
Reaktionen der fünf Fraktionen im Nationalrat auf die Erklärung der Regierungsspitze
Koalitionsfraktionen sehen Antworten auf drängende Fragen, FPÖ kritisiert „Flucht vor Neuwahlen“, Grüne bereit zur Zusammenarbeit
Auf die Vorstellung des Regierungsprogramms durch die Regierungsspitze in der heutigen Sitzung des Nationalrats folgte eine Debatte über die Erklärung. Sie begann mit den Einschätzungen der Klubobleute der fünf im Parlament vertretenen Fraktionen.
Auf der Seite der Oppositionsfraktion formulierte die FPÖ ihre grundsätzliche Ablehnung der Ziele des Regierungsprogramms. Die FPÖ hält es aufgrund ideologischer Differenzen innerhalb der Koalition für fraglich, dass die neue Regierungskoalition funktionieren kann. Sie sei zudem kein Ausdruck des Willens der Wähler:innen, sie sei nur aus der Angst von drei Parteien vor Neuwahlen zustande gekommen.
Die Grünen übten zwar Kritik an einzelnen Vorhaben, insbesondere am klimapolitischen Kurs der neuen Bundesregierung. Sie betonten aber auch ihre Bereitschaft zu konstruktiver Zusammenarbeit und würdigten zudem die pro-europäische Haltung der Koalition.
Die Vertreter:innen der ÖVP, SPÖ und NEOS hoben hervor, dass die neue Drei-Parteien-Koalition aus der Bereitschaft zu Kompromissen und zur Zusammenarbeit entstanden sei. Demonstrative Zustimmung gab es in den Redebeiträgen der Abgeordneten der drei Fraktionen zu den angekündigten Reformplänen und zum pro-europäischen Kurs der neuen Bundesregierung.
KICKL: ÖSTERREICH ERHÄLT TEUERSTE BUNDESREGIERUNG ALLER ZEITEN
FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl (FPÖ) sprach von der „teuersten Regierung aller Zeiten, nach den längsten Verhandlungen mit dem schlechtesten Programm aller Zeiten“. Die neue Regierung stehe für Stillstand in Zeiten von Inflation, hoher Arbeitslosigkeit und anhaltender Rezession. Den Parteien, die die Koalition bilden, warf er vor, sie hätten in den letzten Jahren milliardenschwere Fehlentscheidungen mit zu verantworten gehabt. Angesichts dessen würde man erwarten, dass diese Regierung beim Sparen mit gutem Beispiel vorangehe, meinte Kickl. Stattdessen komme aber ein „Zusammenschluss von Neuwahlflüchtlingen“ und „ein letztes Großaufgebot des alten Systems“. Nicht der Wunsch nach Erneuerung motiviere diese Bundesregierung, sondern Angst und „Feigheit vor dem Souverän“. Der von niemandem gewählte Bundeskanzler Stocker mute der Bevölkerung ein riesiges Sparprogramm zu.
Er verstehe nicht, wie eine Regierung, die aus zwei wirtschaftsliberalen Parteien und einer Partei, die einen „Vertreter des Klassenkampfs“ in das Finanzministerium gebracht habe, funktionieren solle, meinte der FPÖ-Klubobmann. Das Regierungsprogramm enthalte nichts von dem, wofür die FPÖ in den Regierungsverhandlungen eingetreten sei, wie Asylstopp, Kampf gegen den politischen Islam oder einem klaren Auftreten gegen Fehlentwicklungen der EU. Weder zu Gesundheit und Pflege noch zur Wiedergutmachung der Folgen der Corona-Politik sei darin etwas zu finden. Die Bundesregierung sei „ein Mix aus Marx und Murks mit rosaroten Stützradeln“, sagte Kickl, der eine entschlossene Oppositionspolitik gegen die Regierung ankündigte. „Die Volkskanzlerschaft kommt so sicher wie das Amen im Gebet“, zeigte sich Kickl überzeugt. Erst dann werde die wirkliche Erneuerung Österreichs beginnen.
Das Bild der vollbesetzten Regierungsbank zeige einen „aufgeblasenen Apparat“, kritisierte Susanne Fürst (FPÖ). Der ÖVP warf sie vor, die Verhandlungen mit der FPÖ zum Scheitern gebracht zu haben, weil sie zu keinen Änderungen bereit sei. Den Ausschlag dafür habe die von der ÖVP geforderte Zerschlagung des Innenministeriums gegeben, die die von der FPÖ geforderten Maßnahmen, wie etwa Pushbacks an den Grenzen, unmöglich gemacht hätte. Die ÖVP sei bei Steuern oder neuen EU-Schuldenregeln bereits wortbrüchig geworden. Auch vom dem angekündigten schärferen Asylkurs bleibe nichts übrig. Der Familiennachzug werde nicht auf Null gesetzt, sondern man rede sich wieder einmal auf die EU aus. Scharfe Kritik übte Fürst auch an den europäischen Aufrüstungsplänen und der Haltung gegenüber Russland. Offenbar wolle man keinen Frieden für die Ukraine.
