
Wettbewerbsfähigkeit, Verteidigung und Ukraine im Zentrum des EU-Gipfels
Stocker, Plakolm und Meinl-Reisinger informieren im EU-Hauptausschuss
Am 20. und 21. März kommen in Brüssel wieder die EU-Führungsspitzen zu einem Gipfeltreffen zusammen. Beraten wird unter anderem über die Lage in der Ukraine und im Nahen Osten, die europäische Verteidigung sowie über die Wettbewerbsfähigkeit der EU. Darüber informierten Bundeskanzler Christian Stocker, die designierte Europa-Ministerin Claudia Plakolm und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger die Abgeordneten heute im EU-Hauptausschuss.
In der Minderheit blieb die FPÖ mit einem Antrag auf Stellungnahme, mit dem sie die Regierung auffordern wollte, beim Gipfeltreffen keinen Schlussfolgerungen zuzustimmen, die eine Entwicklung der EU hin zu einer „Kriegs- und Schuldengemeinschaft“ begünstigen.
STOCKER ÜBER BREITE AGENDA DES EU-GIPFELS
Beim russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine liege es an Putin, zu entscheiden, ob auch er Frieden will, sagte Bundeskanzler Christian Stocker. Die Gespräche zwischen den USA und der Ukraine in Saudi Arabien hätten neuen Schwung in die Friedensbemühungen gebracht und seien daher zu begrüßen. Über das Ende der Waffenruhe in Gaza zeigte sich der Kanzler „sehr besorgt“. Österreich werde weiterhin die Bemühungen um eine tragfähige Waffenruhe und die Freilassung aller Geiseln unterstützen.
Klar sei, dass angesichts der globalen Veränderungen eine Zeitwende in der EU stattfinde. Vor diesem Hintergrund begrüße Österreich die Initiativen der Europäischen Kommission wie das heute vorgelegte Weißbuch zur europäischen Verteidigung und den Plan „ReARM Europe“, der den Mitgliedstaaten neue finanzielle Möglichkeiten für Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit bieten soll. Die genauen Auswirkungen gelte es noch zu prüfen, man sollte die sich nun bietenden Möglichkeiten aber nutzen, so der Kanzler.
Was die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU betrifft, hob Stocker die geplante Entbürokratisierung hervor. Er begrüße den breit angelegten Vereinfachungsprozess, insbesondere durch die Reduktion der Berichtspflichten. Einen ersten Gedankenaustausch werde es auch über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU geben. Hier unterstrich Stocker Österreichs Ablehnung einer Schuldenunion. Begrüßenswert hingegen fand er die Ausarbeitung einer Rückführungsverordnung im Migrationsbereich. In Zukunft soll es damit möglich sein, sogenannte „Return-Hubs“, also Rückführungszentren in Drittstaaten, zu schaffen.
PLAKOLM: ÖSTERREICH WILL AUSTRAGUNGSORT FÜR FRIEDENSGESPRÄCHE SEIN
Die designierte Europaministerin Claudia Plakolm berichtete vom vorbereitenden Treffen des Rats „Allgemeine Angelegenheiten“, bei dem sie unter anderem die Bereitschaft Österreichs betont habe, als Austragungsort und Vermittler für Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine zur Verfügung zu stehen.
Thema seien außerdem die Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich gewesen, wo es in den letzten Wochen wieder eine Annäherung gegeben habe. Österreich befürworte die Formalisierung einer Sicherheits- und Verteidigungspartnerschaft mit UK, so Plakolm.
AUSSENMINISTERIN MEINL-REISINGER FÜR STARKEN MULTILATERALISMUS
Von den Beziehungen mit den USA sprach Außenministerin Beate Meinl-Reisinger. Diese würden derzeit „auf die Probe gestellt“. Für Österreich sei der Multilateralismus und die Arbeit in internationalen Organisationen wie der UNO essenziell, betonte sie auch vor diesem Hintergrund.
Meinl-Reisinger begrüßte die Pläne zu „ReARM Europe“ ebenfalls. Sie betonte, dass es um die Verteidigungsfähigkeit der EU, nicht um ein Wettrüsten gehe. Österreich habe bereits wichtige Schritte für eine „wehrhafte Neutralität“ eingeleitet.
