
Klimawandel schreitet voran: Phase des Verfalls der österreichischen Gletscher hat sich verstärkt
Österreichischer Alpenverein präsentiert Gletscherbericht 2023/24
DER AKTUELLE GLETSCHERBERICHT DES ÖSTERREICHISCHEN ALPENVEREINS ZEICHNET EIN ALARMIERENDES BILD: FAST ALLE GEMESSENEN GLETSCHER ZOGEN SICH IM GLETSCHERHAUSHALTSJAHR 2023/24 ZURÜCK – IM DURCHSCHNITT UM 24,1 METER. EIN AUSSERGEWÖHNLICH WARMES JAHR (1,9°C ZU WARM) UND ÜBERWIEGENDE TROCKENHEIT SORGTEN FÜR DEN DRITTHÖCHSTEN RÜCKZUGSWERT IN DER 134-JÄHRIGEN GESCHICHTE DES GLETSCHERMESSDIENSTES. DIE GRÖSSTEN LÄNGENVERLUSTE MUSSTEN DIE GLETSCHER IN DEN ÖTZTALER ALPEN HINNEHMEN: MINUS 227,5 METER BEIM SEXEGERTENFERNER, GEFOLGT VOM TASCHACHFERNER MIT -176,0 METERN UND DEM GEPATSCHFERNER MIT -104 METERN. ALLE AKTUELLEN, ABER AUCH HISTORISCHEN MESSDATEN SIND ERSTMALS INTERAKTIV ÜBER DEN “GLETSCHERMONITOR” DES ÖSTERREICHISCHEN ALPENVEREINS ABRUFBAR. (WWW.ALPENVEREIN.AT/GLETSCHERMONITOR)
Insgesamt 90 Gletscher haben die EHRENAMTLICHEN GLETSCHERMESSER DES ÖSTERREICHISCHEN ALPENVEREINS im Gletscherhaushaltsjahr 2023/24 beobachtet und die Bilanz ist ernüchternd. Lediglich drei Gletscher blieben in ihrer Länge unverändert. Alle anderen sind weiter zurückgeschmolzen, im Schnitt um 24,1 METER. Der Mittelwert ergibt sich aus 75 Gletschern, die sowohl 2023 als auch 2024 vermessen wurden.
In der 134-jährigen Geschichte des Gletschermessdienstes bedeutet das den dritthöchsten Längenverlust, der je gemessen wurde, knapp hinter den Rekordjahren 2021/22 (-28,7 M) und 2016/17 (-25,2 M): „Die neuerlichen Rekordwerte zeigen eindrucksvoll, dass sich die österreichischen Gletscher weiterhin in einer Phase des raschen Verfalls befinden.“, erklärt GERHARD LIEB, der gemeinsam mit ANDREAS KELLERER-PIRKLBAUER den Alpenverein-Gletschermessdienstes wissenschaftlich leitet.
WÄRME, TROCKENHEIT UND AUSBLEIBENDE KÄLTEPHASEN ALS HAUPTURSACHEN
Die Entwicklung ist vor allem auf außergewöhnlich warme Sommermonate ohne längere Kältephasen zurückzuführen. „Besonders die hohen Temperaturen in Juni, Juli und August 2024 haben dazu geführt, dass die Gletscher in rasantem Tempo abschmelzen konnten“, erklärt KELLERER-PIRKLBAUER. „Die für Gletscher wichtigen Sommer-Schneefälle, die die Eisschmelze etwas bremsen könnten, blieben erneut aus. In Summe war das Gletscherhaushaltsjahr 2023/24 sogar um 1,9 Grad Celsius zu warm.“
2025 IST „INTERNATIONALES JAHR ZUM SCHUTZ DER GLETSCHER“
Der dramatische Rückgang der weltweiten Gletscher erlangt auch international höchste Aufmerksamkeit. Die Vereinten Nationen haben gemeinsam mit der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) das Jahr 2025 zum „INTERNATIONAL YEAR OF GLACIERS’ PRESERVATION“ erklärt. Am 21. März 2025 wird zudem erstmals der „WELT-GLETSCHER-TAG“ begangen; alljährlich ab 2025 wird somit an diesem Tag die gesellschaftliche und ökologische Rolle der Gletscher ins Zentrum gerückt. Ziel ist es, auf die dramatischen Folgen des Gletscherschwunds aufmerksam zu machen und verstärkte Schutzmaßnahmen zu fördern. Gletscher sind von entscheidender Bedeutung für die Regulierung des globalen Klimas und die Bereitstellung von Süßwasser für Millionen von Menschen. Aufgrund des Klimawandels, der seit dem 19. Jahrhundert hauptsächlich durch menschliche Aktivitäten verursacht wird, schwinden diese lebenswichtigen Ressourcen jedoch rapide.
