Die Frauenheilkunde in Wien während des Nationalsozialismus

Symposium an der MedUni Wien beschäftigt sich mit dunkler Periode der Geschichte des Faches

IN DEN JAHREN VON 1938 BIS 1945 ERLEBTE DIE WIENER MEDIZINISCHE SCHULE EINEN TIEFEN EINSCHNITT. DIE IDEOLOGIE DES NATIONALSOZIALISMUS DURCHDRANG ALLE BEREICHE DES LEBENS UND FÜHRTE AUCH IM BEREICH DER MEDIZIN ZU SCHWERWIEGENDEN FOLGEN – VON DER VERTREIBUNG UND VERFOLGUNG DER JÜDISCHEN ÄRZT:INNEN ÜBER ZWANGSSTERILISATIONEN BIS ZU TÖTUNGSAKTIONEN GEGEN PATIENT:INNEN IN DER PSYCHIATRIE. LANGE ZEIT HERRSCHTE STILLSCHWEIGEN ÜBER DIE UNTER DEM NS-REGIME BEGANGENEN VERBRECHEN, AUCH IM BEREICH DER FRAUENHEILKUNDE. EXEMPLARISCH DAFÜR STEHT DIE UMSETZUNG DES SOGENANNTEN „GESETZES ZUR VERHÜTUNG ERBKRANKEN NACHWUCHSES“ UNTER ANDEREM DURCH DEN SS-OBERSTURMFÜHRER UND CHEF DER I. UND SPÄTER DER II. WIENER UNIVERSITÄTS-FRAUENKLINIK ISIDOR AMREICH. EIN SYMPOSIUM AM 28. MÄRZ 2025 AN DER MEDUNI WIEN BESCHÄFTIGT SICH EINGEHEND MIT DIESER DUNKLEN PERIODE DER GESCHICHTE DER FRAUENHEILKUNDE.

Wie in den anderen medizinischen Fächern bedeutete der „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland im März 1938 zunächst die Vernichtung der beruflichen Existenz der jüdischen Ärztinnen und Ärzte. Fast 60 Prozent der in Wien tätigen Frauenärzte (und wenigen Frauenärztinnen) waren von der antijüdischen Verfolgung betroffen, verloren ihre Stellen und das Recht zur Berufsausübung und konnten ihr Leben nur retten, wenn ihnen rechtzeitig die Flucht gelang.

Angesichts der Geburtenpolitk des NS-Regimes, die auf einen „rassenreinen“ und „erbgesunden“ sogenannten Volkskörper abzielte, spielte die Frauenheilkunde während dieser Zeit eine wichtige ideologische, politische und praktische Rolle. Beispielhaft zeigt sich das an dem Gynäkologen Otto Planner-Plann, der als Wiener Gauärzteführer der wichtigste ärztliche Funktionär innerhalb der NSDAP war.

Im Deutschen Reich einschließlich Österreichs waren speziell dafür ermächtigte gynäkologische Kliniken und deren Belegschaft für die Durchführung von zwangsweisen Eingriffen im Rahmen der NS-„Rassenhygiene“ an Zehntausenden von Frauen verantwortlich. Die beiden Wiener Universitätsfrauenkliniken bildeten hier keine Ausnahme. Knapp 230 Frauen mussten sich zwischen 1940 und 1945 an einer der beiden Kliniken einem unfreiwilligen Eingriff zur Sterilisation, in vielen Fällen verbunden mit dem Abbruch einer bestehenden Schwangerschaft, unterziehen. Die große Mehrzahl der Eingriffe erfolgte wegen angeblicher erblicher Krankheiten auf Basis des mit 1. Jänner 1940 auch in der „Ostmark“ eingeführten „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Darüber hinaus gab es Frauen, bei denen entsprechende Eingriffe nach einer Genehmigung durch den „Reichsausschuss zur Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden“ vorgenommen wurden, dem auch für die „Kindereuthanasie“ zuständigen Gremium. Dabei handelte es sich um Frauen, die als ausländische Zwangsarbeiterinnen in Wien lebten oder die nach den „Nürnberger Gesetzen“ als „rassisch unerwünscht“ galten und daran gehindert werden sollten, Kinder zu bekommen.

Herwig Czech, Professor für Geschichte der Medizin an der MedUni Wien: „Wie viele andere Bereiche der Medizin hat sich die Gynäkologie während des Nationalsozialismus in den Dienst eines mörderischen Regimes und dessen rassistischer und eugenischer Ziele gestellt. Die Aufarbeitung dieser Verstrickungen ist ein seit langem fälliger Schritt.“

Herbert Kiss, Co-Leiter der Universitätsklinik für Frauenheilkunde der MedUni Wien: „Wir können nur aus der Geschichte lernen, wenn wir sie schonungslos aufarbeiten. Lange Zeit haben wir die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und mit dem Wirken der führenden Ärzte gescheut. Nun setzen wir ein Zeichen, wir grenzen uns ab, wir stellen uns. Wir dürfen nicht aufhören darüber zu reden, zu erzählen und zu erinnern, was geschehen ist.“

Dieses Symposium markiert einen Meilenstein in der Aufarbeitung dieser dunklen Periode der Geschichte des Faches. Besonders wichtig ist den Organisator:innen der MedUni Wien dabei, die Aufmerksamkeit auch auf die Schicksale jener Personen zu richten, die unter dem Regime des Nationalsozialismus gelitten haben. Es referieren Vortragende aus den Geschichtswissenschaften und der Medizin.

Medizinische Universität Wien
Mag. Johannes Angerer
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