Österreichs Wettbewerbsfähigkeit „am Scheideweg“ – Budgetausschuss debattiert Standortsicherung

Badelt und Mayr stehen Abgeordneten Rede und Antwort

Vor dem Hintergrund der angespannten ökonomischen Lage standen die mittel- und langfristigen Herausforderungen für die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs im Zentrum der heutigen Sitzung des Budgetausschusses. Finanzminister Gunter Mayer und Christoph Badelt, Vorsitzender des Produktivitätsrats, tauschten sich auf Basis des Produktivitätsberichts 2024 mit den Abgeordneten über die Lage des Wirtschaftsstandorts sowie notwendige Reformen aus.

Neben der Einschätzung der generellen ökonomischen Situation sorgte insbesondere die Beurteilung der Risiken eines möglichen EU-Defizitverfahrens für Diskussionen. Außerdem interessierten sich die Abgeordneten für die Bedeutung des Ausbaus erneuerbarer Energien und arbeitsmarktpolitischer Faktoren für die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs.

Zudem wurde der Förderungsbericht 2023 zur weiteren Beratung dem Ständigen Unterausschuss des Budgetausschusses zugewiesen.

PRODUKTIVITÄTSBERICHT 2024

Laut Produktivitätsbericht (III-95 d.B.) lag Österreichs Wirtschaftsleistung pro Kopf 2023 um 22% über dem EU-Durchschnitt. Die Republik hat jedoch stärker unter den Krisen seit 2020 gelitten als vergleichbare Länder und das Vor-Krisen-Niveau noch nicht erreicht. Beim Produktivitätswachstum wird seit der Finanzkrise 2008 eine Verlangsamung festgestellt. Der Anstieg an Produktionskosten wirkt sich negativ auf die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Exportwirtschaft aus. Ratsvorsitzender Christoph Badelt sieht Österreichs Wirtschaft auf einem „Scheideweg“, wie er im Vorwort des Berichts ausführt. Neben steigenden Arbeits- und Energiekosten nennt er den Mangel an Arbeitskräften als größtes Problem für das Wirtschaftswachstum. Gleichzeitig würden grüne Transformation und Digitalisierung massive Investitionen erfordern, was aufgrund der Rezession und der angespannten Budgetlage erschwert werde. Zur Stärkung von „Österreichs wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften“ mahnt Badelt daher „sofortige Reformen und Zukunftsinvestitionen“ ein, wie sie im Bericht beschrieben werden.

Zu den zwölf im Bericht formulierten Empfehlungen gehören ein wettbewerbsfähiges Steuer- und Abgabensystem samt Abbau bürokratischer Hemmnisse sowie das Vorantreiben von Digitalisierung und energetischer Transformation in Wirtschaft und Industrie. Zur Mobilisierung des Arbeitskräftepotenzials wird auf die Bedeutung von Bildungszugängen für alle Bevölkerungsgruppen hingewiesen sowie auf die Förderung der Erwerbsbeteiligung älterer Menschen und eine effiziente Zuwanderungspolitik von qualifizierten Arbeitskräften.

DEBATTE ÜBER WETTBEWERBSFÄHIGKEIT UND FOLGEN EINES EU-DEFIZITVERFAHRENS

Österreich sei schlechter durch die krisenhaften Entwicklungen der letzten Jahre gekommen als die meisten anderen europäischen Länder, das Bruttoinlandprodukt pro Kopf liege unter jenem von 2019, bei den Unternehmensgründungen sei Österreich europäisches „Schlusslicht“ und die Wettbewerbsfähigkeit der Exportwirtschaft habe sich signifikant verschlechtert, resümierte FPÖ-Abgeordneter Hubert Fuchs die ökonomische Lage Österreichs. Christoph Badelt bestätigte die von Fuchs aus dem Bericht zitierten Befunde, betonte jedoch, dass es sich dabei um eine „spezielle Auswahl“ an Indikatoren handle. Der Produktivitätsrat beurteile die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs hingegen auf Basis eines „umfassenden Systems an Indikatoren“ mit dem Ziel einer langfristigen Diagnose. Bei allen Problemfeldern stehe Österreich im internationalen Vergleich „grosso modo sehr gut da“, erklärte Badelt. Gerhard Kaniak (FPÖ) konnte diesen Befund nicht nachvollziehen und warf ein, dass Österreich das „konjunkturelle Schlusslicht“ Europas darstelle.

