Kein Weiter wie bisher in der Langzeitpflege fordert der Lebenswelt Heim Bundesverband
Ja, wir schauen auf herausfordernde Zeiten in der Pflege und Betreuung älterer Menschen. Ein „Weiter wie bisher“ kann es nicht geben, das hat auch unser amtierender Bundeskanzler erkannt und betont.
„Es gibt für Nix was zusätzlich dazu“ formuliert Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrates, kurz und knackig die Priorität zur Budgetkonsolidierung für Regierungen nicht nur der nächsten Legislaturperiode im Rahmen der ÖKSA-Jahrestagung in Klagenfurt. Die Pflege findet sich damit verstärkt in der Verteilungsdebatte um den Gesamthaushalt. „Angesichts des deutlichen fiskalpolitischen Resümees sind wir auch in der Pflege aufgefordert, die Frage nach möglichen Effizienzsteigerungen, ohne dass diese gleich zu Qualitätsverluste führen, zu beantworten. Die Verteilungsdebatte erfordert aber dennoch eine Kultur des Näherkommens, um insgesamt weiter zu kommen“, so Jakob Kabas, Präsident des Lebensweltheim Bundesverbandes.
Innovation und Effizienz sind auch Ziele des Innovationspreises des Lebenswelt Heim Bundesverbandes. Dieser wurde heuer zum zehnten Mal vergeben und der Galaabend in Linz war eine eindrucksvolle Darstellung davon. „Es wurde deutlich, was bei aller Knappheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der stationären Langzeitpflege zur Verbesserung der Lebensqualität wie auch Arbeitsqualität unermüdlich geleistet wird“ resümiert dazu der Präsident des Lebensweltheim Bundesverbandes. (siehe www.lebensweltheim.at/veranstaltungen/teleios-chronik). Die Fülle der eingereichten Projekte ist ein Beleg dafür, dass das Ausüben einer sinnerfüllten Tätigkeit immer noch DER Grund ist, um in der Pflege und Betreuung zu arbeiten.
WORKLOAD UND WORKLIFE
Jeder Dritte Beschäftigte in der Langzeitpflege beurteilt seine Arbeit als „sinnvoll“ während nur jeder fünfte mit den Rahmenbedingungen zufrieden ist und sich auch nicht vorstellen kann, diese Arbeit bis zum 60. Lebensjahr auszuüben. Der Anteil der über 50jährigen liegt in der Langzeitpflege europaweit mit 37,9 Prozent mehr als vier Prozentpunkte über dem Anteil aller Beschäftigten, so Befunde aus einer Eurofonds-Studie zur Beschäftigungssituation in der Langzeitpflege. „Auch eigene Erhebungen bestätigen, dass Alter und Gesundheit zu mehr als zwei Drittel die Gründe für Teilzeitbeschäftigung sind“, so der Präsident von Lebenswelt Heim. Immer mehr Beschäftigte fragen sich auch, was insgesamt eine gute Work-Life-Balance ausmacht und welchen Anteil dabei das Einkommen spielt. „Der Befund, dass auch hier nahezu jeder Vierte mit einem Teilzeiteinkommen sein Auskommen findet, relativiert politische Forderungen nach finanziellen Anreizen zur Senkung der Teilzeitquote“, so Kabas. „Wenn die Tätigkeiten überwiegend als sinnstiftend wahrgenommen werden, dann müssen wir sie von sinnbefreiten oder sinnlosen Belastungen entfrachten, dazu gehören z.B. eine überbordende Bürokratie wie auch Dokumentationserfordernisse“ betont er.
Wie dieses „mehr“ aussehen kann, dazu bietet ein Positionspapier des European Ageing Network EAN, das Jakob Kabas selbst federführend miterarbeitet hat, mit dem Titel „10 new ways of thinking“, ganz konkrete Lösungsansätze (siehe www.lebensweltheim.at /partner/ean).
VON DER PFLEGEZENTRIERTHEIT IN DIE LEBENSBEGLEITUNG
Die Lebensqualität älterer und betreuungsbedürftiger Menschen hat je nach Betrachtung zwischen acht und zwölf Merkmalsausprägungen, von der physischen Gesundheit über soziale Kontakte, lebbare Individualität, Selbstwirksamkeit bis hin zu psychischer Gesundheit und spirituellem Wohlbefinden. Die Personalvorgaben der Länder konzentrieren sich aber auf jene Bereiche, in denen auch das Können und Dürfen in klaren gesetzlichen Rahmenbedingungen abgebildet ist. „Bei all den steigenden Anforderungen und laufenden Veränderungen geht es in der Langzeitpflege immer noch darum, Leben umfassend und möglichst individuell organisiert zu ermöglichen, dazu wird es aber notwendig sein, RECHTLICHE GRUNDLAGEN FÜR DIE ETABLIERUNG MULTIPROFESSIONELLER TEAMS ZU SCHAFFEN SOWIE SIE IN PERSONALAUSSTATTUNGSVERORDNUNGEN ZU ERMÖGLICHEN UND IN TARIFMODELLEN BERÜCKSICHTIGEN“, meint der Präsident des Lebenswelt Heim Bundesverbandes.