UKRAINE UND EUROPÄISCHE VERTEIDIGUNG IM MITTELPUNKT
Im Austausch mit den Abgeordneten standen insbesondere die Situation in der Ukraine und die europäische Verteidigung im Fokus. Susanne Fürst (FPÖ) fand es erfreulich, dass es Verhandlungen zwischen den USA und Russland gebe. Es sei jedem klar, dass die Lösung des Krieges zwischen diesen beiden Großmächten ausgemacht werde, meinte sie. Die EU sollte „in sich gehen“, warum keine EU-Vertreter mit am Tisch seien. Für Fürst ist die europäische Strategie der Sanktionen „völlig gescheitert“.
Sie brachte auch einen Antrag auf Stellungnahme ein. Denn für sie befindet sich die EU auf einem „besorgniserregenden Kurs“ hin zu einer „zentralisierten EU-Kriegsunion“. Die FPÖ wollte die Regierung auffordern, sich gegen eine Entwicklung der EU „hin zu einer Kriegs- und Schuldengemeinschaft“ zu stellen. Der Antrag blieb in der Minderheit. Von Bundeskanzler Stocker wollte Fürst wissen, wie er zu den Aussagen des EVP-Chefs Manfred Weber über „Kriegswirtschaft und einen europäischen Generalstabschef“ stehe. Es gebe eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik und eine klare Positionierung Österreichs auf Basis der Neutralität, antwortete der Kanzler. Es sei klar, dass Österreich nicht Teil einer europäischen Armee sein könne und nicht unter dem Oberkommando eines nicht-österreichischen Offiziers stehen könne.
„Sehr befremdlich“ fand Georg Strasser (ÖVP) die Analyse von Fürst, wonach lediglich die USA und Russland eine Rolle spielen würden. Seine Strategie sei, Österreichs Interessen in Europa sichtbar zu machen und europäische Interessen in der Welt. Auch Janos Juvan (NEOS) ging darauf ein. „An welcher Stelle ist Ihnen Ihr Patriotismus verloren gegangen?“, fragte er die FPÖ-Abgeordnete. Wenn Europa beim Ausgang eines Kriegs auf dem eigenen Kontinent nicht mitrede, komme das einer Selbstaufgabe gleich.
Für Dominik Oberhofer (NEOS) ist der Besuch von Außenministerin Beate Meinl-Reisinger in der Ukraine ein starkes Zeichen dafür, dass die EU für die Eigenständigkeit des Landes einstehe. Es fragte die Ministerin nach ihrem Eindruck nach dem Gespräch mit Wolodymyr Selenskyj. Der ukrainische Präsident sei sehr gut informiert über die Hilfen, die Österreich geleistet habe und wisse auch von den verfassungsmäßigen Schranken, sagte Meinl-Reisinger. Das Treffen mit den USA in Saudi Arabien sei als diplomatischer Erfolg zu werten.
Pia Maria Wieninger (SPÖ) erkundigte sich nach einer Abstimmung zwischen der EU und den USA hinsichtlich einer Waffenruhe in der Ukraine. Diese fände etwa im Rahmen der G7 und der OSZE statt, antwortete die Außenministerin. Auch die Rolle der UNO sei eine wichtige, so Meinl-Reisinger.
Die europäischen Pläne zur Intensivierung von Investitionen in die Verteidigung sprach Manfred Sams (SPÖ) an. Er wollte unter anderem wissen, welche Auswirkungen die Pläne auf den österreichischen Bundeshaushalt haben. Stocker gab Auskunft, dass sich für Österreich derzeit die Frage stelle, ob und inwieweit die Ausgaben für Verteidigung seit 2022 eingerechnet werden können und somit die Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts in Anspruch genommen werden kann.
Für Meri Disoski (Grüne) enthalte das Weißbuch zur europäischen Verteidigung viele wichtige Prioritäten. Auch Werner Kogler (Grüne) fand die Initiativen wichtig. Er sprach sich einmal mehr für die Unterstützung der Ukraine aus. Bei der Frage des EU-Beitritts vermisse er Klarheit, so Kogler. Ein Land im Kriegszustand könne nicht Mitglied der EU werden, sagte Claudia Plakolm. Sie begrüßte eine graduelle Integration, betonte aber insbesondere mit Blick auf den Westbalkan, dass es „keine Fast-Lane“ geben dürfe. Die Ukraine wisse, dass sie den harten Weg gehen müsse, sagte Außenministerin Meinl-Reisinger.
