VwGH Erkenntnis zum Geschlechtseintrag zeigt: Innenministerium ist Jahre im Verzug

Ende der Pathologisierung transgeschlechtlicher Menschen offenbart Regelungslücke, menschenrechtliche Herausforderungen & dringenden Handlungsbedarf der Gesetzgeber*in

Zu zwei Verfahren zur Streichung des Geschlechtseintrags von nicht-binären Personen ist eine Erkenntnis durch den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) ergangen. Den Anträgen wurde nicht stattgegeben, denn das Personenstandsgesetz „sehe eine Angabe sowie Eintragung des Geschlechts verpflichtend vor“. Zu den zwei weiteren Anträgen von nicht-binären Person auf Eintragung von „divers“ bzw. „nicht-binär“ gibt es noch keine Entscheidung. Gleichzeitig beendet der VwGH die diskriminierende Praxis des Innenministeriums, hinterlässt dabei aber eine große Lücke.

In seiner Durchführungsanleitung zur Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstand legt das BMI fest, dass inter- und transgeschlechtliche Personen ein Fachgutachten benötigen. Für trans Personen ist eine psychotherapeutische Stellungnahme vorgesehen, die bis 2020 die Diagnose „F64.0 Transsexualismus“ aus dem veralteten ICD-10 enthalten musste. Im neuen ICD-11 wertet die WHO trans zu sein nicht mehr als „mental oder verhaltensgestört“. Stattdessen ermöglicht die Diagnose „HA60 Geschlechtsinkongruenz“ trans Menschen einen pathologisierungsfreien Zugang zu medizinischen Dienstleistungen wie z.B. Hormonbehandlungen.

Der ICD-11 ist bereits 2022 in Kraft getreten und die Einführung in Österreich soll laut Gesundheitsministerium bis 2027 abgeschlossen sein. Im Zuge dieser hat das Gesundheitsministerium bereits die Regelung des Innenministeriums kritisiert: Das Fachgutachten, das von trans Menschen verlangt wird, basiert auf einer Diagnose, die nicht mehr gestellt werden kann und einer Behandlungsmethodik, die veraltet und diskriminierend ist. Der VwGH greift diesen Punkt auf und mahnt, dass „eine ausdrückliche Regelung der Transsexualität bisher nicht erfolgt“ ist.

Der VwGH führt aus, „[das] PStG 2013 sagt nichts darüber aus, wann davon auszugehen ist, dass sich das Geschlecht einer Person geändert hat“, sowie dass „der VfGH grundsätzlich zwischen Intersexualität und Transidentität unterschieden [hat]“ und sich in den weiteren Ausführungen zur rechtlichen Anerkennung von inter* Personen auf „Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich“ bezieht. Weiters ist die auf die „psychische Komponente des Geschlechtszugehörigkeitsempfindens abstellende Judikatur zur alten Rechtslage ergangen“. Er kommt daher mangels anderer Regelungen zum Schluss, dass jedenfalls körperliche, binäre Geschlechtsmerkmale eine verfassungsmäßige Prüfung des Antrags auf Änderung des Geschlechtseintrags ermöglichen.

Im Behürdenlauf zwischen Innen- und Gesundheitsministerium haben Politik und Verwaltung es bisher verabsäumt, die ausgelaufene Regelung, durch eine neue, verfassungskonforme, zu ersetzen. Das ist notwendig, um es trans Menschen auch weiterhin zu ermöglichen, ihren Geschlechtseintrag an das gelebte Geschlecht anpassen zu können, wie es durch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMK) und die österreichische Verfassung möglich sein muss. Das Erkenntnis des VwGH ist daher wohl handwerklich korrekt, aber menschenrechtlich dennoch fragwürdig, denn es spricht transgeschlechtlich Menschen ebendiese Möglichkeit ab. Die Standesämter sind jedenfalls an die geltende Handlungsanleitung gebunden, bis eine neue durch das Innenministerium erlassen wird. Wir hoffen daher auf eine sehr zeitnahe Intervention durch die Gesetzgeber*in, da wir die Bedenken des RKL Lambda zur Versorgungslücke teilen.

Gegen das Erkenntnis zur Streichung werden wir Revision an den VwGH und parallel eine Beschwerde an den VfGH erheben. Für die Revision an den VwGH und die Beschwerde an den VfGH fallen pro Verfahren Kosten in Höhe von ca. 6.000 Ꞓ an.

Spenden: Venib, AT02 2011 1844 2493 7200, „Spende für Genderklage“

Pepper Gray, venib@riseup.net, 067764458777

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