Ein Beispiel für die positiven Auswirkungen eines solchen Paradigmenwechsels liefert Andrea Sigl, langjährige Leiterin eines Salzburger Pflegeheimes und Kommissionsmitglied in der Volksanwaltschaft. Sie hat gemeinsam mit ihrem Team das Hausgemeinschaftsmodell implementiert. Dieses Modell stellt ganz bewusst das Leben und die individuellen Bedürfnisse der Bewohner:innen in den Mittelpunkt. _„_Natürlich stehen die Bedürfnisse der uns anvertrauten Menschen überall im Mittelpunkt,“ erklärt Andrea Sigl, „aber häufig passiert das durch das besondere Engagement der handelnden Personen und trotz einer oft rigiden Struktur – hier unterstützt die Struktur die Bedürfnisorientierung._“_ Anstelle eines institutionalisierten Pflegealltags leben die Senior:innen in familienähnlichen Gemeinschaften, die durch kleine Gruppen (z. B. 8-12 Personen) und häuslich gestaltete Umgebungen geprägt sind. Pflegekräfte, Alltagsbegleiter:innen, Therapeut:innen und andere Berufsgruppen unterstützen die Bewohner:innen individuell und fördern ihre Selbstständigkeit und Teilhabe am Alltagsleben.
Wenn das so gut funktioniert, warum hat nicht längst jedes Pflegeheim das Hausgemeinschaftsmodell umgesetzt? Was brauchen die Häuser von der Politik und den Entscheidungsträger:innen? _„_Ein wichtiger Ausgangspunkt ist das GEMEINSAME QUALITÄTSVERSTÄNDNIS – wie in so vielen Bereichen unserer Tätigkeit“, so Andrea Sigl. „Es braucht ein Konzept, ein Grundgerüst, das ÖSTERREICHWEIT GLEICH ist. Dabei ist klar, dass sich viele Bundesländer von ihren aktuellen rigiden Personalschlüsseln wegbewegen müssten, hin zu mehr Flexibilität, die Einbindung mehr unterschiedlicher Berufsgruppen, immer im Hinblick auf die gleiche oder eine höhere Qualität. Denn eines ist klar“, ergänzt sie, „mit dem Hausgemeinschaftsmodell wird es nicht billiger. Teurer aber auch nicht, wenn man es richtig macht. Nur besser._“_
Gleichzeitig braucht es Unterstützung bei der baulichen Umsetzung – inhaltlich und natürlich auch finanziell. Die richtige räumliche Gestaltung ist ein Um und Auf bei der Umsetzung des Hausgemeinschaftsmodells, was eine Umstellung bestehender Strukturen ohne größere bauliche Maßnahmen schwierig bis unmöglich macht. Aber es gibt in Österreich inzwischen viele gelungene Projekte, die als Referenz und Wissenspool dienen können.
VON DER BEWEISLAST ZUR BEZIEHUNGSKULTUR
Fragt man Pflegepersonen in ganz Österreich nach ihren Arbeitsbelastungen, steht ein Punkt immer wieder weit oben auf der Liste: die Last der Bürokratie, vor allem verbunden mit den umfassenden Dokumentationspflichten. Hier ist eine Ausdünnung nach dem Grundsatz „it’s not just about proving, it’s about improving“ dringend angezeigt: ES SOLL NICHT UMS BEWEISEN, SONDERN UMS VERBESSERN GEHEN.
Auch hier gibt es inzwischen mehrere Vorzeigeprojekte in ganz Österreich, bei denen Pflegeheime und Trägerorganisationen die Initiative ergriffen haben und – teilweise gemeinsam mit und unterstützt von den Pflegeaufsichtsbehörden der Bundesländer – sehr gute Konzepte entwickelt und umgesetzt haben. Dabei wurde überprüft, welche Routinen verschlankt oder digitalisiert werden können, um mehr Zeit für direkte Begegnungen zu schaffen.
Hier ist das Commitment der Politik und der Landesbehörden besonders wichtig. _„_Behördliche Kontrollen konzentrieren sich oft auf das, was leicht überprüfbar ist“, beschreibt Präsident Jakob Kabas. „Die Anzahl der Feuerlöscher, die Frequenz der Wartung der medizintechnischen Geräte ebenso wie die Anzahl der Pflegediagnosen und Einträge im Pflegebericht sind leichter zu kontrollieren als die Ergebnisqualität. TROTZDEM BITTEN WIR DIE BEHÖRDEN, SICH DIESER HERAUSFORDERUNG ZU STELLEN._“ _So könnte zum Beispiel die Darstellung von Beziehungsqualität in den veröffentlichten Qualitätsberichten der Pflegeheime stärker gewichtet werden.