DEBATTE ÜBER WETTBEWERBSFÄHIGKEIT UND MEHRJÄHRIGEN FINANZRAHMEN
In den Bestrebungen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU sah Axel Kassegger (FPÖ) „viele Worthülsen“. Die angekündigte Entbürokratisierung könne nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Die Standort- und Wettbewerbspolitik der EU in den letzten Jahren sei gekennzeichnet von „viel Ideologie“ und „ökonomischen Irrwegen“ wie dem Green Deal oder dem Lieferkettengesetz. Für Stocker hingegen liege die EU nicht falsch, wenn sie die Bürokratie abbauen und so die Wettbewerbsfähigkeit stärken will. Außenministerin Meinl-Reisinger bezeichnete das ebenfalls als „wesentlichen Schritt“. Aus ihrer Sicht brauche es außerdem die Stärkung von Forschung und Entwicklung in Europa.
Alois Schroll (SPÖ) thematisierte in puncto Wettbewerbsfähigkeit den Energiebereich. Aus seiner Sicht wäre ein Eingriff in das Merit-Order-System ein wesentlicher Faktor, um die Energiepreise zu senken. Er erkundigte sich beim Bundeskanzler nach den Positionen der anderen EU-Staaten in dieser Frage. Es gebe dafür derzeit keine Meinung in der Union, sagte Stocker. Außerdem wollte Schroll wissen, wie die konsequente österreichische Haltung gegen Atomstrom im Europäischen Rat zum Ausdruck gebracht wird. Atomenergie sei keine nachhaltige, sichere Energiequelle, betonte Plakolm. Auf dieses Bekenntnis poche Österreich immer bei der Formulierung der Schlussfolgerungen des Rats.
Kai Jan Krainer (SPÖ) brachte den mehrjährigen Finanzrahmen der EU zur Sprache. Aus seiner Sicht gebe es Steuern, die auf nationaler Ebene schlechter als auf europäischer Ebene oder gar nicht eingenommen werden könnten, etwa eine Kerosin-Steuer. Er wollte wissen, wie die Regierung dazu stehe, wenn über derartige Eigenmittel im Zuge der Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen diskutiert werde. Es gebe dazu noch keinen Vorschlag, sagte Bundeskanzler Stocker. Österreich würde mit der derzeitigen Situation „das Auslangen finden“, meinte er. Werner Kogler (Grüne) sprach sich für Investitionsspielräume in Zukunftsfragen wie der Ökologisierung und Digitalisierung aus.
NAHER OSTEN, WESTBALKAN UND UNGARN ALS WEITERE THEMEN
Andreas Minnich (ÖVP) bedauerte, dass die Freilassung der israelischen Geiseln und die Waffenruhe „zum Stillstand gekommen“ seien. Er wollte wissen, wie Österreich sich friedensstiftend einbringen könnte und erkundigte sich nach dem Gespräch von Bundeskanzler Stocker mit dem freigelassenen österreichisch-israelischen Doppelstaatsbürger Tal Shoham. Das Telefonat habe ihn „zutiefst berührt“, so Stocker. Für die Befreiung aller Geiseln wolle Österreich eine „sehr konstruktive Rolle“ spielen, sagte der Kanzler. Meri Disoski (Grüne) begrüßte es, dass die erneuten Luftanschläge auf Gaza in den Schlussfolgerungen des EU-Gipfels verurteilt werden.
„Auffällig laut“ schweige die EU aber zu Entwicklungen am Westbalkan und in Ungarn, so Disoski. Sie sprach die Demonstrationen in Serbien gegen das Regime Vučićs und das Verbot der Pride-Parade in Ungarn an. Die Gesellschaft in Serbien dränge nach einer Annäherung an die EU, lautete Plakolms Befund. In einer freien westlichen Gesellschaft sei es außerdem zentral, dass Möglichkeiten wie die Pride weiterhin bestehen. Die sexuelle Orientierung dürfe keine Rolle spielen, denn es sei keine aktive Entscheidung, in wen sich jemand verliebe, so die Ministerin. (Schluss) kar
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