Mit den aktuellen Messergebnissen macht der Alpenverein einmal mehr darauf aufmerksam, wie dramatisch sich die Klimaerwärmung jetzt schon in den Alpen auswirkt: „Die österreichischen Gletscher existieren nur noch aufgrund der in der Vergangenheit gespeicherten Eismassen – ihr weiteres Schmelzen ist unter den aktuellen Klimabedingungen unvermeidbar“, warnt Lieb. Der Österreichische Alpenverein fordert einen ausnahmslosen Gletscherschutz, der neben den Gletscherflächen auch die fragilen GLETSCHERVORFELDER, also die Bereiche, die erst in den letzten rund 175 Jahren eisfrei wurden, umfasst. Die Naturräume geraten durch einen steigenden Nutzungsdruck in Bedrängnis. Sensible Ökosysteme, die sich hier herausgebildet haben, sollen zugunsten einer hohen Biodiversität erhalten bleiben.
KLIMAZIELE NICHT AUS DEN AUGEN VERLIEREN
Dass Österreichs Gletscher in spätestens 40 bis 50 Jahren weitestgehend verschwunden sein werden, dürfte sich kaum noch vermeiden lassen. Letztendlich sei diese Entwicklung aber ein globales Problem, erklärt NICOLE SLUPETZKY, VIZEPRÄSIDENTIN DES ÖSTERREICHISCHEN ALPENVEREINS: „Der Mensch muss nicht das Klima schützen, sondern sich selbst, indem er etwas für das Klima tut, aus reinem Selbsterhaltungstrieb. Es geht darum, dass wir in einem guten ökologischen Umfeld leben können und dies auch der nächsten Generation ermöglichen. Bitte aufwachen: Klimaschutz bedeutet, uns selbst zu schützen.“ Slupetzky plädiert dafür, die Erfahrungen am Berg, Ergebnisse und Prognosen aus der Wissenschaft und Forschung zu nutzen, um aufzuklären und Überzeugungsarbeit zu leisten. Die Politik sieht sie in der Pflicht, verantwortungsvoll zu handeln. Vereinbarte Klimaziele müssen trotz anderer Herausforderungen im Fokus bleiben.
GLETSCHERMONITOR: DATEN INTERAKTIV ABRUFBAR
Ein nächster Schritt in der Dokumentation der Messergebnisse des Österreichischen Alpenvereins ist der GLETSCHERMONITOR, eine neue Online-Plattform, auf der erstmals alle aktuellen, aber auch die historischen Daten zurück bis zur Gründungszeit des Gletschermessdienstes interaktiv abgerufen werden können: „Wir freuen uns, dass wir unseren umfangreichen Datensatz auf diesen Weg zur Verfügung stellen. Alle Interessierten können sich damit selbst ein Bild von den dramatischen Veränderungen machen“, erklärt ANDREAS KELLERER-PIRKLBAUER und betont den Nutzen: „Das Dashboard liefert eine Übersicht über die Längenveränderungen. Über eine interaktive Karte lassen sich die gemessenen Gletscher verorten und Ergebnisse im Detail abrufen. Für die Pasterze und viele andere Gletscher liegen Messreihen vor, die sogar bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen.“
ERGEBNISSE AUS DEM GLETSCHERMESSDIENST VON INTERNATIONALER RELEVANZ
Der GLETSCHERMESSDIENST DES ÖSTERREICHISCHEN ALPENVEREINS beobachtet bereits seit 134 Jahren die Gletscher in Österreich und registriert akribisch deren Längenänderungen. An ausgewählten Gletschern werden durch den Alpenverein zusätzlich Messungen der Fließgeschwindigkeiten und der Oberflächenhöhe durchgeführt. Die Gletscherberichte und die Fotodokumentationen aus den Alpenvereins-Archiven vermitteln ein einzigartiges Bild von der Entwicklung der Gletscher in den Ostalpen und sind wissenschaftlich von internationaler Relevanz. Den beiden Leitern des Alpenverein-Gletschermessdienstes Mag. Dr. Gerhard Karl Lieb und MMag. Dr. Andreas Kellerer-Pirklbauer wurden für den Gletscherbericht 2023/24 von 25 Gebietsverantwortlichen („Gletschermessern“) 20 Berichte aus 17 Teilgebieten in 12 Gebirgsgruppen vorgelegt. Die Messkampagnen fanden zwischen 13. August und 27. Oktober 2024 statt. Die in Österreich gesammelten Ergebnisse fließen auch in die globale Gletscherdatenbank des World Glacier Monitoring Service (WGMS) ein und bilden somit auch einen wichtigen Teil im Puzzle der Beobachtung der globalen Gletscherentwicklung.
