80 70 30: Österreich wird 1995 Mitglied der Europäischen Union

Ein Rückblick auf die parlamentarischen Verhandlungen über den EU-Beitrittsvertrag und das zugehörige Verfassungsgesetz

Seit 30 Jahren ist Österreich Mitglied der Europäischen Union. Das österreichische Parlament musste damals Souveränitätsrechte an Brüssel abgeben, als Ausgleich dafür erhielt es Informations- und Mitwirkungsrechte im EU-Gesetzgebungsprozess. Welche Instrumente dem Nationalrat und dem Bundesrat genau zur Verfügung stehen, wie sie genutzt werden und wie es dazu kam, dass das österreichische Parlament 1995 deutlich mehr Einflussmöglichkeiten auf die Verhandlungsposition Österreichs zu konkreten EU-Vorhaben erhielt als die meisten nationalen Parlamente damals gegenüber ihren Regierungen hatten, hat sich die Parlamentskorrespondenz anlässlich des Jubiläumsjahrs 2025 angeschaut.

Zunächst geht es im ersten Teil der Serie aber darum, wie es zum EU-Beitritt Österreichs kam und wie die parlamentarischen Verhandlungen darüber abliefen. Bevor der EU-Beitrittsvertrag ratifiziert werden konnte, waren zahlreiche Schritte zu setzen und intensive Verhandlungen zu führen. Dass zwischen der Volksabstimmung über den EU-Beitritt im Juni 1994 und dem parlamentarischen Ratifizierungsprozess im November 1994 eine Nationalratswahl lag, stellte dabei eine zusätzliche Herausforderung dar. Zumal die damaligen Regierungsparteien SPÖ und ÖVP bei der Wahl ihre Zweidrittelmehrheit verloren.

Auch zu den weiteren prägnanten Jahrestagen 2025 – 80 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs, 70 Jahre Staatsvertrag, 70 Jahre Neutralität – plant die Parlamentskorrespondenz Hintergrundberichte.

APRIL 1994: DER ABSCHLUSS DER EU-BEITRITTSVERHANDLUNGEN

Der Weg Österreichs in die Europäische Union beginnt, wenn man so will, am 17. Juli 1989 mit dem sogenannten „Brief nach Brüssel“. An diesem Tag stellte Österreich, vertreten durch Außenminister Alois Mock, den Antrag auf Mitgliedschaft bei den Europäischen Gemeinschaften, wie die EU damals noch hieß. Dreieinhalb Jahre später, im Februar 1993, starteten die formalen Beitrittsverhandlungen. Dazwischen lag unter anderem der Fall des Eisernen Vorhangs. Die Verhandlungen verliefen recht zügig, schon 14 Monate nach Beginn waren die letzten Stolpersteine beseitigt. Am 12. April 1994 lag der endgültige Vertragstext vor. Auch mit Norwegen, Finnland und Schweden hatte sich die EU geeinigt. Mit 1. Jänner 1995 sollte, so der Plan, der Beitritt der vier EWR-Länder zur Europäischen Gemeinschaft erfolgen.

Bis dahin war es allerdings noch ein weiter Weg. Schließlich mussten nicht nur das österreichische und das Europäische Parlament, sondern auch sämtliche EU-Länder den EU-Beitrittsvertrag billigen. Außerdem benötigte der EU-Beitritt Österreichs die ausdrückliche Zustimmung der österreichischen Bevölkerung, da mit diesem Schritt eine Gesamtänderung der österreichischen Verfassung verbunden war. Die Übertragung von Hoheitsrechten an Organe der EU, insbesondere im Bereich der Rechtssetzung, berührte nach Expertenmeinung nicht nur das demokratische und das rechtsstaatliche, sondern auch das bundesstaatliche Prinzip. Waren doch auch die Bundesländer gezwungen, Kompetenzen an Brüssel abzugeben.

