
EU-Überstellungsverfahren im Strafvollzug: Debatte über Resozialisierung und Entlastung
Justizausschuss schickt Weisungsbericht 2023 ins Plenum
Den aktuellen Bericht über den Ausbau der Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten zur Strafvollstreckung nahmen die Abgeordneten im Justizausschuss heute einstimmig zur Kenntnis. Seit einer Prüfung des Rechnungshofs vom Jahr 2018 seien die Zahlen dieser Überstellungen weiterhin angestiegen und die durchschnittliche Verfahrensdauer verkürzt worden, heißt es im Bericht. So würde einerseits eine Verbesserung der Resozialisierungschancen der verurteilten Personen und andererseits eine weitere Entlastung des heimischen Strafvollzuges, verbunden mit beträchtlichen Kosteneinsparungen, bewirkt. Hervorgehoben worden sei dabei die proaktive Haltung der österreichischen Behörden zur Lösung von Problemen. Es gebe aber auch Faktoren, die eine Überstellung in den Heimat- oder Aufenthaltsstaat behindern oder verzögern, die nicht dem direkten Einfluss der österreichischen Behörden unterliegen. Justizministerin Anna Sporrer bezeichnete das Instrument der Überstellungen insgesamt als ein wirksames zur Bewältigung der Haftzahlen und zur Resozialisierung. Zugleich würden damit Kosten gesenkt.
Thema im Ausschuss war zudem der Bericht über die Weisungen des Justizministeriums in den Jahren 2017 bis 2023. Er soll im Nationalratsplenum weiter diskutiert werden.
ÖSTERREICHS ZAHL DER EU-ÜBERSTELLUNGSVERFAHREN ANGESTIEGEN
In Österreich wurde im Jahr 2012 der EU-Rahmenbeschluss zur gegenseitigen Anerkennung von Urteilen in jenen Strafsachen gesetzlich verankert, die eine Gefängnisstrafe oder andere freiheitsentziehende Maßnahmen begründen. Der Beschluss beruhe auf dem Grundgedanken, dass der Strafvollzug in jenem Mitgliedstaat vorzunehmen ist, wo der Resozialisierung des oder der Verurteilten am besten gedient sei. Mittlerweile haben alle EU-Mitgliedstaaten den Rahmenbeschluss umgesetzt, zuletzt die Republik Irland mit Wirksamkeit vom 1. März 2023. Der Bericht aus dem Justizministerium fasst die Anwendung, die Maßnahmen und Auswirkung der Übernahme der Strafvollstreckung durch den Heimatstaat zusammen (III-98 d.B.).
Durch einen kontinuierlichen Anstieg an EU-Überstellungsverfahren werde einerseits eine Verbesserung der Resozialisierungschancen der verurteilten Personen und andererseits eine weitere Entlastung des heimischen Strafvollzuges bewirkt, verbunden mit beträchtlichen Kosteneinsparungen, so der Bericht. Zu den Faktoren, die eine Überstellung in den Heimat- oder Aufenthaltsstaat behindern oder verzögern, würden etwa lange Überstellungsverfahren in den Vollstreckungsstaaten oder Haftbedingungen in Vollstreckungsstaaten zählen, die nicht der Europäischen Menschenrechtskonvention bzw. der Charta der Grundrechte der EU entsprechen. Teils gebe es auch Ablehnungen der Überstellung durch manche Staaten trotz Vorliegens eines rechtskräftigen Aufenthaltsverbots, Verzögerungen durch Übersetzungen von Urteilen und ein oftmaliges Überschreiten etwa der vorgegebenen 30-Tagesfrist bei der Durchführung der Überstellung. Dem Bericht zufolge halten es Sachverständige unter anderem für erforderlich, auf EU-Ebene Leitlinien für die Berechnung der noch zu verbüßenden Hafttage zu erstellen, um eine gemeinsame Vorgehensweise zu schaffen und das gegenseitige Vertrauen in die vorgenommene Berechnung sicherzustellen.
Der Beitritt Österreichs zum Rahmenabkommen sei die richtige Entscheidung gewesen, meinte Josef Hechenberger (ÖVP). Insgesamt könne damit auch die Belagssituation in den Haftanstalten entschärft werden. Positiv bewerte er etwa, dass Österreich immer versucht habe, die Entwicklung in diesem Zusammenhang voranzutreiben. Muna Duzdar (SPÖ) hob hervor, dass es nach der RH-Kritik mittlerweile gelungen sei, die Dauer der Überstellungsverfahren zu verkürzen. Die Effekte bei der Belagssituation und bei den Kosten seien kein Selbstzweck, zumal es darum gehe, dass die Resozialisierung am besten stattfinden könne.
Auch Sophie Marie Wotschke (NEOS) fasste zusammen, dass die Überstellungen im Sinn der Resozialisierung den Haftvollzug entlasten und Kosten sparen würden. Verbesserungsbedarf ergebe sich bei der Berechnung der verbleibenden Hafttage und in der richterlichen Spezialisierung.
