
#MehralseinKreuzerl: Die Verantwortung der Volksvertreter:innen
Rechte und Pflichten der Abgeordneten zum Österreichischen Parlament als Grundlage für eine funktionierende Demokratie Rechte und Pflichten der Abgeordneten zum Österreichischen Parlament als Grundlage für eine funktionierende Demokratie
Artikel 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) lautet: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ In einer repräsentativen Demokratie wie Österreich wird dieses Volk von gewählten Abgeordneten vertreten, denen eine zentrale Rolle bei der Gestaltung und Stabilisierung der politischen Ordnung zukommt. Sie agieren als Bindeglied zwischen Bevölkerung und staatlichen Institutionen, indem sie die Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler im Parlament vertreten und an der Gesetzgebung sowie an der Kontrolle der Exekutive beteiligt sind. Diese repräsentative Funktion erfordert ein hohes Maß an Verantwortung, da Abgeordnete nicht nur die politischen Überzeugungen ihrer Wählerschaft artikulieren, sondern auch Entscheidungen im Sinne des Gemeinwohls und des Schutzes der Demokratie treffen müssen. Dazu kommt der regelmäßige Austausch mit Bürger:innen, anderen Politiker:innen und Parteien, Interessenvertreter:innen, Wissenschaft und Medien.
Die Rolle eines Abgeordneten ist jedoch nicht nur durch die politische Repräsentation definiert, sondern auch durch ein Gefüge von Rechten und Pflichten, das ihre Handlungsfreiheit und Verantwortlichkeit umreißt. Es bildet den Rahmen für eine funktionierende Volksvertretung, bietet Schutz vor Missbrauch und Willkür und sichert die Legitimität demokratischer Institutionen und Entscheidungen ab.
FREIES MANDAT VS. KLUBZWANG?
Eines der zentralen Bestandteile dieses Gefüges ist neben dem Rede- und Stimmrecht das freie Mandat. Dieses Grundprinzip der repräsentativen Demokratie garantiert die Verfassung sowohl Abgeordneten zum National- als auch zum Bundesrat. Demnach sind sie bei ihrer gesamten parlamentarischen Tätigkeit an keine Aufträge oder Weisungen gebunden, somit sie frei und unabhängig ihre Entscheidungen treffen können.
Das betrifft auch das Verhältnis der Abgeordneten zu ihrer jeweiligen Partei. Den häufig ins Feld geführten „Klubzwang“ gibt es – zumindest formell – nicht. Dass in der Regel trotzdem alle Abgeordneten eines Klubs einheitlich abstimmen, liegt vor allem an den geteilten politischen Überzeugungen von Mandatar:innen einer Partei, hat aber auch mit der parlamentarischen Arbeitsteilung zu tun. Wegen der Vielfalt an zu behandelnden Materien, spezialisieren sich die Parlamentarier:innen einer Fraktion auf die Themengebiete jener Ausschüsse, in denen sie tätig sind. Bei Abstimmungen zu Materien außerhalb ihrer Expertise folgen die Abgeordneten also in der Regel den Empfehlungen der „Spezialist:innen“ ihrer Fraktion. Nicht zuletzt besteht auch eine politische Verantwortung den Wähler:innen gegenüber, die für eine Parteiliste mit einem bestimmten Programm gestimmt haben. Da die Abgeordneten als Kandidat:innen dieser Parteien in den Nationalrat gewählt wurden, sollten sie auch im Sinne von deren Programm abstimmen.
Sollten ein:e Abgeordnete:r jedoch exzessiven Gebrauch von seinem:ihrem freien Mandat machen und ständig entgegen der Klublinie agieren, so könnte diese:r bald gänzlich „frei“ sein. Sogenannte „wilde Abgeordnete“ gehören keiner Parlamentsfraktion mehr an, behalten jedoch ihr Mandat. In der Regel verfügen sie dadurch über weniger organisatorische Unterstützung und Ressourcen, als ihre in Klubs organisierten Kolleg:innen und sind damit auch weniger wirkmächtig. Es sei denn, es kommt zu Abstimmungen mit extrem knappen Mehrheiten, bei denen es auf einzelne Stimmen ankommt – dann würden die Abgeordneten ohne Klubzugehörigkeit im Mittelpunkt stehen.