Kritisch bezogen sich Fuchs und Kaniak auch auf ein kürzlich gesendetes Interview mit Badelt in der Zeit im Bild 2, in dem dieser laut Fuchs ein drohendes EU-Defizitverfahren als „nicht wirklich negativ“ bewertet habe. Als Präsident des Fiskalrats habe er natürlich nicht empfohlen, die Fiskalregelungen der EU zu brechen, stellte Badelt klar. Es können auf Basis der aktuell vorliegenden Evidenz noch nicht sicher festgestellt werden, dass Österreich dem Verfahren entgehen könne. Für die Finanzmärkte seien jedoch nicht „bürokratische Verfahren“ ausschlaggebend, sondern ökonomische Werte und „glaubwürdige Pläne“ für die Wirtschaftsentwicklung, so Badelt.

Finanzminister Gunter Mayr widersprach Badelts Einschätzung und verwies auf die Ratingagenturen „Fitch Ratings“ und „Standard and Poor’s Ratings“, für deren Beurteilungen ein EU-Defizitverfahren sehr wohl ausschlaggebend sei. Zudem seien auch Einbußen an Autonomie zu befürchten, unter anderem da im Falle eines Verfahrens die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank mehr Kontrollmöglichkeiten erhielten. Schließlich bedeute ein Defizitverfahren auch einen Reputationsverlust, der nicht zu vernachlässigen sei, gab Mayr zu bedenken. Einig waren sich Mayr und Badelt, dass die Budgetkonsolidierung „konjunkturschonend“ umgesetzt werden müsse.

AUSTAUSCH ÜBER DIE ÖKONOMISCHE BEDEUTUNG DES AUSBAUS ERNEUERBARER ENERGIEQUELLEN

Einen weiteren wesentlichen Themenkomplex stellte der Energiebereich dar. So interessierte sich etwa Jakob Schwarz von den Grünen für die Bedeutung des Ausbaus erneuerbarer Energien für die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs. Diese sei schwer zu quantifizieren, führte ein Experte des Produktivitätsrats aus. Klar sei jedoch, dass die Konjunktur insbesondere der Industrie stark von den steigenden Energiepreisen betroffen sei. So habe vor allem der energieintensive Sektor mit einem Produktionsrückgang auf die steigenden Preise reagiert. Ein höheres Angebot an kostengünstiger erneuerbarer Energie könne diesen Effekt minimieren, den betreffenden Unternehmen mehr Spielraum für Investitionen bieten und somit die Wettbewerbsfähigkeit stärken, so der Experte. Dazu gebe es jedoch eine „Reihe ausständiger Gesetzesmaterien“.

Dies sei eine langfristig angelegte Maßnahme, erklärte er auf Nachfrage Karin Doppelbauers (NEOS). Kurzfristig sei es jedoch auch notwendig den Preis von Erdgas durch die Diversifizierung der Bezugsquellen zu stützen. Zudem gelte es der Fragmentierung des europäischen Energiemarkts entgegenzuwirken, indem etwa regionale Transfernetze grenzüberschreitend ausgebaut werden.

Als „wesentlichen Standortfaktor“ sah auch Michaela Schmidt (SPÖ) die Energiepreise. Deren Anstieg trage überproportional zur Inflation bei, da viele Bereiche davon abhingen. Schmidt sprach außerdem die starke Koppelung von Strom- und Gaspreisen an.

WIRTSCHAFTSFAKTOR ARBEITSZEITEN

Weiter interessierten sich die Abgeordneten für die Thematik der sinkenden Arbeitszeiten. Zwar gebe es in Österreich eine „Rekordbeschäftigung“, doch seien die geleisteten Arbeitsstunden pro Kopf in den letzten Jahren immer weiter gesunken, gab etwa Gerhard Kaniak (FPÖ) zu bedenken. Diese Entwicklung führte er unter anderem auf das Steuersystem zurück.

Die rückläufigen Arbeitsstunden sprach auch Michaela Schmidt (SPÖ) an. Insbesondere bei der Beschäftigung von Frauen gebe es noch „viel Potenzial“ auszuschöpfen. Sie fragte nach dem Zusammenhang dieser Entwicklung mit der Leistung von Überstunden und der Verteilung unbezahlter Arbeit. NEOS-Mandatar Markus Hofer interessierte sich ebenfalls für etwaige Möglichkeiten, die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt zu erhöhen.

Es sei „natürlich ein Problem“ für die Wettbewerbsfähigkeit und das Wirtschaftswachstum wenn die Arbeitszeit pro Kopf laufend zurückgehe, bestätigte auch Christoph Badelt. Eine bessere Ausnutzung dieser „Reserve am Arbeitsmarkt“ sei anzustreben. Für die Erwerbstätigkeit von Frauen sei insbesondere der Ausbau der Kinderbetreuung entscheidend. Hinsichtlich des Steuersystems merkte Badelt an, dass der Faktor Arbeit generell zu stark belastet sei.