WÖGINGER: REGIERUNG HAT PROGRAMM FÜR GUTE ZUKUNFT VORGELEGT
„Dankbar und stolz“ zeigte sich hingegen ÖVP-Klubobmann August Wöginger, dass nach langen Verhandlungen ein Regierungsprogramm präsentiert werden konnte. Hier stelle sich eine Koalition der Mitte und der Mehrheit vor, die die notwendige Bereitschaft zum Kompromiss zeige. Diese Bereitschaft habe Klubobmann Kickl in den Verhandlungen vermissen lassen. Er habe seine Chance gehabt und sie verspielt. Kickl sei vielmehr ein „Will-nicht-Kanzler“, so Wöginger.
Das Regierungsprogramm zeichne eine gute Zukunft für das Land und seine Menschen: Wöginger hob besonders die Vorhaben in den Bereichen Leistung, Familien und Wirtschaftsstandort hervor. Weiters strebe man eine Weiterentwicklung des Bildungssystems an, verankere Maßnahmen zur Reform des Asylsystems und gehe gegen den politischen Islam vor. Wer in Österreich leben wolle, müsse sich integrieren. Das Sozialsystem sei für diejenigen da, die arbeiten wollen, und für die, die es aus verschiedenen Gründen nicht können. Zuwanderung werde an ein verpflichtendes Integrationsjahr ab dem ersten Tag geknüpft. Die Sozialhilfe werde reformiert und das grundsätzliche gute Pensionssystem abgesichert. Dazu müsse aber die Beschäftigungsquote im Alter erhöht werden. Hier seien viele Maßnahmen vorgesehen, die im Übrigen bereits in den Verhandlungen mit der FPÖ vereinbart worden seien.
Abgeordnete Karoline Edtstadler (ÖVP) sah eine extreme außenpolitische Herausforderung. Die Politik Putins stelle eine Bedrohung für Europa dar. Jetzt gelte es daher, das Richtige zu tun. Mit der neuen Bundesregierung werde Österreich weiterhin ein verlässlicher Partner in der Europäischen Union und für den Westbalkan sein.
KOGLER: GRÜNE SIND ZU KONSTRUKTIVER ZUSAMMENARBEIT BEREIT
„Die Zeit ist aus den Fugen“, konstatierte der Klubobmann der Grünen, Werner Kogler. Umso wichtiger sei es nun, dass Österreich eine demokratisch legitimierte Regierung habe. Anerkennen wolle er die Bereitschaft zum Kompromiss und dazu, einen zweiten Anlauf zu nehmen. In Zeiten von großen Umbrüchen, in denen nichts weniger als die Demokratie und der Rechtsstaat auf dem Spiel stehen würden, müsse Europa zusammenwachsen und vor allem gemeinsam handeln. Hier habe Österreich als neutrales Land eine wichtige Rolle wahrzunehmen. Dazu gehöre auch, dass Europa bei seinen Verteidigungsanstrengungen besser werden müsse.
Kogler erinnerte daran, dass die Banken- und Finanzkrise unter Beteiligung der Opposition, vor allem der Grünen, bewältigt werden konnte. Auch in der derzeitigen Budgetkrise seien die Grünen zu konstruktiver Arbeit aus der Oppositionsrolle heraus bereit. Wichtig sei aber ein sinnvolles Sparen, ohne die Konjunktur abzuwürgen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine habe unter anderem auch gezeigt, wie wichtig der Ausstieg aus fossilen Energieträgern und die Einleitung der Energiewende sei. Gerade in diesem Bereich dürfe nicht gekürzt werden. Vielmehr müssten klimaschädliche Förderungen abgebaut werden. Beim Klimaschutz werde man aus seiner Sicht auch ohne Gebote und Verbote nicht auskommen können. Leider sei das Regierungsprogramm „auf dem ökologischen Auge blind“. Ungeachtet dessen seien die Grünen bereit, bei allen Reformen mitzuarbeiten, die sie für notwendig halten.
Leonore Gewessler (Grüne) betonte, sie sei froh, dass Österreich nun eine klar pro-europäische Regierung habe. Auf sie würden große Aufgaben warten. Die Grünen würden bei aller Bereitschaft zu konstruktiver Zusammenarbeit der Bundesregierung auch „auf die Finger schauen“. Der falsche Weg sei etwa, das Klimaschutzministerium zu zerschlagen und im Klimaschutz zurück- statt voranzugehen. Eine Streichung des Klimabonus und Kürzungen bei der Förderung des Heizungstausches, während „Milliardenprivilegien“ für ausländische Frächter nicht angetastet würden, sei der falsche Weg. Im Bereich der Energiepolitik seien dem Vernehmen nach höchst fragwürdige Entscheidungen erst in letzter Minute gestoppt worden, kritisierte die Abgeordnete.
