Breite Mehrheit im Nationalrat für Gesetzespaket zur Handysicherstellung

Strafprozessordnung wird etwa auch zur Verfahrensbeschleunigung reformiert

Eine breite Mehrheit von ÖVP, SPÖ, NEOS und Grünen hat sich im Nationalrat für den aktuellen Initiativantrag von ÖVP und Grünen zur Neuregelung der Handysicherstellung ausgesprochen. Die neuen Bestimmungen für die Sicherstellung und Auswertung von Handys und anderen Datenträgern haben damit gerade noch rechtzeitig vor dem Auslaufen der geltenden Bestimmungen das Plenum passiert. Denn aufgrund eines Urteils des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) ist die Neuregelung der Materie bis 1. Jänner 2025 erforderlich. Die entsprechende Strafprozessreform enthält unter anderem auch Maßnahmen zur Beschleunigung von Verfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes.

Von allen Fraktionen außer den Freiheitlichen abgelehnt wurde ein FPÖ-Antrag, der ebenso auf eine Neuregelung der Handysicherstellung abzielt. Die FPÖ sprach sich insbesondere für eine organisatorische Trennung der Datenauswertung von den eigentlich ermittelnden Behörden aus. Aus ihrer Sicht sollte die Aufbereitung der Daten durch das Gericht erfolgen.

HANDYSICHERSTELLUNG UND STPO-REFORM

Laut der Vorlage von ÖVP und Grünen wird die Beschlagnahme von Datenträgern wie etwa Handys oder Laptops und Daten künftig einer vorherigen richterlichen Genehmigung bedürfen. Generell soll die Sicherstellung solcher Datenträger als neue Ermittlungsmaßnahme von der Sicherstellung von anderen Gegenständen getrennt werden. Ohne richterliche Bewilligung bestehen bleiben soll die bisherige Möglichkeit der Sicherstellung etwa von Handys zu materiellen Zwecken sowie von punktuellen Daten aus dem öffentlichen Raum wie etwa Bilder von Überwachungskameras.

Ermöglicht wird die Beschlagnahme auch von Daten in der Cloud bzw. sonstigen Servern. Eng definierte Ausnahmen von der richterlichen Vorabbewilligung soll es bei Gefahr im Verzug geben. Die Verwertung von Zufallsfunden soll weiterhin erlaubt bleiben, wobei auch hier der Zugriff auf das jeweilige richterlich genehmigte Datenausmaß begrenzt bleiben soll. Zur Umsetzung der richterlichen Entscheidung soll ausschließlich eine Arbeitskopie der Daten verwendet werden. Der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft soll eine Einsichtnahme damit nur in jene Daten zukommen, die der gerichtlichen Bewilligung entsprechen. Festgelegt werden weiters Beteiligungsmöglichkeiten von Beschuldigten und Opfern bei der Selektion von „erheblichen Tatsachen“ und entsprechende Informationspflichten der Behörden.

Darüber hinaus beinhaltet das von ÖVP und Grünen vorgelegte Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2024 eine Reform der Strafprozessordnung (StPO) – unter anderem zur Stärkung des Opferschutzes, zur Prozessbegleitung für minderjährige Zeugen von Gewalt sowie für einfachere Verfahrensregeln für Opfer von Hass im Netz. Außerdem ist im Sinn der Verfahrensbeschleunigung geplant, die Höchstdauer des Ermittlungsverfahrens von drei auf zwei Jahre herabzusetzen. Für Verfahren wegen häuslicher Gewalt sollen künftig bei den Bezirksgerichten und Gerichten erster Instanz Spezialzuständigkeiten verankert werden. Anpassungen sind unter anderem auch im Bereich Cyberkriminalität sowie zu Kryptowerten vorgesehen. Als Verbesserung im Opferschutz wird außerdem hervorgehoben, dass künftig gegen Anzeigerücklegungen vorgegangen werden könne und es ab Tag eins Akteneinsicht gebe.

Berücksichtigt wurde ein Abänderungsantrag von ÖVP und Grünen aus dem Ausschuss, mit dem etwa Anpassungen und Klarstellungen zur staatsanwaltlichen Entscheidungsfrist in der Anfangsphase des Ermittlungsverfahrens und zur Sicherstellung punktueller Daten getroffen werden. Ein weiterer Abänderungsantrag, den ÖVP, SPÖ und Grüne im Plenum dazu einbrachten, dient lediglich der Behebung von Redaktionsversehen.

FPÖ FORDERT AUSWERTUNG DER DATEN DURCH GERICHT

Der Antrag der FPÖ zur Neuregelung der Handysicherstellung wurde von den anderen Fraktionen abgelehnt. Harald Stefan (FPÖ) sprach sich insbesondere für eine Auswertung der Daten durch das Gericht aus. Nur jene Daten, die für die Ermittlung erforderlich seien, sollten ihm zufolge an die Staatsanwaltschaft weitergegeben werden dürfen. Bei dem sensiblen Thema Handy, in dem das gesamte Leben und auch jenes anderer abgebildet sei, habe der VfGH zurecht festgehalten, dass die Zugriffsmöglichkeit nicht so leicht möglich sein sollte. Zusätzlich gebe es eine Entscheidung des EuGH, wonach etwa der Eingriff auf das Privatleben auf ein Minimum zu beschränken sei, weiters Art und Kategorie der Straftaten zu definieren seien und ein bloßer Anfangsverdacht nicht ausreiche. Im Antrag von ÖVP und Grünen sieht Stefan wesentliche Teile im Hinblick auf Eingriffe in das Privatleben nicht umgesetzt und eine „Chance vertan“. Je mehr richterliche Kontrolle, umso besser funktioniere der Rechtsstaat, ergänzte dazu Markus Tschank (FPÖ). Es gelte daher, den Grundrechteschutz ernst zu nehmen und die richterliche Kontrolle aufzuwerten. Im Entwurf von ÖVP und Grünen würden sich außerdem etwa Regelungen zum Sichtungsverfahren für Berufsgeheimnisträger nicht wiederfinden, kritisierte Tschank.