MAI 1994: DER ERSTE PARLAMENTSBESCHLUSS – DAS EU-BEITRITTS-BVG

Der parlamentarische Prozess zur Genehmigung des EU-Beitrittsvertrags startete bereits früh, nämlich noch vor dem endgültigen Abschluss der Beitrittsverhandlungen. Am 17. März 1994 legte die Bundesregierung dem Nationalrat das sogenannte EU-Beitritts-BVG vor, samt einem Bericht über das vorläufige Ergebnis der EU-Verhandlungen. Später wurde dieser Bericht um die letzten, zu diesem Zeitpunkt noch offenen Kapitel ergänzt. Der endgültige Vertragstext wurde am 15. April, also drei Tage nach Verhandlungsabschluss, nachgereicht.

Aus verschiedenen Erwägungen hatten sich die Regierungsparteien dafür entschieden, nicht zum EU-Beitrittsvertrag selbst eine Volksabstimmung abzuhalten, sondern zum EU-Beitritts-BVG. Es bestand aus drei Artikeln und sollte zum einen die Regierung – im Falle einer mehrheitlichen Zustimmung der Bevölkerung – ermächtigen, den EU-Beitrittsvertrag abzuschließen. Zum anderen wollte man festlegen, dass der EU-Beitrittsvertrag sowohl vom Nationalrat als auch vom Bundesrat nur mit Zweidrittelmehrheit genehmigt werden darf.

Über dieses Bundesverfassungsgesetz und den EU-Beitritt Österreichs wurde im Verfassungsausschuss und im Außenpolitischen Ausschuss des Nationalrats intensiv beraten. Die beiden Ausschüsse setzten personenidente Unterausschüsse ein, die zu insgesamt fünf Sitzungen zusammenkamen. Nach einer Generaldebatte, die noch vor dem Vorliegen des abschließenden Vertragstextes abgehalten wurde, diskutierten die Abgeordneten Kapitel für Kapitel über das Verhandlungsergebnis, beginnend mit den Themenblöcken Wirtschaft, Währung, Budget und Soziales. 17 Expert:innen – darunter zwei Frauen – wurden zu den Beratungen hinzugezogen. Auch über die Systematik des parlamentarischen Genehmigungsprozesses wurde ausführlich diskutiert.

Schließlich empfahl der Verfassungsausschuss dem Plenum am 27. April 1994 nach weiteren rund vierstündigen Beratungen mit Stimmenmehrheit, dem EU-Beitritts-BVG zuzustimmen, wobei die FPÖ mit Jörg Haider an der Spitze einen eigenen Minderheitsbericht verfasste und die Grün-Abgeordneten Johannes Voggenhuber und Terezija Stoisits eine abweichende persönliche Stellungnahme zum Ausschussbericht abgaben. So monierte die FPÖ unter anderem, dass den Bürger:innen nicht klar sei, dass sie bei der Volksabstimmung über eine Gesamtänderung der Bundesverfassung abstimmen würden und worin diese bestehe. Voggenhuber und Stoisits sprachen von einer „Beschönigung des Verlusts an Demokratie“ und sahen die Neutralität auf eine „Rumpfneutralität“ reduziert. Beide Seiten vermissten außerdem inhaltliche Integrationsschranken.

MEHR ALS 80 REDNER:INNEN IM PLENUM

Im Plenum des Nationalrats wurde am 4. und 5. Mai 1994 über das EU-Beitritts-BVG und die Berichte der Bundesregierung diskutiert, unterbrochen von einer Dringlichen Anfrage der FPÖ an Finanzminister Ferdinand Lacina zu „offenen budgetären Fragen in Bezug auf einen EU-Beitritt Österreichs“ und einer längeren nächtlichen Sitzungspause. Anders als heute üblich gab es damals für die Klubs noch keine Blockredezeiten. 76 Abgeordnete meldeten sich in der Debatte zu Wort, dazu sechs Regierungsmitglieder mit Bundeskanzler Franz Vranitzky und Vizekanzler Erhard Busek an der Spitze. Letztlich wurde das Beitritts-BVG vom Nationalrat mit 140 Ja-Stimmen – bei 35 Nein-Stimmen – beschlossen, wobei das Stenografische Protokoll Standing Ovations bei SPÖ, ÖVP und Liberalem Forum vermerkt. Zusatz- und Abänderungsanträge der FPÖ fanden keine Mehrheit, gleiches galt für einen Entschließungsantrag der Grünen betreffend Nichtteilnahme Österreichs an einem Militärpakt.