Ein direkter Zusammenhang zwischen der Anzahl geleisteter Arbeitsstunden und der Produktivität gehe aus der Fachliteratur nur unklar hervor, warf ein Experte des Produktivitätsrats ein. Er gab zu bedenken, dass gerade eine Steigerung der Produktivität die Notwendigkeit reduzieren soll, viele Arbeitsstunden zu leisten, um so „unser Los zu erleichtern“. Es sei die Tendenz zu beobachten, dass eine Erhöhung der Arbeitszeiten bei vorher geringem Ausmaß die Produktivität steigere. Wenn diese sich jedoch schon auf hohem Niveau befänden, nehme die Produktivität bei noch mehr geleisteten Stunden eher ab, so der Experte.

Für den Zusammenhang zwischen Arbeitsmarktpolitik und Zuwanderung interessierte sich FPÖ-Mandatarin Barbara Kolm. Trotz hoher Zuwanderungszahlen und Qualifizierungsoffensiven herrsche in Österreich Fachkräftemangel. Badelt antwortete, dass Zuwanderung neben der Frauenbeschäftigung und einer Erhöhung des faktischen Pensionsalters „eine Stellschraube“ für die Bekämpfung des Arbeitskräftemangels sein könne. Aus demografischen Gründen werde das Arbeitskräfteangebot den „Engpass“ für das Wirtschaftswachstum darstellen, weshalb einem Mangel frühzeitig entgegenzuwirken sei. Eine grundsätzlich positive Haltung gegenüber Zuwanderung sei daher wichtig, so Badelt.

Weiters sprach Andreas Ottenschläger (ÖVP) das Potenzial europäischer Kooperation für den Wirtschaftsstandort Österreich an. Ein Experte des Produktivitätsrats schätzte dieses insbesondere in den Bereichen Energieinfrastruktur und künstliche Intelligenz als bedeutend ein. SPÖ-Abgeordneter Kai Jan Krainer bemängelte, dass zur Besprechung des Produktivitätsberichts der aus seiner Sicht inhaltlich zuständige Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit nicht anwesend war.

FÖRDERUNGSBERICHT: MAYR SIEHT DEUTLICHES EINSPARUNGSPOTENZIAL

Auf der Agenda stand auch der Förderungsbericht (III-92 d.B.) aus dem Jahr 2023, der zur weiteren Beratung dem Ständigen Unterausschuss des Budgetausschusses zugewiesen wurde. Aus diesem geht hervor, dass auch die Förderungen im Berichtsjahr 2023 noch durch die Belastungen der COVID-19-Pandemie geprägt waren. Im Jahresvergleich setzte sich bei den direkten Bundesförderungen jedoch der coronabedingte Rückgang (-16,2 %) fort. Die indirekten Förderungen stiegen um 8,6 % auf 25,5 Mrd. Ꞓ an. Laut dem zum internationalen Vergleich geschaffenen Europäischen System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (ESVG) beliefen sich die gesamten vom Staat geleisteten Transaktionen mit Förderungscharakter somit auf 33 Mrd. Ꞓ bzw. 6,9 % des BIP. Damit rangiert Österreich an der siebenten Stelle im EU-Vergleich, was das Fördervolumen angeht.

Ressortchef Gunter Mayr wies einmal mehr darauf hin, dass er bei den Förderungen ein Einsparungspotenzial von etwa 3 Mrd. Ꞓ sehe, weil Österreich über dem Durchschnitt in der EU liege. Damit könnte schon fast die Hälfte des angestrebten Einsparungspakets von ca. 6,4 Mrd. Ꞓ erreicht werden. Man könne sich so etwa die Frage stellen, ob der Staat wirklich 75 % der Kosten beim Heizkesselaustausch tragen solle, zumal es sich dabei um das Steuergeld von allen handle. Um generell Doppel- und Mehrfachförderungen zu vermeiden, soll eine Taskforce eingesetzt werden, die sich unter anderem mit den Förderungen auf Länderebene befassen wird. Bei den Gemeinden setze man vor allem auf das Prinzip Freiwilligkeit, wobei für kleinere Kommunen ein vereinfachter Zugang ermöglicht werden soll, informierte eine Vertreterin des Ressorts.

Die Leiterin des Budgetdienstes Kristina Fuchs ging auf eine Frage von NEOS-Abgeordneter Karin Doppelbauer ein und stimmte mit ihr darin überein, dass eine beachtliche Anzahl von Fördermaßnahmen nicht näher quantifiziert sei. Hier müsste an einer Verbesserung der Datenqualität gearbeitet werden. (Fortsetzung Budgetausschuss) wit/sue

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