RAUCH: ANFORDERUNGEN DES VFGH WIRD BESTMÖGLICH NACHGEKOMMEN

Minister Johannes Rauch in Vertretung von Justizministerin Alma Zadić erörterte, dass die Komplexität in der Materie darin bestehe, eine möglichst präzise Abwägung zwischen zwei grundlegenden Interessen zu treffen – nämlich zwischen jenem der Allgemeinheit an der Strafverfolgung und dem Grundrecht auf Privatsphäre und Datenschutz. Den strengen Anforderungen den VfGH werde nunmehr bestmöglich nachgekommen. Unter Einbindung der Stellungnahmen sei der ursprüngliche Entwurf dahingehend abgeändert worden, dass nunmehr die Staatsanwaltschaften weiterhin ihre Leitungsbefugnis im Ermittlungsverfahren umfassend wahrnehmen können. Rauch wies darüber hinaus auf die Teile der Reform zu Verbesserungen im Opferschutz oder auch für einfachere Verfahrensregeln für Opfer von Hass im Netz hin.

NUNMEHRIGE UMSETZUNG ALS KOMPROMISS

Als „Gamechanger“ bezeichnete Wolfgang Gerstl (ÖVP) die nunmehrige Neuregelung mit einer vorherigen richterlichen Genehmigung. Das Recht auf Privat- und Familienleben dürfe nicht vor der Strafverfolgung Halt machen. Datenkategorien, Inhalte und Zeiträume müssen ihm zufolge künftig definiert werden, andere dürfen nicht mehr durchsucht werden, hielt er fest. Die Staatsanwaltschaft müsse sich also vorher die Suche nach strafrechtlich relevanten Sachverhalten überlegen. Wichtig sei aus seiner Sicht etwa das Vernichtungsgebot, aber auch, dass die Rechtsschutzbeauftragten gestärkt würden. Etwa in Massenverfahren werde es künftig auch das Recht auf Antrag zur Trennung des Verfahrens geben, so Gerstl. Ein Wermutstropfen und Kompromiss sei, dass nicht die komplette organisatorische Trennung von Datenaufbereitung und -auswertung zustande gekommen sei. Jedenfalls gebe es aber verpflichtende Dokumentationsrechte. Auch Ministerin Karoline Edtstadler sah in ihrer Wortmeldung als ÖVP-Abgeordnete in der nunmehrigen Umsetzung einen Kompromiss, den allerdings vier Parteien mittragen würden. Es werde heute eine neue Rechtsgrundlage auf der Höhe des 21. Jahrhunderts geschaffen, zeigte sie sich überzeugt.

Auch Selma Yildirim (SPÖ) sieht in den Neuregelungen einen Kompromiss, den sie mittragen könne. Sie bemängelte aber, dass mit den Berufsgruppen der Rechtsanwender nur begrenzt verhandelt worden sei und die Kompromisslösung ressourcentechnisch nicht ausgefeilt sei, etwa, was die Rechtsschutzbeauftragten betrifft. Hätte man allerdings den FPÖ-Antrag angenommen, wäre aus ihrer Sicht ab 1. Jänner die Strafverfolgung „lahmgelegt“ worden, so Yildirim. Daher stelle der nunmehrige Kompromiss sicher, dass ab 1. Jänner eine effektive Strafverfolgung möglich sei, sagte Elke Hanel-Torsch (SPÖ). Sie hob unter anderem hervor, dass die Novelle auch im Opferschutz wichtige Änderungen bringe – wiewohl es gelte, insgesamt mehr im Gewaltschutz zu tun.

In der Gesetzgebung nicht erst auf Entscheidungen durch Höchstgerichte zu warten, wenn offensichtlich sei, dass ein Handy aufgrund der vielen Daten anders als eine Tatwaffe zu behandeln sei, appellierte Nikolaus Scherak (NEOS). Für die komplexen Fragen der Neuregelung liege jetzt auf breiter parlamentarischer Basis ein Kompromiss vor. Auch wenn so gut als möglich eine Abwägung getroffen worden sei, werde es in einiger Zeit eine Evaluierung brauchen. Positiv hob Scherak etwa die strengere Dokumentation und eine Stärkung der Beschuldigtenrechte hervor.

Die Intention müsse sein, den bzw. die Täter:in in einem Verfahren zu überführen, so Agnes Sirkka Prammer (Grüne). Ein Misstrauen gegen die Staatsanwaltschaft bezeichnete sie in diesem Zusammenhang als „dramatisch“. Im vorliegenden Paket sei man zu einer guten Einigung gekommen, die den abzuwägenden Aspekten Rechnung trage. Denn oft gehe es auch um unbeteiligte Dritte; es dürfe nicht passieren, dass deren gesamtes Privatleben auf Umwegen in die Öffentlichkeit komme. Mit den umsichtigen Neuregelungen würden Beschuldigtenrechte und das öffentliche Interesse an Aufklärung von Straftaten ins Gleichgewicht gebracht, so Nina Tomaselli (Grüne). (Fortsetzung Nationalrat) mbu

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