BERUFLICHE UND AUSSERBERUFLICHE IMMUNITÄT ZUM SCHUTZ DER UNABHÄNGIGKEIT
Die freie und unabhängige Ausübung des Mandats der Abgeordneten wird außerdem durch die parlamentarische Immunität abgesichert, die zwei Hauptaspekte umfasst. Einerseits schützt die berufliche Immunität Äußerungen und Abstimmungen von Abgeordneten im Rahmen ihrer parlamentarischen Tätigkeit vor behördlicher Verfolgung. Andererseits betrifft die außerberufliche Immunität Handlungen, die nicht direkt mit der parlamentarischen Arbeit zusammenhängen. Abgeordnete können für Straftaten, die sie außerhalb ihrer parlamentarischen Tätigkeit begehen, nur mit Zustimmung des Parlaments strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Schutzmaßnahme soll verhindern, dass Abgeordnete aus politischen Gründen verfolgt werden, was ihre Unabhängigkeit beeinträchtigen würde.
Die Aufhebung der Immunität erfolgt durch das Parlament selbst. Wenn gegen einen Abgeordneten strafrechtlich vorgegangen werden soll, muss der Antrag auf Aufhebung der Immunität dem Immunitätsausschuss vorgelegt werden, der dann dem Plenum des Nationalrats oder Bundesrats darüber Bericht erstattet. Das Parlament entscheidet schließlich, ob die Immunität aufgehoben wird. Wichtig dabei ist, dass diese grundsätzlich nur in Fällen aufgehoben wird, in denen kein direkter Zusammenhang mit der parlamentarischen Tätigkeit besteht und ausgeschlossen werden kann, dass eine Strafverfolgung politisch motiviert ist. Für Mitglieder des Bundesrats gilt die Immunität des jeweils entsendenden Landtags, die inhaltlich jener der Mitglieder des Nationalrats entspricht.
DAS INTERPELLATIONSRECHT ALS INSTRUMENT ZUR PARLAMENTARISCHEN KONTROLLE DER REGIERUNG
Eine weitere zentrale Befugnis der Abgeordneten ist das Interpellations- oder Fragerecht, das vornehmlich als Instrument der parlamentarischen Kontrolle der Exekutive dient. Es ermöglicht den Abgeordneten, Informationen über Tätigkeiten der Regierung einzuholen und stellt sicher, dass diese ihre Entscheidungen transparent darlegen muss. National- und Bundesrät:innen können Anfragen an die Bundesregierung oder einzelne ihrer Mitglieder richten, um Auskünfte über die in deren Verantwortungsbereich liegenden Angelegenheiten zu erhalten. Neben dem Resolutionsrecht, das den Abgeordneten ermöglicht, Wünsche über die Vollziehung in Form von Entschließungen zu äußern, und dem Enqueterecht auf die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, zählt das Interpellationsrecht zu den wichtigsten parlamentarischen Kontrollrechten.
Davon kann in mehreren Formen Gebrauch gemacht werden. So können zum Beispiel fünf Abgeordnete des Nationalrats eine schriftliche Anfrage an die Bundesregierung richten, die dann innerhalb von zwei Monaten zu beantworten ist. Ebenfalls fünf Abgeordnete sowie einzelne Klubs können außerdem – mit gewissen Einschränkungen – verlangen, dass eine schriftliche Anfrage an ein Mitglied der Bundesregierung noch in der Sitzung behandelt wird, in der sie eingebracht wurde – eine sogenannte „Dringliche Anfrage“. Das betreffende Mitglied der Bundesregierung ist dann verpflichtet, eine Stellungnahme zum Gegenstand abzugeben oder sogleich eine mündliche Beantwortung vorzunehmen. Außerdem haben einzelne Abgeordnete das Recht, eine mündliche Anfrage im Rahmen einer Fragestunde an die Mitglieder der Bundesregierung zu richten.
