Portraitfoto von Femizidopfer verletzt Ehrenkodex
Nach Ansicht des Senats 2 des Presserats verstößt der Beitrag „Mann tötet seine Frau und schneidet ihr das Herz raus“, erschienen am 01.03.2024 auf „oe24.at“, gegen Punkt 5 (Persönlichkeitsschutz) des Ehrenkodex für die österreichische Presse.
Im Beitrag ist von einem brutalen Verbrechen in Brasilien die Rede, ein Mann solle seine Ehefrau auf äußerst brutale Art und Weise umgebracht haben. Die getötete Frau hätte zuvor jahrelang ein Martyrium erleben müssen, sie sei oft tagelang in ihrer Wohnung eingesperrt und von ihrem Mann vergewaltigt worden. Als die Frau dann eine Tracking-App auf ihrem Handy gefunden habe, hätte es ihr gereicht und sie habe Anzeige gegen ihren Mann erstattet – „ihr Todesurteil!“ Obwohl die Ehefrau um sofortigen Schutz gebeten habe, sei die Polizei erst vier Stunden nach der Anzeige zur Wohnung losgefahren und habe dort die blutüberströmte Leiche entdeckt. Der Tatverdächtige habe dem Artikel zufolge seine Frau mit mehreren Messerstichen getötet und ihr dann das Herz und die Eingeweide herausgeschnitten.
Dem Beitrag ist ein unverpixeltes Foto vom Ehepaar beigefügt, das offenbar von Facebook stammt; das Opfer ist darauf mit einer Sonnenbrille abgebildet.
Eine Leserin wandte sich an den Presserat und kritisierte die Darstellung der Tat im Artikel reißerisch und verharmlosend. Die Medieninhaberin nahm nicht am Verfahren teil.
Der Senat hält fest, dass Berichte über Femizide bzw. Gewalttaten gegen Frauen grundsätzlich für die Öffentlichkeit von Interesse sind. Er erkennt das Informationsbedürfnis der Allgemeinheit an solchen Berichten an. Aus dem öffentlichen Interesse an der Berichterstattung ergibt sich jedoch nicht, dass der Persönlichkeitsschutz des Verbrechens- bzw. Femizidopfers und dessen Angehöriger missachtet werden darf (vgl. Punkt 5.4 des Ehrenkodex).
Die Senate des Presserats haben bereits mehrfach festgestellt, dass die Persönlichkeitssphäre eines Menschen auch über dessen Tod hinaus zu wahren ist und dass die Veröffentlichung identifizierender Fotos von (nicht prominenten) Mordopfern geeignet ist, in die Persönlichkeitssphäre dieser Personen einzugreifen und die Trauerarbeit der Hinterbliebenen zu beeinträchtigen. Eine Identifizierbarkeit ist prinzipiell auch dann gegeben, wenn der oder die Abgebildete auf dem Foto eine Sonnenbrille trägt.
Im Übrigen ist es auch nicht von Belang, ob das unverpixelte Foto vom betroffenen Ehepaar zunächst selbst in den sozialen Netzwerken oder von anderen internationalen Medien verbreitet wurde: Eine Redaktion muss eigenständig abwägen, ob die Veröffentlichung mit dem Ehrenkodex für die österreichische Presse vereinbar ist oder nicht. Die Medieninhaberin wird aufgefordert, freiwillig über den Ethikverstoß zu berichten.
SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINER LESERIN
_Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig._
Im vorliegenden Fall führte der Senat 2 des Presserats aufgrund einer Mitteilung einer Leserin ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht.
Andreas Koller, Sprecher des Senats 2, Tel.: 01-53153-830
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