Nur zwei Tage nach dem Nationalrat gab auch der Bundesrat grünes Licht. Er war gegen den Willen der FPÖ an einem Samstag zu einer außertourlichen Sitzung zusammengetreten und votierte mit 51 Ja- zu 11 Nein-Stimmen für das EU-Beitritts-BVG. Damit war der Weg für die Volksabstimmung geebnet.

JUNI 1994: DIE VOLKSABSTIMMUNG UND DIE UNTERZEICHNUNG DES EU-BEITRITTSVERTRAGS

Diese fand am 12. Juni 1994 statt. Das Ergebnis ist bekannt: Zwei Drittel der Bevölkerung – 66,6 % – stimmten für den EU-Beitritt Österreichs. Genauer gesagt stimmten sie dafür, dass der Gesetzesbeschluss des Nationalrats vom 5. Mai 1994 über das EU-Beitritts-BVG Gesetzeskraft erlangen soll. Exakt betrug die Zahl der Ja-Stimmen 3,145.981, die Wahlbeteiligung lag bei 82,3 %.

Parallel zu den parlamentarischen Verhandlungen in Österreich hatte es auch aus Straßburg grünes Licht gegeben: Das Europäische Parlament votierte am 5. Mai 1994 mit 378 von 517 Stimmen für den Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft. Damit konnte der EU-Beitrittsvertrag beim EU-Gipfel am 24. und 25. Juni auf Korfu unterzeichnet werden. Von österreichischer Seite setzten unter anderem Bundeskanzler Franz Vranitzky und Außenminister Alois Mock ihre Unterschrift unter das Vertragswerk.

SPÖ UND ÖVP VERLIEREN BEI NATIONALRATSWAHL ZWEIDRITTELMEHRHEIT

Damit begann aber erst das eigentliche Ratifizierungsverfahren. Darüber hinaus waren bis zum 1. Jänner 1995 – dem anvisierten Beitrittsdatum – einige verfassungsgesetzliche Begleitregelungen zu beschließen. Das betraf etwa das Wahlprozedere für die ersten österreichischen Europaabgeordneten und die Mitwirkungsrechte des Parlaments in EU-Angelegenheiten. Dass dazwischen ein Urnengang lag, bei dem die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP ihre Zweidrittelmehrheit im Nationalrat verloren und damit keine Verfassungsgesetze mehr im Alleingang beschließen konnten, sorgte für zusätzliche Spannung.

NOVEMBER 1994: PARLAMENT GENEHMIGT EU-BEITRITTSVERTRAG IM EILVERFAHREN

Die Nationalratswahl fand am 9. Oktober 1994 statt, am 7. November traten die Abgeordneten zur konstituierenden Sitzung zusammen. Noch am gleichen Tag legte die damalige Übergangsregierung dem Parlament den EU-Beitrittsvertrag zur Ratifizierung vor. Bereits zwei Tage später nahm der Außenpolitische Ausschuss den EU-Beitrittsvertrag in Verhandlung, wobei die Beratungen recht unspektakulär verliefen. Nachdem die Abgeordneten schon im April umfassend über die Verhandlungsergebnisse diskutiert hatten, verzichteten die Ausschussmitglieder dieses Mal auf die Beiziehung von Expert:innen und begnügten sich mit einer dreistündigen Diskussion.

Zudem gab es im Plenum ohnehin die Möglichkeit, noch einmal ausführlich Argumente für und gegen einen EU-Beitritt Österreichs auszutauschen. Am 11. November, also nur vier Tage nach Einbringung, trat der Nationalrat zusammen, um endgültig über das 360 Seiten starke Vertragswerk abzustimmen. Von der Galerie aus verfolgten unter anderem Bundespräsident Thomas Klestil, der damalige Präsident der Europäischen Kommission Jacques Delors und der Präsident des Europäischen Parlaments Klaus Hänsch die Debatte. Überraschungen gab es keine mehr, letztlich wurde der Beitrittsvertrag nach knapp 11-stündiger Debatte mit 141 Ja-Stimmen – bei 40 Gegenstimmen – genehmigt.