STATISTIK: DER GLETSCHERRÜCKGANG IN ZAHLEN (MESSPERIODE 2023/2024)
10 GRÖSSTE RÜCKGÄNGE – LÄNGENVERLUSTE IN METERN:
* Sexegertenferner (Ötztaler Alpen, Tirol) – 227,5
* Taschachferner (Ötztaler Alpen, Tirol) – 176,0
* Gepatschferner (Ötztaler Alpen, Tirol) – 104,0
* Hallstätter Gletscher (Dachstein, Oberösterreich) – 73,3
* Wildgerloskees (Zillertaler Alpen, Tirol) – 68,7
* Pasterze Hauptzunge (Glocknergruppe, Kärnten) – 66,3
* Ödenwinkelkees (Glocknergruppe, Salzburg) – 59,1
* Diemferner (Ötztaler Alpen, Tirol) – 58,9
* Fernauferner (Stubaier Alpen, Tirol) – 58,9
* Seekarlesferner (Ötztaler Alpen, Tirol) – 56,0
Der mittlere Rückzugsbetrag der 75 sowohl 2023 als auch 2024 vermessenen Gletscher betrug -24,1 m. In der 133-jährigen Geschichte des Alpenverein-Gletschermessdienstes ist dies der dritthöchste Wert hinter jenen der Messjahre 2021/22 mit -28,7 m und 2016/17 mit -25,2 m – alle drei Negativrekordwerte wurden also innerhalb der letzten acht Jahre erreicht.
STÄRKSTE RÜCKGÄNGE PRO GEBIRGSGRUPPE IN METERN:
* Ötztaler Alpen: Sexegertenferner – 227,5
* Dachstein: Hallstättergletscher – 73,3
* Zillertaler Alpen: Wildgerloskees – 68,7
* Glocknergruppe: Pasterze Hauptzunge – 66,3
* Stubaier Alpen: Fernauferner – 58,9
* Venedigergruppe: Zettalunitzkees – 54,0
* Silvrettagruppe: Jamtalferner – 41,0
* Granatspitzgruppe: Sonnblickkees Granatspitzzunge – 20,7
* Ankogel-Hochalmspitzgruppe: Kälberspitzkees – 16,9
* Goldberggruppe: Östliches Wurten-Schareckkees – 14,7
* Schobergruppe: Hornkees – 5,9
* Karnische Alpen: Eiskargletscher – 0,8
STÄRKSTE RÜCKGÄNGE PRO BUNDESLAND IN METERN:
* Tirol Sexegertenferner – 227,5
* Oberösterreich Hallstättergletscher – 73,3
* Kärnten Pasterze-Hauptzunge – 66,3
* Salzburg Ödenwinkelkees – 59,1
* Vorarlberg Ochsentalergletscher – 17,8
MITTLERE RÜCKZUGSBETRÄGE DER LETZTEN 12 JAHRE IN METERN:
Die drei höchsten Werte sind hervorgehoben:
Gletscherbericht 2023/24: -24,1
Österreichischer Alpenverein
Mag. Gerald Zagler
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