TEILNAHMEPFLICHT UND MANDATSVERLUST: DER FALL ROSENSTINGL
Neben diesen Rechten haben Abgeordnete auch bestimmte Pflichten zu erfüllen, damit die Integrität des Gesetzgebungsprozesses gewahrt bleibt. Dazu gehört etwa die Einhaltung der Transparenzregelungen bezüglich beruflicher Nebentätigkeiten und Einkünften sowie der Unvereinbarkeitsbestimmungen, um Interessenskonflikte zu vermeiden. Allem voran sind die Abgeordneten jedoch zur Teilnahme an den Sitzungen des National – bzw. des Bundesrats sowie der Ausschüsse, denen sie angehören, verpflichtet.
Ist ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete etwa bei einer Nationalratssitzung verhindert, hat er oder sie es der Parlamentsdirektion mitzuteilen. Am Beginn der Sitzung verkündet der Vorsitz dann diese Verhinderungsmeldung. Dauert die Verhinderung 30 Tage oder länger, ist dies dem Präsidenten bzw. der Präsidentin unter Angabe von Gründen schriftlich mitzuteilen. Ist sie nicht medizinisch begründet, hat der:die Präsident:in den Sachverhalt dem Nationalrat mitzuteilen. Wenn gegen die Triftigkeit des Grundes ein Einwand erhoben wird, entscheidet dieser ohne Debatte, ob der:die betreffende Abgeordnete aufgefordert wird, unverzüglich wieder an den Sitzungen teilzunehmen. Kommt dieser der Aufforderung binnen 30 weiterer Tage nicht nach, ohne:seine Abwesenheit zu rechtfertigen, entscheidet der Nationalrat darüber, ob beim Verfassungsgerichthof ein Antrag auf Mandatsverlust gestellt wird.
Ein prominentes Beispiel, das sowohl die Teilnahmepflicht, als auch die parlamentarische Immunität berührt, ist der Fall des ehemaligen FPÖ-Abgeordneten Peter Rosenstingl. Dieser war in den 1990er Jahren in einen erheblichen Finanzskandal verwickelt. Als die Vorwürfe öffentlich wurden und strafrechtliche Ermittlungen gegen ihn eingeleitet waren, entzog er sich der Justiz durch Flucht ins Ausland. Während seiner Abwesenheit konnte Rosenstingl seine parlamentarischen Pflichten nicht mehr wahrnehmen, was zu einer erheblichen öffentlichen und politischen Debatte führte. Schließlich wurde Rosenstingls Immunität vom Parlament aufgehoben, um eine strafrechtliche Verfolgung zu ermöglichen. Es folgte – zum ersten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik – die Mandatsaberkennung eines Abgeordneten durch den Verfassungsgerichtshof, nachdem der Nationalrat dies einstimmig beantragt hatte.
Wie die Parlamentskorrespondenz über eine Sitzung des Hauptausschusses im Juli 1998 berichtete, sahen sämtliche Parteien keine Triftigkeit der von Rosenstingls Anwalt übermittelten Gründe für das zweimonatige Fernbleiben seines Mandanten von den Nationalratssitzungen (siehe PK 537/1998). Selbst eine Haft in Österreich wäre an sich kein Grund für die Einleitung eines Verfahrens auf Mandatsentzug gewesen, wie mehrere Abgeordnete einräumten. Rosenstingl habe das Verfahren durch seine Flucht und die nicht erfolgte freiwillige Rückkehr nach Österreich selbst herbeigeführt, so der Tenor. Der damalige Nationalratspräsident Heinz Fischer betonte, dass die Causa dem Ansehen des Parlaments aufgrund des „einwandfreien Verfahrens“ des Nationalrats keinen Schaden zugefügt habe (siehe PK 547/1998). (Schluss) wit
HINWEIS: Mehr Informationen zum Wahljahr 2024 finden Sie unter www.parlament.gv.at/mehralseinkreuzerl.
Einen Podcast zum Thema parlamentarische Immunität finden Sie in der Mediathek des Parlaments.
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