Durchbruch in der Langerhans-Zell-Histiozytose-Forschung: Stammzellmodell eröffnet neue Therapiemöglichkeiten
WISSENSCHAFTER*INNEN DER ST. ANNA KINDERKREBSFORSCHUNG HABEN EINEN MEILENSTEIN IN DER ERFORSCHUNG DER SELTENEN UND KOMPLEXEN LANGERHANS-ZELL-HISTIOZYTOSE (LCH) ERREICHT. DANK EINES INNOVATIVEN MODELLS AUF BASIS INDUZIERTER PLURIPOTENTER STAMMZELLEN (IPSCS) KONNTEN DIE MECHANISMEN DER KRANKHEIT ERSTMALS UMFASSEND UNTERSUCHT WERDEN. DIE BAHNBRECHENDEN ERGEBNISSE WURDEN IM FACHJOURNAL _BLOOD_ VERÖFFENTLICHT UND GEBEN HOFFNUNG AUF NEUE BEHANDLUNGSSTRATEGIEN FÜR BETROFFENE.
Die Langerhans-Zell-Histiozytose (LCH) ist eine seltene und komplexe Erkrankung des blutbildenden Systems, die eine enorme Bandbreite an Symptomen aufweist. Sie reichen von selbstheilenden Veränderungen bis hin zu tumorartigen Läsionen in mehreren Organen, systemischen Entzündungen und fortschreitender Neurodegeneration. Mangels geeigneter Modelle war die Erforschung der Krankheitsmechanismen bislang stark eingeschränkt.
Eine wegweisende neue Studie, die in der Fachzeitschrift _Blood _veröffentlicht wurde, liefert nun entscheidende Einblicke in die Mechanismen der LCH und mögliche Behandlungsstrategien. Ein Team unter der Leitung von Caroline Hutter, Forschungsgruppenleiterin an der St. Anna Kinderkrebsforschung, Ärztliche Leiterin des St. Anna Kinderspitals und Professorin für Kinderonkologie an der MedUni Wien, ist es nun gelungen, ein In-vitro-Modell der LCH zu entwickeln. Durch den Einsatz eines innovativen, im Labor entwickelten Modells auf Basis von induzierter pluripotenter Stammzellen (iPSCs) kann auf Tierversuche verzichtet werden.
INNOVATIVES STAMMZELLMODELL ALS DURCHBRUCH IN DER FORSCHUNG
Um das Modell zu entwickeln, haben die Wissenschafter*innen im Labor die sogenannte BRAFV600E-Mutation – die häufigste genetische Veränderung bei LCH – in menschliche Stammzellen eingeführt. Diese Mutation löst Veränderungen in der Zellentwicklung aus und führt dazu, dass sich die Zellen ähnlich verhalten wie bei LCH-typischen Gewebeschäden.
„Unsere Forschung verdeutlicht, wie die BRAFV600E-Mutation wesentliche Merkmale der LCH, darunter entzündlicher Reaktionen und neurodegenerativer Schäden, hervorruft“, so Caroline Hutter. „Das iPSC-Modell schließt eine entscheidende Lücke in der LCH-Forschung und erlaubt uns, die molekularen Mechanismen des Krankheitsverlaufs in verschiedenen Zelltypen zu analysieren.“, sagt Co-Seniorautor Sebastian Eder, klinischer Wissenschafter und Kinderonkologe am St. Anna Kinderspital.
VON VORLÄUFERZELLEN ZU KRANKHAFTEN GEWEBESCHÄDEN
Die Forscher*innen konnten mit ihrem Modell zeigen, dass die BRAFV600E-Mutation tiefgreifende Veränderungen während der Blutbildung auslöst. Dabei beeinflusst sie die Art und Weise, wie bestimmte Gene in den Zellen abgelesen und genutzt werden – ein Prozess, der als Transkriptionsregulation bezeichnet wird. Diese Veränderungen führen dazu, dass sich bestimmte Vorläuferzellen im Blut so entwickeln, dass sie den Zellen ähneln, die bei LCH-Patient*innen in den erkrankten Geweben gefunden werden.
MOLEKULARE SCHÄDEN RÜCKGÄNGIG MACHEN
Ein besonders wichtiger Durchbruch war der Nachweis, dass diese krankheitsbedingten Veränderungen reversibel sind. Durch den Einsatz von speziellen Medikamenten, den sogenannten MAPK-Weg-Inhibitoren (MAPKi), konnten die molekularen Störungen in den Zellen rückgängig gemacht werden. Dies deutet darauf hin, dass solche Medikamente potenziell auch bei der Behandlung von LCH-Patient*innen hilfreich sein könnten.
MUTIERTE MIKROGLIA TREIBEN NEURODEGENERATION VORAN: NEUE EINBLICKE IN LCH-KOMPLIKATIONEN
Das Team untersuchte ebenfalls das Zusammenspiel zwischen mutierten Mikroglia-Zellen (eine Art von Immunzellen im Gehirn) und Neuronen (den Nervenzellen) und zeigte, wie die BRAFV600E-Mutation Neurodegeneration antreibt. Dabei wurde deutlich, dass diese mutierten Mikroglia erhebliche Schäden an den Neuronen verursachen und gleichzeitig Stoffe freisetzen, die als Marker für Neurodegeneration gelten. „Die Neurodegeneration ist derzeit die schwerwiegendste Komplikation in der Behandlung der LCH“, sagt Raphaela Schwentner, Co-Erstautorin der Studie. „Mit diesem System können wir die Interaktion zwischen verschiedenen Zelltypen, wie den sonst schwer zu untersuchenden Neuronen, erforschen und hoffentlich neue Therapieansätze entwickeln.“
Diese Studie stellt einen bedeutenden Fortschritt im Verständnis der LCH dar und bietet neue Hoffnung für Patient*innen mit schweren und therapieresistenten Formen der Krankheit. Durch die Anwendung modernster Stammzelltechnologie haben die Forscher*innen ein vielseitiges Werkzeug für mechanistische Studien und die Wirkstoffentwicklung geschaffen. „Unser Modell zeigt die Vielseitigkeit von iPSCs in translationaler Forschung“, sagt Giulio Abagnale, Co-Erstautor der Studie. „Wir hoffen, durch unsere Arbeit, das Leben von Patient*innen mit LCH und ihren Familien zu verbessern.“
PUBLIKATION:
Abagnale G*, Schwentner R*, Ben Soussia-Weiss P, van Midden W, Sturtzel C, Pötschger U, Rados M, Taschner-Mandl S, Simonitsch-Klupp I, Hafemeister C, Halbritter F, Distel M, Eder SK#, Hutter C#. BRAFV600E induces key features of LCH in iPSCs with cell type-specific phenotypes and drug responses. _Blood_. 2024 Dec 4:blood.2024026066.
St. Anna Kinderkrebsforschung
Lisa Huto
Telefon: +43 1 40470 4006
E-Mail: lisa.huto@ccri.at
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