Neben dem Bürokratieabbau und der effizienten Verringerung der Dokumentationspflichten durch die Behörden wünschen sich die Pflegeheime Unterstützung bei der Umsetzung neuer, elektronischer Lösungen wie zum Beispiel Modulen zur Spracherkennung in den Pflegedokumentationssystemen, die viel Zeit sparen können. Während hier finanzielle Unterstützungen zB durch Einberechnung solcher Projekte in die Heimtarife Abhilfe schaffen können, ist die Politik an einer anderen Stelle viel stärker gefordert: es braucht in vielen Bereichen INTEGRIERTE LÖSUNGEN FÜR ALLE BETEILIGTEN PLAYER – STICHWORT GESUNDHEITSTELEMATIK. Hier geht es darum, die Pflegeheime gemeinsam mit den niedergelassenen Arztpraxen und den Krankenhäusern mit durchdachten, durchgängigen elektronischen Prozessen zu unterstützen. Bei der durchgängigen Anbindung an ELGA und den Möglichkeiten des Datentransfers zwischen den verschiedenen Institutionen ist noch viel zu tun!
Es sind noch viele weitere Themen, mit denen sich der Lebenswelt Bundesverband tagtäglich beschäftigt und die Präsident Jakob Kabas mit seinen Kolleg:innen in den Bundesländern laufend an die Politik und Entscheidungsträger:innen heranträgt. Wenn er nun angesichts der laufenden Regierungsverhandlungen den Brief nicht ans Christkind, sondern an die Verhandlungsteams richten könnte, welche wichtigsten Wünsche wären dort zu lesen?
„Das mit den Wünschen hat immer einen Beigeschmack eines „nice-to-have“. Für uns in der Langzeitpflege geht es aber um das essentielle Fundament, das wir von der Politik brauchen, um unsere Qualität halten und weiterentwickeln zu können“, bekräftigt Jakob Kabas. „Drei wichtige Ecksteine dieses Fundaments sind aus meiner Sicht_:_
* _die österreichweite Diskussion um einen EINHEITLICHEN QUALITÄTSSTANDARD im Sinne eines Grundgerüstes, vor allem im Hinblick auf die PERSONELLEN RESSOURCEN, also die Anzahl der „Hände“. Es ist unglaublich, wie weit die Vorgaben in den einzelnen Bundesländern voneinander abweichen. Aber auch im Hinblick auf die eingesetzten Berufsgruppen muss dringend diskutiert werden – hier braucht es unbedingt eine HÖHERE FLEXIBILITÄT für die einzelnen Pflegeheime. Ein GEMEINSAMES QUALITÄTSVERSTÄNDNIS kann sich aber nicht nur auf die personelle Ausstattung beschränken. Wir brauchen eine transparente und realistische Definition: welche Versorgungsqualität möchten wir unseren älteren Menschen bieten und wie können die Ressourcen dafür aufgebracht werden._
* _der ABBAU DER ÜBERBORDENDEN BÜROKRATISCHEN LAST IM HINBLICK auf die Pflegedokumentation, aber auch im Hinblick auf sämtliche behördliche Bewilligungen und Kontrollen, sodass wichtige Ressourcen für die direkte Beziehungsqualität zu den Bewohner:innen frei werden. Hand in Hand damit geht die dringend nötige Unterstützung bei Maßnahmen zur Digitalisierung und zum Einsatz neuer Technologien._
* _die Schaffung eines einheitlichen Standards nicht nur für die Qualität in den Häusern, sondern auch für in Bezug auf die ZIELE UND KRITERIEN JENER, DIE DIESE QUALITÄT ÜBERPRÜFEN. Ein Blick auf die Pflege und Betreuung von betagten Menschen aus mehreren Perspektiven ist notwendig und sinnvoll. Die Häuser dürfen aber nicht mit sich teilweise widersprechenden, teilweise auch schlichtweg unrealistischen Vorgaben konfrontiert werden. Und natürlich wünschen wir uns eine TRANSPARENTE UND VOLLSTÄNDIGE BERICHTERSTATTUNG, die nicht nur Negatives aufzählt und anprangert, sondern ganzheitlich widerspiegelt, auch Positives aufzeigt und dadurch ermutigt.“_
Das European Ageing Networt EAN hat seinem Positionspapier ein Zitat von _Barack Obama vorangestellt: „_Old ways don’t open new doors_.“_ Oder um es in Anlehnung an Worte des österreichischen Lyrikers Erich Fried abgewandelt zu sagen: Wer will, dass die Langzeitpflege so bleibt wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt. „Wir wollen jedenfalls, dass der Mensch mit seinen Lebenszusammenhängen und Alltagsrealitäten im Zentrum unserer Arbeit und unserer Bemühungen bleibt“, meint Kabas abschließend.
Lebenswelt Heim Bundesverband
Claudia Hofmann, MA
Telefon: +4368110475795
E-Mail: claudia.hofmann@lebensweltheim.at
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