Christian Lausch (FPÖ) zeigte sich dankbar für den Bericht, ihm zufolge geht jedoch „viel zu wenig weiter“. Wenn laut Bericht im Strafvollzug in Österreich 54 % nichtösterreichische Staatsbürger:innen „einsitzen“, müsse man feststellen, dass die „Vorgängerbundesregierung“ nicht viel „weitergebracht“ habe. Zudem störe ihn, dass verurteilte Straftäter:innen der Überstellung zustimmen müssten und sich das Verfahren dadurch deutlich in die Länge ziehen könne. Für die Resozialisierung sei wohl immer der eigene Staat am geeignetsten, allein durch die Sprachbarriere anderswo, so Lausch.
Justizministerin Anna Sporrer erläuterte, dass auch ohne Zustimmung der verurteilten Person eine Überstellung erfolgen könne, sofern die Person auch abgeschoben werden könnte. Als Justizministerin sei sie bestrebt, die Bemühungen etwa auch dort zu verstärken, wo das in den bilateralen Bemühungen bisher nicht gelungen sei. Das Justizressort trachte jedenfalls danach, die Zahlen der Überstellungen weiter zu erhöhen, sagte ein Experte des Ministeriums. Ohne Zustimmung könnten diese durchgeführt werden, sofern ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot bestehe. Die Zahlen an Überstellungen seien „herzeigbar“, könnten aber auch im Sinn der Resozialisierung noch besser werden, zeigte er sich überzeugt.
17 WEISUNGEN DES JUSTIZMINISTERIUMS IN DEN JAHREN 2017 BIS 2023
Über die erteilten Weisungen sowie über jene Fälle, in denen der Äußerung des Weisungsrats nicht Rechnung getragen wurde, gibt der Weisungsbericht 2023 des Justizministeriums Auskunft (III- 90 d.B.). Er umfasst 17 Weisungen in den Jahren 2017 bis 2023 nach Beendigung der zu Grunde liegenden Verfahren. Der Bericht wurde einstimmig zur Kenntnis genommen und auf Antrag der SPÖ einstimmig zur weiteren Debatte ins Plenum geschickt.
Die 17 Weisungen betreffen 16 Fälle, da in einem Fall zwei Weisungen erteilt worden waren. Acht Weisungen zielten darauf ab, ein Verfahren einzuleiten oder fortzusetzen oder konkrete Erhebungen durchzuführen. Sieben Weisungen sind unter „Sonstiges“ angeführt, bei zwei der Weisungen sollte bei grundsätzlich gleicher Zielrichtung eine andere Rechtsgrundlage angewendet werden. Rund 71 % der Weisungen betrafen Verfahren in Wien, darauf folgen Graz mit 18 % und Innsbruck mit 12 %. Die Fallbeschreibungen im umfassenden Bericht sind weitgehend anonymisiert und betreffen unter anderem auch Fälle der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA).
Einer der Fälle bezieht sich auf einen Vorgang, bei dem das Justizressort der Äußerung des Weisungsrats im Ergebnis nicht gefolgt ist. Hier sei irrtümlich dem Weisungsrat nicht Rechnung getragen worden, so Justizministerin Sporrer. Auf Fragen von Harald Stefan (FPÖ) erörterte eine Expertin des Ministeriums den betreffenden Vorgang rund um die „Causa Waldhäusl“. Ein Bericht sei dem Weisungsrat irrtümlich nicht vorgelegt worden, so die Expertin. Die Angelegenheit sei letztlich aber mit einem Freispruch ausgegangen.
Für Gudrun Kugler (ÖVP) stellt es sich im Bericht als vertrauenserweckend dar, dass die Zahl der Weisungen überschaubar bleibe und dass diese offenbar mit Zurückhaltung erteilt würden. Die Justiz genieße in Österreich hohes Ansehen und Vertrauen, sagte Selma Yildirim (SPÖ). Kritisiert werde aber, dass es keine unabhängige Weisungsspitze gebe. Nunmehr sei sich allerdings die Dreierkoalition darüber einig, dass an einem Modell für einen lange und intensiv diskutierten weisungsfreien Bundestaatsanwalt gearbeitet werde. Stephanie Krisper (NEOS) schloss sich Yildirim an und bedankte sich beim Weisungsrat – auch wenn ihr zufolge vorgesehen sei, diesen „durch eine unabhängige Weisungsspitze zu ersetzen“. Alma Zadić (Grüne) hob hervor, dass der Weisungsbericht aufschlussreich und im Sinn der Transparenz sei.
Die FPÖ sei bekanntlich gegen einen Bundesstaatsanwalt und dieser Bericht zeige, dass er auch gar nicht notwendig sei, so Harald Stefan (FPÖ). Es werde sehr vorsichtig mit Weisungen umgegangen, schloss er sich etwa Kugler an. Daher wüsste er nicht, was sich durch einen Bundesstaatsanwalt verbessern ließe. In Summe zeige der Bericht für ihn, dass das System so funktioniere. (Schluss Justizausschuss) mbu
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