KUCHER: GEMEINSAMES ÜBER DAS TRENNENDE STELLEN
Nach langen Verhandlungen sei es gelungen, eine Regierung zu bilden, die das Gemeinsame über das Trennende stelle, befand SPÖ-Klubobmann Philip Kucher. Das Regierungsprogramm enthalte Antworten auf drängende Fragen der Wirtschaft, der Teuerungskrise, Migration, Gesundheit und der Pflege und Bildung. Vordringlich sei es aus Sicht der SPÖ, Arbeitsplätze zu sichern und die Konjunktur zu stützen. Die SPÖ hätte es sich leicht machen können, sie habe sich aber dafür entschieden, Verantwortung zu übernehmen und Antworten zu suchen. Die FPÖ unter Klubobmann Kickl sei dazu hingegen nicht bereit gewesen, da es ihr offenbar nur um Macht und Posten gegangen sei, nicht um Inhalte.
Die SPÖ habe sichergestellt, dass die notwendigen Belastungen gerecht verteilt werden und nicht von den Schwächsten alleine getragen werden. Erstmals gebe es eine echte Mietpreisbremse. Im Gesundheitssystem sehe das Regierungsprogramm unter anderem Schritte gegen die Zwei-Klassen-Medizin vor, um allen den Zugang zu einer hochqualitativen Gesundheitsversorgung zu sichern. Kucher erwartete sich auch „echte Frauenpolitik“. Im Kampf gegen den Extremismus werde es „eine neue Klarheit aus der Mitte der Gesellschaft geben“.
Julia Herr (SPÖ) sagte, die Sozialdemokratie stelle sich in schwierigen Zeiten den Herausforderungen. Mit ihren Verhandlungen habe sie erreicht, dass das Regierungsprogramm eine deutliche SPÖ-Handschrift trage. Das zeige sich etwa daran, dass Banken und Energiekonzerne einen gerechten Beitrag zur Budgetkonsolidierung leisten werden. Bereits in der heutigen Sitzung werde mit der Mietpreisbremse eine inflationsdämpfende Maßnahme gesetzt. Als nächstes sei ein Mietpreisdeckel für alle Mietverhältnisse geplant. Auch im Klimaschutz plane die Bundesregierung mit einem Transformationsfonds wichtige Schritte zu setzen.
SHETTY: ÖSTERREICH MUSS SEIN ROLLE IN EUROPA WAHRNEHMEN
Für die NEOS ergebe sich mit dem Wechsel von der Opposition in die Regierungsverantwortung eine ganz neue Situation, sagte der neue Klubobmann der NEOS, Yannick Shetty. Die NEOS hätten die Oppositionsrolle zwölf Jahre lang mit hoher Leidenschaft gelebt. Er bringe daher der Rolle der Opposition weiterhin den größten Respekt entgegen. Wichtig sei jedoch, dass der Streit der Meinungen im Parlament als Teil des politischen Prozesses offen geführt werde. In diesem Sinne müsse er daher Klubobmann Kickl widersprechen, der von der „teuersten Bundesregierung aller Zeiten“ gesprochen habe. Er selbst sei nämlich Minister in der teuersten Bundesregierung aller Zeiten gewesen. Zudem sei es nicht in Ordnung, wenn er die demokratische Legitimität der Zusammenarbeit von drei Parteien in Frage stelle.
Shetty erinnerte daran, dass die Sicherheitslage Europas sich grundlegend geändert habe. Hier müsse auch Österreich seine Rolle wahrnehmen. In dieser schwierigen Zeit sei die erste liberale Außenministerin eine gute Nachricht für Österreich. Die Regierungsbeteiligung der NEOS ermögliche auch echte Meilensteine in der Bildungspolitik. Das beginne mit Investitionen in die frühkindliche Bildung, einem Chancenbonus für die Schulen, die Mittel besonders nötig hätten, damit sie Integration fördern können. Großartig sei auch, dass Österreich einen Entbürokratisierungsstaatssekretär erhalten werde. Großes sei auch in der Integrationspolitik gelungen.
Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) warf der FPÖ vor, demokratische Verhältnisse nicht zu respektieren. Die neue Bundesregierung vertrete eine klare Mehrheit der Wählerschaft. Frieden in der Ukraine sei nicht gleichzusetzen mit einer Kapitulation des Landes, das überfallen wurde, wie es sich die FPÖ offenbar vorstelle. Als besonders positiv hob der Abgeordnete das pro-europäische Engagement der Bundesregierung hervor. Das Friedensprojekt Europa müsse nun für die kommenden Generationen abgesichert werden. Als Erfolg der Verhandlungen wertete der Abgeordnete, dass eine umfassende Bildungsreform in Angriff genommen werde, wie sie vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen sei. (Fortsetzung Nationalrat) sox
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