GROSSTEIL DER FPÖ UND EINZELNE GRÜNE STIMMEN GEGEN EU-BEITRITT

Gegen den EU-Beitritt stimmten primär Mandatar:innen der Freiheitlichen, aber mit Gabriela Moser und Andreas Wabl auch zwei Abgeordnete der Grünen. Zwei weitere Grüne – Rudolf Anschober und Madeleine Petrović – nahmen nicht an der Abstimmung teil. Dagegen war für den Verfassungssprecher der Grünen Johannes Voggenhuber, ebenfalls EU-Gegner, klar, dass er „aus Respekt vor dem Wahlvolk“ für den Beitrittsvertrag votieren wird. Er tue das gegen seine politischen Überzeugungen, sagte er in der Debatte, er wolle sich aber nicht gegen den überwältigenden Willen der österreichischen Bevölkerung stellen. Zumal es sich bei der Frage eines EU-Beitritts um keine Gewissensfrage handle, sondern um eine strategische Entscheidung über die Zukunft Europas, wie er meinte. Nun gehe es um einen kritischen Reformkurs in der Europäischen Union, so Voggenhuber.

FPÖ-Chef Jörg Haider warnte hingegen vor dem Verlust tausender Arbeitsplätze sowie Einkommensverlusten in der Landwirtschaft. Überdies kritisierte er, dass die Ratifizierung des EU-Vertrags erfolge, bevor feststehe, welche Mitspracherechte das Parlament in EU-Angelegenheiten bekomme. Die „Katze im Sack“ zu kaufen, halte er als Demokrat und Parlamentarier für fahrlässig. Dennoch stimmten einzelne FPÖ-Abgeordnete wie der Unternehmer und Interessenvertreter Helmut Haigermoser und die ehemalige Staatsanwältin Liane Höbinger-Lehrer für den EU-Beitrittsvertrag.

Sechs Tage nach dem Nationalrat, am 17. November, genehmigte der Bundesrat den EU-Beitrittsvertrag, und zwar mit 51 Ja-Stimmen bei 8 Nein-Stimmen. Am 22. November unterzeichneten Bundespräsident Thomas Klestil und Bundeskanzler Franz Vranitzky die Ratifikationsurkunde, am 24. November wurde diese in Rom hinterlegt.

NOCH VIEL ZU TUN

Noch war allerdings ein wichtiger Beschluss ausständig. Insbesondere ging es darum, die Mitwirkungsrechte des Parlaments in EU-Angelegenheiten und weitere begleitende Bestimmungen zum EU-Beitritt Österreichs rechtzeitig vor dem Jahreswechsel in der Bundesverfassung zu verankern. Wie die parlamentarischen Verhandlungen über dieses sogenannte EU-Begleit-BVG abgelaufen sind und welche Konflikte zwischen Regierung und Opposition sich kurz vor Weihnachten noch auftaten, darum wird es im zweiten Teil der Serie kommende Woche gehen. (Schluss) gs

HINWEIS: Das Parlament beleuchtet 2025 drei Meilensteine der Demokratiegeschichte. Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, vor 70 Jahren wurde der Staatsvertrag unterzeichnet und vor 30 Jahren trat Österreich der EU bei. Mehr Informationen zum Jahresschwerpunkt 2025 finden Sie unter www.parlament.gv.at/kriegsende-staatsvertrag-eu-beitritt .

Einen Videobeitrag mit Ausschnitten aus der Nationalratssitzung vom 11. November 1994 sowie Fotos von der EU-Volksabstimmung, der Unterzeichnung des EU-Beitrittsvertrags und der konstituierenden Sitzung des Nationalrats am 7. November finden Sie im Webportal des Parlaments .

————————-

Pressedienst der Parlamentsdirektion
Parlamentskorrespondenz
Tel. +43 1 40110/2272
pressedienst@parlament.gv.at
http://www.parlament.gv.at
www.facebook.com/OeParl
www.twitter.com/oeparl

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
© Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender