ermögliche.
Eva-Maria Himmelbauer (ÖVP) sagte, dass dieser „sehr sinnvolle“ Antrag ein wichtiger Schritt zu Deradikalisierung sein solle. Denn soziale Medien würden einen großen Einfluss auf die Menschen ausüben und gleichzeitig einem stetigen Wandel unterliegen und immer professioneller werden. Daher brauche es Maßnahmen, um aufzuzeigen, wie Radikalisierung funktioniere. Erst tätig zu werden, wenn es strafrechtlich relevant werde, sehe sie als viel zu spät an.
Der Digital Services Act (DSA) reguliere Social Media, doch es brauche dringend Begleitmaßnahmen, sagte Katharina Kucharowits (SPÖ) und bezeichnete „Truthfluencing“ als „wichtig „. Es müsse alles getan werden, um die Demokratie zu verteidigen. Auch gegen Deepfakes, die Wahlen manipulierten, müsse offensiv vergangenen werden, forderte sie.
TikTok sei eine „Radikalisierungsmaschine“ im Internet, sagte Georg Bürstmayr (Grüne). Der Algorithmus sei „extrem scharf gestellt“ und zeige den Nutzer:innen immer mehr ähnliche Inhalte, die immer schärfer werden. Behauptungen, die ganz offensichtlich Unsinn seien, aber großen Schaden anrichten könnten, müsse entgegengetreten werden, betonte er. Barbara Neßler (Grüne) wies darauf hin, dass polarisierende und extreme Aussagen insbesondere junge Männer schnell radikalisieren könnten. Es brauche daher eine Gegenbewegung zu Desinformation, denn man dürfe Social Media nicht „Rassisten, Frauenhassern, Homophoben und sonstigen Schwurblern“ überlassen, so Neßler.
Henrike Brandstötter (NEOS) betonte, dass sich derzeit zwei „Technologiekomplexe“ aufeinander zubewegen würden. Dies seien TikTok und die generative künstliche Intelligenz im Bereich „Text to Video“. Mit dieser Entwicklung beginne ein „neues Zeitalter der Videoerstellung“, denn damit könne „Fake Reality“ erschaffen werden. Ihre Fraktion stimme dem Antrag zur „Truthfluencing“-Offenive zu, auch wenn dieser diesen „Technologiesprüngen“ hinterherhinke.
Social Media bringe Gefahren mit sich, denn es sei trügerisch und Manipulationen seien schwer zu durchschauen, sagte die fraktionslose Abgeordnete Pia Philippa Beck. Daher müsse Kindern und Jugendlichen „bestmöglicher Schutz geboten“ werden. Der „Truthfluencing“-Antrag sei daher unterstützenswert, so Beck.(Fortsetzung Nationalrat) map/bea
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